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Bewegte Emotionen: Das physische Schauspiel des Franz Rogowski

Ein Beitrag von Patrick Fey

Neben Nina Hoss und Sandra Hüller gilt Franz Rogowski derzeit als begehrtester deutscher Schauspiel-Export. Zum Kinostart von „Passages“ werfen wir einen Blick auf die Karriere und das so eindrückliche Schauspiel des Wahlberliners.

Meinungen
Rogowski
Passages / Happy End / Love Steaks

Seit geraumer Zeit gilt Franz Rogowski vielerorts als faszinierendster Schauspieler des deutschen Gegenwartskinos. Im Jahr 2018 von der New York Times als „unwahrscheinliches Sex-Symbol“ erkannt, von Christian Petzold augenzwinkernd zur „neue[n] Nina Hoss“ erkoren und unlängst in einem Vanity-Fair-Porträt zum „vielleicht aufregendsten Filmstar der Welt“ stilisiert, hat sich Rogowski stetig bis in die erste Riege des internationalen Arthouse-Kinos vorgespielt. Angehäuft haben sich auf diese Weise Kollaborationen mit Schwergewichten des Weltkinos wie Michael Haneke, Terrence Malick und Andrea Arnold.

Wer von seinem Schauspiel spricht, darf von seiner Physis nicht schweigen – so oder so ähnlich ließe sich wohl ein Credo auf die Karriere Franz Rogowskis formulieren. Nicht dass es dafür besonderer Scharfsinnigkeit oder etwaiger Glaubensbekenntnisse bedürfte. Schließlich nimmt Rogowskis Filmkarriere seit ihrer Initialzündung – Jakob Lass‘ Berliner Mumblecore-Komödie Frontalwatte (2011) – wiederholt Bezug auf die eigene Physiognomie. In Lass’ Abschlussfilm an der Filmhochschule Babelsberg, der gleichsam Rogowskis Spielfilmdebüt markiert, wird die hervorstechende Physis selbst thematisiert, als sich die Hauptfigur (praktischerweise ebenfalls den Namen Franz tragend) in kieferchirurgische Behandlung begibt. Der behandelnde Arzt steht der Operation skeptisch gegenüber. In die Defensive gedrängt rechtfertigt Franz seinen Entschluss fast trotzig damit, dass er „doch gar nicht richtig sprechen“, „gar nicht klar und deutlich artikulieren“ könne.

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Zeugt ein solches gewissermaßen der extradiegetischen Welt verpflichtetes Zugeständnis im Kontext seiner Entstehung noch von einer gewissen Unsicherheit, ganz als solle damit einer an der Oberfläche verhafteten Kritik vorgegriffen werden, lässt sich mehr als zehn Jahre später festhalten, dass das Publikum Rogowski sehr wohl verstanden hat. Oder doch zumindest gelernt hat, ihn zu verstehen. Sein Spiel ist eben ganz und gar durch die Physis mitbestimmt, der sich jede Form des verbalen Ausdrucks unterzuordnen hat – was nicht zuletzt darauf zurückzuführen sein mag, dass Rogowski auf einem Ohr taub ist und auch auf dem anderen nur schwer hört.

 

Enigma und Undurchsichtigkeit

Statt von großen Worten leben Rogowskis Charaktere daher häufig vom Enigma, von einer mal durch Stoa, mal durch Impulsivität umwehten Undurchsichtigkeit, die uns abwechselnd für Rogowskis Figuren einnimmt und von ihnen abstößt. Bereits in Lass‘ gefeiertem Love Steaks (2013) ist von einer womöglich autobiografisch inspirierten Sorge ob der eigenen Erscheinung ohnehin nicht mehr sonderlich viel zu erkennen. Zwar wirkt Rogowskis schüchtern angelegte Figur – der vagabundhafte Mittzwanziger Clemens, der zu Beginn des Filmes auf Probezeit einen Job als Masseur in einem Luxus-Spa an der Ostseeküste antritt – wie eine Fortführung des randständigen Franz in Frontalwatte.

Doch während er uns dort als bemitleidenswert vorgestellt wird, als jemand, der mit löchrigem T-Shirt vor der Wohnungstür seiner Ex-Freundin aufkreuzt, um sie auf magische Weise umzustimmen, ist Clemens in Love Steaks nun ganz eindeutig das Objekt der Begierde. Nicht nur in den Augen der Köchin Lara, mit der er bald anbandelt, sondern auch der Spa-Gästinnen mittleren Alters auf der Massagebank. Und selbst für die von ihren Alphamännern geprägte Küchencrew, die ihn nicht als ebenbürtig anzuerkennen bereit ist und ihn daher nicht beim Namen nennt, ist er schlicht der Gutaussehende.

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Während Lass während der 2010er Jahre Rogowskis autobiographisch-inspiriertes Vagabundensein fiktional fortschreibt (noch 2016 wurde er mit einem T-Shirt mit der Aufschrift „Suche Wohnung“ samt Telefonnummer gesichtet), das bereits in Frontalwatte etabliert wurde, in welchem sich Franz wiederholt extravagant-geräumige Berliner Penthouse-Wohnungen zeigen lässt, ohne Aussicht darauf, sich diese jemals leisten zu können, darf sich Rogowski hier endlich vom eigenen Namen emanzipieren. Es ist eine Rolle, die ihm auch sonst neue Freiheiten einbringen wird: Ausgezeichnet mit dem Preis für den Besten Hauptdarsteller beim Filmfest München 2013 prasseln die Angebote in der Folge nur so auf ihn ein.

 

Starke Physis der Zerbrechlichkeit

Die Rolle des weitgehend stummen „Boxer“ in Sebastian Schippers One-Cut-Wonder Victoria etwa, der auf der Berlinale 2015 frenetisch gefeiert wurde und international auf sich aufmerksam machte. Mit Glatze und Gefängnisvergangenheit ist es jener Boxer, der, dazu gezwungen, Schutzgeldschulden zu begleichen, seine Freunde dazu überredet, eine Bank zu überfallen und Schippers romantische Komödie somit in einen Heist-Film kippen lässt. Zwar bleibt Rogowskis Boxer eine weitgehend stumme Nebenfigur, doch als solche macht er, sein Spiel auf die schmale Schnittstelle zwischen einschüchternder Physis und psychischer Zerbrechlichkeit justiert, Hauptdarsteller Frederik Lau unweigerlich die Bühne streitig, sobald sich beide eine Einstellung teilen.

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Das darauffolgende Jahr 2016 ebnet Rogowski den Weg zum internationalen Festival-Darling, als mit Michael Haneke und Terrence Malick zur gleichen Zeit zwei Großmeister des Weltkinos für eine Zusammenarbeit anklopfen (Malick ist für Rogowski sogar bereit, terminliche Komplikationen in Kauf zu nehmen). Auch in Hanekes Happy End, dem bislang letzten Film des österreichischen Großmeisters, nimmt Rogowski als depressiver Sohn der von Isabelle Huppert gespielten Protagonistin Anna nur eine kleine Rolle im illustren Ensemble-Cast ein, der neben Huppert vom späten Jean-Louis Trintignant angeführt wird. In Rückschau auf Hanekes dystopische Vision der französischen Großbourgeoisie, die von der Kritik seinerzeit gespalten aufgenommen wurde, hat sich Rogowskis entfesselte Karaoke-Szene bei vielen als Höhepunkt des Filmes festgesetzt. Auf Haneke-typische Weise beobachten wir darin aus einer distanzierten Totalen den von den Erwartungen seiner CEO-Mutter erdrückten Alkoholiker Pierre, wie er in einer beengten Karaoke-Bar vor einer Spiegelwand eine Interpretation von Sias Chandelier zum Besten gibt.

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Es ist eine Szene, in der es, wüsste man nicht um Hanekes manische Akribie, fast scheint, als hätte dieser den gelernten Tänzer Rogowski schlicht hemmungslos Rogowski sein lassen, so organisch darf sich dieser in Form von Breakdance-Einlagen, Purzelbäumen und Radschlägen dem Moment hingeben. Es wäre vermutlich ungerecht, diese Szene als essenzielle Rogowski-Performance anzuführen, wollte man einer unvertrauten Person die Arbeit des Wahlberliners näherbringen. Gleichwohl, ganz falsch läge man mit einer solchen Empfehlung nicht, bricht sich in dieser Szene doch eine zügellose Energie Bahn, die den meisten der späteren, zur Introspektion neigenden Rogowski-Figuren immerzu anzumerken ist, wenngleich zumeist sublimiert wird.

 

Spuren in der Biographie

Es lohnt sich, diesem Gedanken innerhalb der Biographie Rogowskis nachzuspüren, denn der durch Haneke suggerierte Ausbruch aus der stets um Contenance und Ratio bemühten französischen Oberschicht, die ihre Welt streng durch Codes und Regeln strukturiert, spiegelt auf unübersehbare Weise die Entwicklung Rogowskis weg vom bürgerlichen Milieu. 1986 in Freiburg geboren wächst Rogowski zusammen mit seiner Mutter, einer Hebamme, und seinem Ziehvater, einem Arzt, sowie drei Halbgeschwistern in Tübingen auf, wo er frei von materiellen Zwängen zunehmend Frustration ob des rigiden Schulalltags empfindet. Im Rückblick erkennt Rogowski in der Institution Schule gar eine Form der strukturellen Gewalt, die ihn Tag für Tag an eine Schulbank gefesselt habe, auf der es ihm überdies die meiste Zeit über langweilig gewesen sei.

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Lediglich der Sport-, Ethik- und Kunstunterricht seien es gewesen, die ihn während jener ungeliebten Zeit in der Schule zu halten vermochten – nicht genug. Nach der elften Klasse bricht er die Schule ab, sucht während einer kurzen Phase die Lösung im Graskonsum und beginnt ein Studium der anthroposophischen Theaterpädagogik an der Theaterakademie Stuttgart, ehe er sich an einer Tessiner Clownschule einschreibt, wo er in die Künste des Jonglierens und der „comedia d’ell arte“ eingeführt wird, bevor er schließlich zeitgenössischen Tanz in Salzburg und Berlin lernt – alles, ohne auch nur eine dieser Ausbildungen abzuschließen.

Es ist eine Zeit, während derer er sich eher schlecht als recht als Saxophonspieler in der U-Bahn (in mehreren Interviews wiederholt er den Witz, die Leute hätten ihm nur deshalb Geld gegeben, damit er mit dem Spielen aufhöre) und, aus den Lehren der Clownschule schöpfend, als Straßenclown und Jongleur während des Locarno-Filmfestivals verdingt. Als er sich bereits eine neue Beschäftigung in den Kopf gesetzt hat – Fahrradkurier (Fahrrad fahre er schließlich seit seinem dritten Lebensjahr) –, wird ihm auf einer Party von einer Freundin eine Audition bei der Choreographin Constanza Macras an der Berliner Schaubühne angetragen, bei der er dann, trotz einer vorausgegangen längeren Pause vom Tanzen, als einziger der Bewerber*innen genommen wird.

Doch weder Macras‘ kräfteverschleißendes Tanztheater noch die weniger kollaborativen Engagements unter Falk Richter am Theatre National in Brüssel oder im Ensemble Matthias Lilienthals an den Münchner Kammerspielen (2015-2017) halten ihn langfristig am Bühnenschauspiel. Denn durch den eingangs erwähnten Jakob Lass, der ihn 2009 als Choreograph für seinen Kurzfilm Them Breaks gewinnt, findet Rogowski schnell und zunehmend Gefallen am Filmschauspiel. Rückblickend kommt es gewissermaßen einem Glücksfall gleich, dass seine erste Filmrolle mit Lass‘ Spielfilmdebüt koinzidiert, scheint Lass‘ improvisierfreudiges FOGMA-Konzept (angelehnt an die Dogma95-Bewegung um Lars von Trier und Thomas Vinterberg) doch wie prädestiniert für Rogowski, der während seiner Theater-Engagements wiederholt die fehlende Zusammenarbeit mit den Regisseur*innen moniert.

 

Berlinale 2018 – der endgültige Durchbruch

Nachdem ihm die Achtungserfolge in Frontalwatte und Love Steaks also bereits zum nationalen Geheimtipp avancieren ließen und sich Rogowskis Wirkradius durch die eindrucksvollen Szenen in Hanekes Happy End in ungleich größerem Maße ausweitete (Malicks A Hidden Life, obwohl im selben Jahr gedreht, erscheint erst 2019), erlebt Rogowski im Jahr 2018 den vorläufigen Höhepunkt seiner Karriere, als er mit gleich zwei Hauptrollen im Wettbewerb der 68. Berlinale aufschlägt: Christian Petzolds Transit, frei nach der gleichnamigen Romanvorlage Anna Seghers, und Thomas Stubers In den Gängen, der ihm Ende desselben Jahres den Deutschen Filmpreis als Bester Hauptdarsteller einbringt. Es dürfte diesem bei der Kritik überaus erfolgreichen One-Two-Punch zu verdanken sein, dass wenige Monate später ein Porträt in der New York Times erscheint, das Rogowskis Durchbruch gekommen sieht.

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In Folge der Berlinale 2018 ist Rogowski dann auch außerhalb der Filmindustrie in aller Munde. Allgegenwärtig scheint zu dieser Zeit der Vergleich zu Weltstar Joaquin Phoenix, mit dem er die charakteristische Lippenspalte teilt, die sich – wie bei Phoenix – auf so maßgebliche Weise auf seine Aussprache auswirkt. Für Petzold hingegen liegt letztlich der Vergleich zur französischen Nouvelle-Vague-Ikone Jean-Paul Belmondo (À Bout De Souffle (1960), Pierrot le Fou (1965)) näher, mit dessen Bild im Kopf er das Drehbuch zu Transit schrieb.

Die melancholische Grundstimmung, die Petzold in Transit auf so virtuose Weise erzeugt, spiegelt sich über die gesamte Laufzeit der Geschichte im Gesicht des politischen Geflüchteten Georg, der, ohne Aussicht auf Heimkehr, notgedrungen die Identität eines suizidierten Schriftstellers annimmt und sich als dieser in dessen von Paula Beer gespielte Ehefrau verliebt. Mag Petzold innerhalb seiner Dramaturgie auch nicht an einer glücklichen Koexistenz seines zentralen Gespannes gelegen sein, kann er von dieser Konstellation dennoch nicht lassen und castet beide für seine dunkle Romanze Undine (2020) – nur um ihre Figuren erneut in eine tragische Liebe zu manövrieren.

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Doch entgegen der dramaturgischen Logik, denen Petzolds Filme dieser Jahre folgen, spiegelt sich in Rogowskis Karriere eine Bedachtsamkeit, allem Erwartbaren weitgehend aus dem Weg zu gehen und wiederholt Kleinstprojekte einzugehen. So trifft es sich, dass auf jeden Festival-Liebling wie Angela Schanalecs idiosynkratischer Ich war zuhause, aber (2019) oder Terrence Malicks A Hidden Life, ein historisches Drama über die Resilienz eines österreichischen Bauern während des Nationalsozialismus, ein Film kommt, der aus der Reihe fällt. Wobei das eigentlich nicht stimmt, dass hier etwas „aus der Reihe fällt“, schließlich tauchen diese bemerkenswerten Engagements stetig auf.

Oft handelt es sich dabei um Herzensprojekte: In Daniel Wilds medienkritischer Low-Budget-Superheldenvariation Lux – Krieger des Lichts etwa wird er zum „Superhelden“ Lux, der es sich zur Aufgabe macht, Obdachlose mit Lebensmitteln zu versorgen. Und während Undine 2020 seine Festivalkampagne auf der Berlinale antritt, ist Rogowski in der Panorama-Sektion via Cameo in Uisenma Borchus autobiografischem Schwarze Milch zu sehen – eine Rolle, in der Rogowski nicht davor zurückscheut, sich dem Publikum in einem unvorteilhaften Licht zu präsentieren. Ohnehin: Ginge es Rogowski einzig um die Gunst des Publikums, er hätte wohl nie in Jan Henrik Stahlbergs Crowdfunding-finanziertem Fikkefuchs (2017) mitgewirkt, ein Film, der weder Fremdscham noch Transgression scheuend andernfalls wohl kaum produziert worden wäre; der uns die Rogowski-Figur im Supermarkt als potentiellen Vergewaltiger vorstellt, der später im Berliner Denkmal für die ermordeten Juden Europas die ideale Location ausmacht, um Frauen zu begegnen.

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Über die Jahre bleibt Rogowski diesem Indie-Kino erhalten, stattet Dominik Galizias ebenfalls durch Schwarmfinanzierung realisierter Kinoadaption seines kultigen Youtube-Formats Heikos Welt (2021) einen Gastauftritt ab, spielt den geistig beeinträchtigten Johannes in Peter Brunners radikalem, Ulrich-Seidl-produzierten Luzifer (2021), und mimt in Giacomo Abbruzzese Disco Boy (2023) einen Belarussen, der sich der französischen Fremdenlegion anschließt, um die Unionsbürgerschaft der EU zu erhalten. Noch abseitiger kommt da nur noch Moon in Earthlight (2021) daher, eine Sound-Video-Installation des großen Wolfgang Tilmanns, die in Ausstellungen renommierter Museen wie dem Mumok Wien und dem New Yorker MoMa zu sehen ist.

Im gleichen Jahr ist Rogowski in der Rolle des Hans Hoffmann in Sebastian Meises historischem Drama Große Freiheit (2021) zu sehen, das sich der politischen Verfolgung homosexueller Menschen in der BRD widmet – ein großer Erfolg bei der Kritik, der mit dem Jurypreis der „Un Certain Regard“-Sektion beim Cannes-Film-Festival 2021 seinen Lauf nimmt und in zahlreichen Auszeichnungen beim Österreichischen und Deutschen Filmpreis mündet. Nur wenig später, im Spätsommer 2021, feiert – und es trotzt einem eine gewisse Vorstellungskraft ab, was zu Rogowskis Entscheidung für diese Rolle geführt haben mag – Gabriele Mainettis seltsam entgleister Freaks Out seine Premiere bei den Filmfestspielen von Venedig. Im revisionistischen Nazi-Fantasy-Spektakel, angesiedelt im faschistischen Rom des Jahres 1943, spielt Rogowski den sechsfingrigen, mit Superkräften ausgestatteten Zirkusdirektor Franz, der versucht, den Untergang des Dritten Reiches abzuwenden.

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Was man auch von Freak Outs halten mag, es ist zweifellos eine der kreativsten Umsetzungen des ungeschriebenen Gesetzes, demzufolge jeder*r deutschsprachige Schauspieler*in früher oder später einen Nazi spielen muss. Zudem unterstreicht Rogowskis Mitwirken seine internationalen Ambitionen, die 2023 durch die Zusammenarbeit mit Ira Sachs für dessen vielgefeierten Passages einen entscheidenden Schub erhalten, ist es doch insbesondere Rogowski, dessen Schauspiel in der Kritik herausgehoben wird. In Sachs‘ Fassbinder-inspirierter Dramedy spielt er den so kosmopolitischen wie myopischen Filmregisseur Tomas, der eines Drehtages die wunderschöne Agathe (Adèle Exarchopoulos) kennenlernt und fortan hin- und hergerissen ist zwischen dem Leben im avantgardistischen Pariser Künstler*innen-Milieu an der Seite seines Ehemanns Martin (Ben Whishaw) und seiner Sehnsucht nach der Gründung einer traditionellen Kernfamilie mit Agathe.   

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Noch im Januar 2018 beschreibt der deutsche Journalist Moritz von Uslar Rogowskis Schauspiel in der Zeit als zumeist zurückgenommen; zum Extremen komme es bei ihm selten. Er ziehe sich aus dem Spiel heraus, beobachte und schaue zu, „während die anderen im Bild sich bemühen und etwas darstellen“ würden. Rogowskis „Nichtstun“ wirke hingegen „intelligent und bedeutungsvoll.“ In Passages sind diese Qualitäten durchaus bemerkbar, allerdings gelingt es Sachs als erstem Regisseur, von der gesamten Bandbreite des Rogowski’schen Schauspiels effektiven Gebrauch zu machen: Da ist die reine Physis, die sich mal in Aggression ausdrückt, mal in Erotik umschlägt und mal im unangenehm vagen Zwischenraum der beiden verbleibt. Die Tiefe hingegen, die wir in Filmen wie Transit, In den Gängen oder Große Freiheit ohne Weiteres in das melancholische und oft schweigende Gesicht Rogowskis projizieren, wird durch Tomas‘ Egozentrik zwar nicht in Abrede gestellt, allerdings fällt es bisweilen schwer, an sie zu glauben, ist Tomas doch hauptsächlich an der Befriedigung der eigenen Bedürfnisse bzw. Gelüste gelegen, über die hinaus er alles und jeden aus den Augen verliert.

Umso leichter lässt sich dahingegen die Vermutung wagen, dass Rogowski auch in den kommenden Jahren eine gewichtige Rolle im Weltkino spielen wird. Zur Zeit dieses Textes filmt Rogowski mit der britischen Autorenfilmerin Andrea Arnold ihren neuen Film Bird, die langersehnte Spielfilm-Nachfolge zu American Honey (2016), und auch David Michôds Wizards!, für den Rogowski neben Orlando Bloom und Naomie Watts zu sehen sein wird, steht alsbald in den Startlöchern. Mit Passages, so scheint es, beginnt abermals eine neue Phase im Schaffen des neben Nina Hoss und Sandra Hüller international gefragtesten deutschen Gegenwartsschauspielers, wozu auch ein langjähriges Englisch-Training offenkundig seinen Beitrag geleistet hat. Angesichts des zunehmenden Erfolgs und des universellen Zuspruches, den Rogowski für seine Arbeit erhält, scheint es schwer vorstellbar, dass er in voraussehbarer Zeit mit seiner Profession bricht. Wiederholt ist er allerdings mit den Worten zitiert worden, er könne nicht sein gesamtes Leben Schauspieler bleiben, zu lächerlich sei dieser Beruf. Im gleichen Atemzug lässt er allerdings auch verlautbaren: „Aber im Moment liebe ich es.“

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