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Ein tief religiöses Mutter-Sohn-Duo begegnet in der alpinen Abgeschiedenheit dem Bösen. Oder haben sie selbst es dort herangezüchtet? Das österreichische Psycho-Drama „Luzifer“ lässt in seinem finsteren Horrorgewand Grenzen verschwimmen.

Luzifer (2021)

Eine Filmkritik von Matthias Pfeiffer

Die Kraft des Teufels

Mit einer Alpenidylle hat das hier höchstens ansatzweise etwas zu tun. Schon die ersten Naturaufnahmen in Peter Brunners „Luzifer“ erwecken den Eindruck, dass hier etwas Dämonisches vor sich geht. Oder bildet man sich das nur ein? Die Bilder der menschenfeindlichen Gebirgslandschaft, untermalt mit Tim Heckers Dark Ambient-Sound könnten auch in die Irre führen. Für Maria (Susanne Jensen) und ihren erwachsenen Sohn Johannes (Franz Rogowski) sind das Teuflische und das Göttliche nämlich ganz fundamentale Aspekte des Alltags. Und der dürfte das Publikum weitaus mehr befremden und verstören als der Schurke mit den Hörnern und dem Klumpfuß.

Luzifer atmet voll und ganz die Atmosphäre eines Horrorfilms, mit der dauernden Anwesenheit des Bösen, der Dunkelheit und dem anschwellenden Terror. Dennoch ist das neue Werk von Peter Brunner (To the Night, Jeder der fällt hat Flügel), das von niemand geringerem als Ulrich Seidl produziert wurde, mehr ein psychologisches Drama und nicht zuletzt ein Ausschnitt aus dem Kampf zwischen Tradition und Moderne. Wer der gute, wer der böse Part ist, das lässt sich schwer sagen. Die beiden Hauptfiguren mit ihrem Lebensstil auf den ersten Blick jedenfalls nicht. Abgeschieden leben Mutter und Sohn auf ihrer Almhütte, praktizieren eine sehr heidnisch anmutende Interpretation des Christentums und umgeben sich lieber mit Kühen und Raubvögeln, als mit menschlichen Wesen. Bizarre Bet- und Reinigungsrituale gehören ebenso zum Leben wie Selbstgeißelung. Was wohl aber das unangenehmste Bauchgefühl erzeugt, ist die Andeutung einer inzestuösen Beziehung zwischen der ehemaligen Alkoholikerin und dem geistig zurückgebliebenen Mann. Und alles scheint durchzogen vom Geist des verstorbenen Papas, der mitunter verehrt wird wie der Heiland selbst.

Ohne Frage, das fühlt sich alles unglaublich falsch an. Brunner malt dieses Familienporträt in solch düsteren Farben, dass man ganz unwillkürlich das Desaster erwartet, das aus diesem Wahnsinn erwachsen wird. Assoziationen zu Filmen wie Yorgos Lanthimos‘ Dogtooth oder Rolf de Heers Bad Boy Bubby kommen auf, mitunter auch zu The Witch von Robert Eggers. Denn bei allem radikal-religiösen Wahn, eine wahre satanische Bedrohung kann man nicht ausschließen.

Die Gefahr, die dann auftaucht, ist allerdings eine weltiche. Das Haus und die Umgebung sollen einem Skilift Platz machen. Maria steht den Angeboten natürlich renitent gegenüber. Dann aber üben die Vertreter der modernen Welt immer mehr Druck aus. Nicht zuletzt in Gestalt von Drohnen, die Johannes in Angst und Schrecken versetzen. Die Art, wie Kameramann Peter Flinckenberg die mechanischen Eindringlinge einfängt, lässt sie für den Zuschauer wirklich wie Boten aus der Hölle erscheinen.

Auch die mit roter Farbe markierten Bäume und die Kettensägengeräusche aus der Ferne bekommen sofort einen apokalyptischen Beigeschmack. Kein Zweifel, der Teufel hält Einzug in die Berge. Und mit ihm wächst auf einmal die Sympathie für die fanatischen Außenseiter. Die grobschlächtigen Waldarbeiter und deren sadistische Methoden stoßen mitunter bitterer auf als die irrsinnige Variante des Christentums, die in der Einöde zelebriert wird.
Zeigt Luzifer also die Rücksichtslosigkeit der gewinnorientierten Großindustrie gegenüber der Tradition? So einfach ist die Deutung auch nicht. Mit Verlauf des Films geht das vermeintlich fromme Dasein auf der Alm auch immer weiter an sich selbst zugrunde. Deutlich sichtbar wird das an Johannes, der in den Wahngebilden vollkommen aufgeht und von ihnen letztendlich zu folgenschwerem Handeln getrieben wird.

Die schauspielerischen Leistungen von Franz Rogowski und Susanne Jensen sind es, die dem ganzen Film dabei den beklemmenden letzten Schliff geben. Rogowski wirkt in seiner ganzen kindlichen Unschuld wie ein moderner Kaspar Hauser, der zwar kaum etwas um ihn herum versteht, es aber umso intensiver fühlt. Jensen, eigentlich keine gelernte Schauspielerin, sondern Künstlerin und Pastorin, zeigt die nervliche Zerrüttung ihrer Figur mit erschütternder Wucht. Es kommt an vielen Stellen die Frage auf, die sich auch bei den Regie-Arbeiten des Produzenten Seidl stellt: Wo endet das Schauspiel und wo beginnt die Realität? Wie schon gesagt, die Einschätzung, was in Luzifer real und was eingebildet ist, verschwimmt in vielen Szenen bis ins Unkenntliche. Was jedoch bei der Betrachtung beider Seiten unmissverständlich klar wird: Die schlimmsten Dämonen gebiert der Mensch.

Luzifer (2021)

Johannes, ein Kaspar Hauser-artiger Mann mit dem Gemüt eines Kindes, lebt mit seinem Adler und seiner strenggläubigen Mutter abgeschieden in einer Almhütte. Der Alltag innerhalb dieser hermetischen Welt wird bestimmt von Gebeten und Ritualen. Doch zwischen Natur- und Schöpferverehrung schieben sich plötzlich moderne Fremdkörper und Störgeräusche: Die touristische Erschließung ihres Paradieses droht dasselbe zu vergiften und den Teufel zu wecken. (Quelle: Ulrich Seidl Filmproduktion)

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