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Gabriele Mainetti begibt sich mit seinem neusten Film in die Zirkusmanege, darin kämpfen Menschen mit außergewöhnlichen Fähigkeiten gegen Nazis. Trotz technischer Raffinesse und magischen Momenten bleibt der Film seltsam leer und lässt einen einsam zurück.

Freaks Out (2021)

Eine Filmkritik von Sophia Derda

Freak The Sinn Away

Im 19. und 20. Jahrhundert gehörten der Jahrmarkt und der Wanderzirkus zu den beliebtesten gesellschaftlichen Unterhaltungsformen. Man kam zusammen, ließ sich von den eindrücklichen Shows verzaubern und glaubte an die Magie, die in den Manegen zu sehen war. Neben Clowns, tierischen Attraktionen und Zaubertricks, war ein großer Teil dieser Programme die sogenannte „Freakshow“. Hier wurden Menschen mit außergewöhnlichen körperlichen Merkmalen auf sensationslüsterne Weise vorgeführt. Gabriele Mainetti („Sie nannten ihn Jeeg Robot“) erzählt in „Freaks Out“ das Schicksal von vier Menschen, die zur Zeit des Zweiten Weltkriegs in Rom in solch einem Zirkus in der Manege stehen.

Die Welt des Zirkus, der Kuriositätenkabinette und Wanderjahrmärkte wurde schon häufig Gegenstand von ganz unterschiedlichen Filmen. Im Fokus stehen häufig Protagonist*innen, die von der Gesellschaft missachtet werden und einzig in der Manage einen Platz gefunden haben. Man denke nur an das Horror-Meisterwerk Freaks (1932) von Tod Browning, das sich mit dem Gefühlsleben der Menschen am Rande der Gesellschaft beschäftigt. Damals war es ein regelrechter Skandal, dass Browning tatsächlich Menschen mit Behinderungen für die Rollen gecastet hat. Der Elefantenmensch (1980) von David Lynch basiert auf der realen Geschichte von Joseph Merrick, der wegen seiner bizarren körperlichen Missbildung als Attraktion auf Jahrmärkten gezeigt wurde. Hinter dem abschreckenden Äußeren steckt ein sensibler Mann, der in die Gesellschaft einzugliedern versucht wird. Zuletzt beschäftigte sich Guillermo del Toro in dem Remake von Nightmare Alley (1947) mit der Unmenschlichkeit solcher Maschinerien. Die kapitalistische Logik dahinter, durch das abschreckende oder besondere Aussehen dieser Menschen Publikum zu generieren, sollte immer mitgedacht und problematisiert werden.

Im Zentrum von Freaks Out stehen der Insekten kontrollierende Cencio (Pietro Castellitto), der magnetische Mario (Giancarlo Martini), Fulvio (Claudio Santamaria), ein Haarmensch mit einer übernatürlichen Stärke und Matilde (Aurora Giovinazzo), eine junge Frau, deren Körper elektrischen Strom erzeugen kann. Sie alle wurden als Kinder von ihren Eltern schlecht behandelt, weggesperrt oder gar verlassen. Israel (Max Mazzotta), ein jüdischer Zauberer, fand sie und nahm sie auf, woraufhin sie Teil von seinem Wanderzirkus wurden. Freaks Out spielt im Jahr 1943 und das besetzte Rom wird nach und nach unsicherer für Menschen wie sie, Nazis lauern überall. Der einzige Ausweg ist eine Überfahrt nach New York, dort könne sich der Zirkus neu aufstellen. Doch soweit soll es nicht kommen, Israel verschwindet spurlos und die Gruppe zerfällt. Für Matilde ist klar, sie muss Israel finden und die Gruppe wieder zusammenbringen. Cencio, Mario und Fulvio haben andere Pläne. Der Zirkus Berlin, ein von Nazis geführter Zirkus, bietet gute Arbeitsplätze und sie entscheiden sich, Teil davon zu werden. Was sie nicht wissen, der Zirkus Berlin wird von dem in die Zukunft blickenden Nazi Franz (Franz Rogowski) geleitet, der sie schon erwartet und ganz andere Pläne hat.

Freaks Out besticht mit opulenter Ausstattung, die ein wahres Herz für Details hat. So kann man sich in den Bildern des Zirkus verlieren und mit den gut gemachten Effekten einen Hauch Magie verspüren. Dennoch hat man häufig das Gefühl, Gabriele Mainetti weiß nicht so recht, wohin er nun mit seinem Film gelangen möchte. Ein ernstes Drama voller Pathos, das zur Zeit des Zweiten Weltkriegs spielt, vermischt sich wenig elegant mit Szenen voller Klamauk, in denen man an Bösewichte aus dem Comic erinnert wird.

Die vier Protagonist*innen werden immer wieder mit ihren magischen Kräften konfrontiert und müssen lernen, diese zu beherrschen. Das kann Fluch und Segen zugleich sein und bezieht sich stark auf gängige Tropen aus Superhelden-Filmen wie der X-Men-Reihe. Einzig und allein Franz wird mit seiner außergewöhnlichen Fähigkeit, dass er in die Zukunft blicken kann, höchst aufregend inszeniert. In drogeninduzierten Visionen sieht er nicht nur den Untergang des Dritten Reichs, sondern auch allerhand geschichtlich und popkulturelle Ereignisse bis zum ersten iPhone voraus. Seine Begabung befähigt ihn, großartige Medleys aus Popsongs der Zukunft zu arrangieren, die in der Manege des Zirkus Berlin gefeiert werden. Creep von Radiohead trifft dabei auf Sweet Child O‘ Mine von Guns N’ Roses und Franz Rogowski wirkt für wenige Minuten wie ein richtiger Popstar.

Am Ende des Films bleibt ein wirres Bild zurück. Einige Handlungsstränge führen ins Leere und die Protagonist*innen sind einem immer noch fremd. Welche Menschen hinter den oberflächlichen Figuren stecken, bleibt ein Rätsel. Auch die Dynamik innerhalb der Gruppe will an vielen Stellen einfach nicht stimmen. Neben ein paar fantasievollen Einfällen wirkt das große Spektakel hinter Freaks Out generisch und letztlich inhaltsleer. Wahrscheinlich steckt genau darin die Kunst, solch einen Film nicht über das Äußere und Oberflächliche zu erzählen. Freaks Out gelingt das nicht: Ein Blick in die Gemeinschaft der Menschen hinter den Kulissen wäre wünschenswert gewesen.

 

Freaks Out (2021)

Rom im Jahre 1943: Matilde, Cencio, Fulvio und Mario leben wie Geschwister im Zirkus von Israel. Als der eines Tages verschwindet (vielleicht, weil er sich auf der Flucht befindet, vielleicht aber auch, weil er von den Nazis verhaftet wurde), sind die vier Freaks in der besetzten Stadt ganz auf sich allein gestellt. Aber jemand hat einen Blick auf sie geworfen und verfolgt einen Plan, der nicht nur ihr Schicksal, sondern auch den Lauf der Geschichte ändern könnte.

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