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Ein Ort, an dem sich Schicksale kreuzen. In Thomas Stubers „In den Gängen“ wird ein Großmarkt zum Umschlagplatz von Emotionen, über die niemand gerne spricht. Und doch sind sie stets da — in Gesten, Hoffnungen, Enttäuschungen-

In den Gängen (2018)

Romanze vor Ladenschluss

Plötzlich ist Christian (Franz Rogowski) da. Der junge Mann ist der „Frischling“ im Großmarkt am Rande der Stadt. Nachdem er seinen Job verloren hat und vorher für zwei Jahre im Knast war (Jugendsünden), arbeitet er nun auf Probe und wird von dem fast ebenso schweigsamen Bruno (Peter Kurth) unter seine Fittiche genommen.

Von ihm lernt er das Fahren eines Gabelstaplers — auch wenn zunächst bei ihm Hopfen und Malz verloren scheint. Aber Bruno bringt ihm bei, was ein 15er ist (eine Pause), von ihm erfährt er alles, was er hier wissen muss; all die kleinen Rituale, die Tricks und Kniffe, alles, was man zum Überleben braucht, wer mit wem kann und wer nicht — das ganze Geflecht des Menschlichen, Allzumenschlichen und Zwischenmenschlichen.

So lebt sich Christian langsam ein in dieser ganz eigenen, in sich geschlossenen Welt — und er lernt die kecke und stets zum Flirten aufgelegte Marion (Sandra Hüller) aus der Süßwarenabteilung kennen, in die er sich ein wenig verguckt. Aber dann nimmt ihn Bruno zur Seite und steckt ihm, dass Marion einen Mann hat. Dennoch kommt es immer wieder zu kleinen Begegnungen, versteckten Vertraulichkeiten, zu nicht ausgesprochenen Geständnissen. Und es gibt weiterhin Bruno, der wie ein guter Geist über die beiden wacht, die Dinge regelt, den Betrieb am Laufen hält — und der selbst ein Geheimnis vor seinen Kolleginnen und Kollegen verbirgt.

Immer wieder sehen wir die Gängen mit den Hochregalen bei Nacht, am Anfang bilden sie sogar das Bühnenbild für eine Art Gabelstaplerballett, das sich zu dem Klängen von An der schönen blauen Donau entspinnt. Thomas Stuber (Herbert) lässt sich viel Zeit, um den ganz speziellen Ort und das ebenso einzigartige Personal seiner Tragikomödie einzuführen. Voller Empathie und ohne allzu große Ausreißer ins Gefühlige beobachtet er diesen Mikrokosmos, der beherrscht wird von gebrochenen Biografien, in denen sich stets auch die Lebensläufe seiner ostdeutschen Protagonisten widerspiegeln. Vor der Wende gab es auf dem Gelände einen VEB Fernverkehr, bei dem beispielsweise Bruno als Fahrer arbeitete. Doch nach dem Mauerfall wurde der Betrieb geschlossen und in einen Warenumschlagplatz umgewandelt. Und damit — Ironie des Schicksals — war es auch mit der relativen Freiheit von Bruno vorbei. Eine ebenso ironische Wendung ist auch, dass er und die anderen nun in einem Tempel des Konsums ihr Auskommen gefunden haben — als Warnung quasi, dass man sich seine Wünsche gut überlegen sollte; sie könnten ja in Erfüllung gehen.

In den Gängen hat gewiss die ein oder andere Länge und manche kleinere Unstimmigkeit, wozu mit Sicherheit die nur sporadische Erzählstimme Christians gehört. Dennoch überzeugt der Film durch seine Musikalität, sein Setting, seine Liebe zu den schräg ins Leben gebauten Figuren und die Fähigkeit, eine kleine Welt zu bauen, die man zwar tausendmal als Kunde gesehen haben mag, die einem sonst aber verschlossen bleibt. Die Dramen, die sich dort hinter den Kulissen abspielen, wird man beim nächsten Einkauf zwar gewiss nicht erkennen, aber in einer kleine Geste, einem Gesichtsausdruck, einem Halbsatz erahnen können.

In den Gängen (2018)

Christian hat gerade neu in einem Großmarkt angefangen und wird von Bruno aus der Getränkeabteilung unter seine Fittiche genommen. Im Gang nebenan arbeitet Marion bei den Süßwaren. Christian mag sie, bekommt aber kaum ein Wort heraus. Und auch sie mag ihn, doch sie ist verheiratet — mit einem Schläger. Bei der Weihnachtsfeier halten Christian und Marion Händchen. Die beiden kommen sich näher, zart und wortkarg und geben sich Halt in einem Leben, das außerhalb des Großmarkts kaum auszuhalten ist.

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Meinungen

Ingeborg Scheible · 12.08.2023

Der ruhige und doch so viel sagende Film hat mich zutiefst berührt, ein kleines Meisterwerk. Er lebt und fasziniert durch seine so menschliche, ganz unterschiedliche, liebenswerte Protagonisten. Es wird nicht viel geredet, es sind die Mimik und Gesten, die über das Leben, die Liebe, Enttäuschungen und Sehnsüchte erzählen. Danke für dieses Juwel.