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Guy Maddin und seine beiden Koregisseure haben ein Found Footage Movie erschaffen, das Alfred Hitchcocks „Vertigo“ nacherzählt. Vielleicht das beste Hitchcock-Remake, das je gemacht wurde!

The Green Fog (2017)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Stadtgeschichte(n)

Alfred Hitchcocks „Vertigo — Aus dem Reich der Toten“ (1958) ist ein kinematografisches Werk über Voyeurismus, Projektion und Obsession, nicht zuletzt aber auch über eine Stadt und deren eigentümlich-gespenstische Atmosphäre. So ist es kaum verwunderlich, dass der kanadische Filmemacher Guy Maddin immer wieder auf „Vertigo“-eske Momente stieß, als er zusammen mit seinen beiden Ko-Regisseuren Evan Johnson und Galen Johnson Kino- und Fernsehproduktionen sichtete, die in San Francisco gedreht wurden.

Aus dem ursprünglichen Vorhaben des Trios, einen aus bewegten Bildern bestehenden Liebesbrief an die nordkalifornische Stadt zu entwerfen, wurde deshalb im Endeffekt eine Hommage auf beziehungsweise ein Remake von Vertigo. The Green Fog setzt sich (abgesehen von einer einzigen Einstellung aus dem Original) aus Ausschnitten aus circa 100 Filmen und TV-Serien zusammen, die in einer fulminanten und geradezu unverschämt unterhaltsamen Montage die Geschichte des Hitchcock-Klassikers nacherzählen.

Bemerkenswert ist dabei nicht nur die Erkenntnis, dass sämtliche der ausgewählten Werke, die nach Vertigo entstanden, in irgendeiner Form den Geist dieses vielschichtigen Liebesthrillers atmen und dass sich ebenso in den herausgegriffenen Produktionen vor 1958 die Themen und Motive finden, die der Master of Suspense so zwingend bündelte, sondern auch die Kunstfertigkeit, mit welcher die drei Regisseure hier operieren und damit sowohl etwas über das Filmemachen im Allgemeinen als auch über die Methoden und bevorzugten Sujets von Hitchcock zum Vorschein bringen. Das mag nach knochentrockenem Proseminarstoff für Studierende der Filmwissenschaft klingen, wird jedoch mit einem Humor irgendwo zwischen herrlich albern, verwegen und „voll meta“ präsentiert.

Die vielen reaction shots, die in The Green Fog zum Einsatz kommen, lassen an den sogenannten „Kuleschow-Effekt“ denken: Indem Aufnahmen von Gesichtern in einen bestimmten Bilderkontext eingeschnitten werden, schreiben wir ihnen als Zuschauer_innen automatisch eine Bedeutung zu. So wird aus Karl Malden (als Lieutenant Mike Stone aus der zwischen 1972 und 1977 ausgestrahlten Krimiserie Die Straßen von San Francisco) mühelos ein Mann, der im Stile von James Stewart (als Scottie Ferguson in Vertigo) hinters Licht geführt wird – einfach weil die Bilder in ihrer Kombination eine Geschichte erzählen und somit das Einzelbild dramaturgisch vereinnahmt wird.

Der Score von Jacob Garchik, den das Kronos Quartet kongenial interpretiert, trägt dazu bei, dass sich ein überaus beglückender audiovisueller Rausch entfaltet: Die Bucht, der Asphalt, die stiebenden Männer auf Hausdächern (von Chuck Norris über Sidney Poitier bis hin zu einer in die Tiefe stürzenden Puppe) und die Augenblicke der Faszination, der Angst, des Wahns – sie werden zur großen Kinoerzählung und, natürlich, zu einem facettenreichen Stadtporträt.

Dass Hitchcock ein Regisseur war, der weniger in Worten als vielmehr in Bildern erzählte, wird von Guy Maddin, Evan Johnson und Galen Johnson großartig veranschaulicht, indem das Trio aus einem Großteil der Dialogszenen der verwendeten Filme und Serien die Worte entfernt: Was bleibt, sind die durch etliche jump cuts verbundenen Gesichtsausdrücke der Dialogpartner_innen in den Gesprächspausen (sowie diverse Atem-, Lach-, Schmatz- oder Schlucklaute), die den ausgewählten Produktionen – von denen nicht wenige aus dem qualitativen B- oder C-Segment stammen – etwas erstaunlich Avantgardistisches verleihen. Zugleich entdeckt man dabei die besondere Eleganz und den Witz dieser Werke, die ihre Figuren mal in Schwarz-Weiß, mal in kitschigen Weichzeichner-Farben, oft mit schrecklichen Frisuren und in desaströser Garderobe einfangen

Zu den interessantesten Themen, die in Vertigo verarbeitet werden, zählen gewiss die Geschlechterrollen. Auch hierzu liefert The Green Fog reizvolle Zusammenführungen. Wenn der junge Michael Douglas (aus Die Straßen von San Francisco) mit dem älteren Michael Douglas (aus Basic Instinct) konfrontiert wird und er dies erfreut mit „You look good, Mike!“ kommentiert, wird deutlich, dass sich gewisse Rollenbilder (etwa das vom harten Cop) über Jahre fortsetzen.

Wenn man hingegen sieht, wie Rock Hudson in der Polizeiserie McMillan & Wife (1971-1977) den hypermaskulinen Ermittler geben musste und in dieser Verkörperung nun ein schmusiges 1990er-Jahre-Musikvideo der Boygroup *NSYNC als „Beweismaterial“ begutachtet, zeigen sich auch die Veränderungen im Gender-Bereich der Bewegtbildmedien, die eine Collage wie The Green Fog ganz nebenbei und auf höchst amüsante Art und Weise erfassen kann.

The Green Fog (2017)

In seinem neuen Film, den er gemeinsam mit seinen beiden Mitstreitern von „Forbidden Room“ realisiert hat, wagt sich Guy Maddin an die Herausforderung, ein Remake von „Vertigo“ zu drehen, ohne auch nur einmal auf das Ausgangsmaterial des Meisters zurückzugreifen. Er wolle, so sagte er — eine Art „Version aus einem Paralleluniversum“ kreieren.

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