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Kommentar

Haltungsfragen

Ein Beitrag von Beatrice Behn

Beim Filmfest München hat sich Beatrice Behn  gewundert, warum viele der anwesenden RegisseurInnen politisches Kino machen, im Gespräch aber negieren, dass es politisch sei. Was ist da los? Steckt Angst dahinter? Oder reden wir aneinander vorbei, wenn wir vom „politischen Film“ sprechen?

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A Young Man With High Potential - Bild
A Young Man With High Potential - Bild

Ganz entgegen meines sonst gewohnt-gewöhnlichen Filmkritikerinnen-Daseins zwischen dunklem Kinosaal, stiller Schreibecke und der nächstgelegenen Kaffeezufuhrmöglichkeit habe ich dieses Jahr das Filmfest München völlig anders erlebt. Ich war im Hellen, denn eine Woche saß ich in der Kino-Zeit-Videobox im Gasteig, dem Zentrum des filmischen Vor-Ort-Wahnsinns, und habe eine Menge Interviews geführt.

Der Großteil dieser Interviews hatte folgende Parameter gemeinsam: Es waren stets die RegisseurInnen, mit denen ich sprach, und es handelte sich um neue Beiträge aus dem deutschen Kino. Viele, nicht alle, wurden in der deutschen Reihe uraufgeführt. Viele, nicht alle, waren eindeutig Vertreter von etwas, das ich als politisches Kino bezeichne. Und viele, aber nicht alle, verneinten meine Frage, ob ihr Film ein politischer ist, mal mehr, mal weniger vehement. Am Anfang war ich ein wenig verdutzt. Doch je häufiger ich hörte: „Nein, nein, mein Film ist nicht politisch! Ich will ja nicht predigen oder Leute überzeugen, ich will nur eine Geschichte erzählen“, desto mehr dachte ich, hier stimmt was nicht.

 

„ich will nur eine Geschichte erzählen …“

Reden wir aneinander vorbei? Was ist denn ein politischer Film überhaupt? In meiner Wahrnehmung jedenfalls nicht mehr das Kino Eisensteins. Längst sind die Zeiten vorbei, in denen man große Filme machen konnte, die man als politisch deklariert und die Dinge und die Menschen klar in zwei Lager teilt. Hier liegt auch der deutsche Arbeiterfilm begraben, der einst das Oben und das Unten der Gesellschaft gegenüberstellte. Doch die Linien sind nicht mehr eindeutig links oder rechts, oben oder unten, innen oder außen zu verorten. Unsere Welt ist globalisiert, komplex und sie brennt. Es ist nicht leicht, in diesem Chaos klare Fronten und Verläufe zu finden, so wie es einst einmal möglich war. Wie also soll hier politischer Film funktionieren? 

Für mich ist die Antwort tief verborgen im Kern des Filmemachens und -zeigens: Es geht um das Geschichtenerzählen. Jedes Geschichtenerzählen ist per se politisch. Damit ist jeder Erzählfilm ein politischer Film. Egal wie groß oder klein, Geschichten zu erzählen, bedeutet Stellung zu beziehen, zur Welt, in der man lebt. Es bedeutet ein Austausch von Erfahrungen und Ideen. Jede Geschichte, ob klein oder groß, persönlich und intim oder gesellschaftlich allumfassend, verweist auf eine Haltung zur Welt. Ob intendiert oder nicht, Geschichten beziehen Stellung, sie extrapolieren, analysieren, finden Metaphern, tauchen den Finger in Wunden, reflektieren gemeinsame Erfahrungen, streuen Wissen. Sie examinieren, befragen, wundern sich und geben ihrem Publikum etwas zum Ansehen, Anfühlen, Mit- und Nachdenken. 

So was von da von Jakob Lass; Copyright: DCM
So was von da von Jakob Lass; Copyright: DCM

Und das tun so viele dieser neuen deutschen Filme des Filmfest Münchens. So Was Von Da erzählt von jungen Menschen, die sich suchen und nur in dunklen Clubs finden, welche ihnen als semi-private safe-spaces dienen. Und die jetzt bedroht sind vom stets hungrigen Kapitalismus, der seine eigenen Kinder frisst. Ende Neu befragt die deutsche Postapokalypse nach den gängigen Standards von Männlichkeit, Macht und Gewalt, die die ganze Erde schon verschlungen haben und sich jetzt in den letzten noch stehenden Kerlen als Krebsgeschwüre durch ihre Eingeweide bohren. Ein Zerfressen werden von Hass und Gewalt, eine Metapher so dunkel und gelbgallig und so treffend für die hasserfüllten Parolenbrüller on- und offline, die die Welt brennen sehen wollen. Wir haben nur gespielt zeigt Kinder zwischen imaginären Grenzen, geografischen, kulturellen, sozialen, die deren Leben und Sterben bestimmen, während die, die diese Grenzen zogen, sie aufrechterhalten und auf sie pochen, doch gleichsam wegsehen. Denn was man nicht sieht, das gibt es nicht? So wie die Toten im Mittelmeer, die sich dort zu tausenden auf dem Meeresgrund stapeln.

Und dann ist da Alles ist gut, ein Film, konzipiert lang vor der #MeToo-Bewegung und jetzt mittendrin, der examinieren will, ob es nicht auch geht und emanzipiert ist, wenn Frau sich dem Opferstatus verwehrt. Ebenso in Kim hat einen Penis. Ein Schwanz und seine ganze symbolische und echte penetrative Macht, die plötzlich, gegen ein wenig Geld, auch Frauen gehören kann. Und dann? Was wenn die Binarität und die ihr zugeschriebenen Machtverhältnisse plötzlich so einfach und schnell verwirrt werden können? Wenn schon die kleine Zweierbeziehung hier ihre Form verliert, was bedeutet das für den Rest? Von Bienen und Blumen berichtet von der Landflucht in eine Utopie der Selbstbestimmung und dabei gleichsam auch vom Privileg, überhaupt „fliehen“ zu können. Yung sucht das Echte und die letzten Wege nach Ausdruck und Selbstbestimmung in einer Jugendgeneration, die schon von Anfang an weiß, dass sie kaum noch eine Chance hat … Die Liste geht weiter und weiter und weiter.

Alles ist gut von Eva Trobisch; Copyright: Trimaphilm
Alles ist gut von Eva Trobisch; Copyright: Trimaphilm

 

„Nein, nein, mein Film ist nicht politisch! Ich will ja nicht predigen oder Leute überzeugen …“

In ihrem Interview mit dem Spiegel beschreibt die – dezidiert politisch agierende – Filmemacherin Irene von Alberti ihr Arbeiten als nichtautoritär. Sie predigt nicht, sondern zeigt und offenbart ihre (politische) Haltung. Der kontemporäre politische Film, sei es ein so dezidierter wie von Albertis Der lange Sommer der Theorie oder eben jeder andere Erzählfilm, ganz unabhängig von seinem Ausmaß an direkten politischen Akten im Film, kann nicht mehr autoritär im Sinne propagandistischer Filme arbeiten. Dazu bedarf es einer Trennschärfe, die es nicht mehr gibt. Und wahrlich, predigen hat noch nie gut funktioniert. Zumindest nicht ohne Druck und Zwang dahinter.

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Ein politischer Film braucht keinen dezidiert politischen Akt. Vielleicht ist das das Missverständnis? Niemand wird Wackersdorf absprechen, ein politischer Film zu sein. Immerhin geht es um einen Politiker. Und das in Bayern. Der sich mit Zivilcourage gegen die CSU wehrt. Auch wenn der Film in einer anderen Zeit spielt, die Parallelen zu den Seehofers dieses Landes sind eindeutig. Noch dazu korrespondiert Oliver Haffners „Heimatfilm“ so wunderbar gar nicht mit Söders Idee derselbigen als Hilfsmittel zur Entwirrung „verwirrter Köpfe“.

Aber auch Mackie Messer — Brechts Dreigroschenfilm, A Young Man With High Potential, Nixen, Das schönste Mädchen der Welt, Safari — Match Me If You Can sind politische Filme. Sie zeigen eine Haltung zur Welt und ihrem Geschehen. Das beginnt bei der Themenwahl und endet weit nach dem Abspann. Auch unsere Interviews sind noch Teil davon. Hier zu sagen, dass man keinen politischen Film gemacht hat und von den Themen, den Aussagen, der Haltung Abstand zu nehmen, ist eben auch ein politischer Akt. Und noch dazu ein Privileg.

Mackie Messer; Copyright: Wild Bunch
Mackie Messer; Copyright: Wild Bunch

 

Die netten Jahre sind vorbei

Ich sage nicht, dass alle FilmemacherInnen, alle KünstlerInnen jetzt zwingend politisch agieren müssen. Aber ich frage mich, warum negieren, was eh da ist? Wo ist das Problem zu bejahen, dass die eigene Kunst politisch sei? Wieso nicht das Privileg nutzen, das man als KünstlerIn hat, mit dem man Menschen erreicht und bewegt, ihnen Welten, Ideen und ja, Haltungen eröffnet? Ist das nicht (auch) eine der Aufgaben von Kunst, vor allem in Zeiten wie diesen? Die netten Jahre sind vorbei, wir sind in einer Zeit massiver Umbrüche angekommen und Kunst ist und war schon immer ein großer und relevanter Teil des Kontemplierens und Austarierens. Ist es nicht Zeit die Verantwortung wieder zu übernehmen, sich nicht zu scheuen, sich dabei auch selbst zu hinterfragen und in den Dialog einzutreten, anstatt zu suggerieren, dass man nur eine Geschichte erzählen will? Als wäre das überhaupt möglich.

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