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Man ahnt: Wenn ein Film „Alles ist gut“ heißt, ist vermutlich gar nichts gut. Und auch wenn Hauptfigur Janne ihren Gegenübern immer wieder glauben machen will, dass alles in Ordnung sei und sie die Situation im Griff habe, wird schnell klar, dass sie mit jedem „alles ist gut“ die Lage verschlimmert.

Alles ist gut (2018)

Eine Filmkritik von Verena Schmöller

So etwas passiert mir doch nicht!

Janne ist mit Piet zusammen und in den vergangenen Jahren haben sie viel zusammen gemacht: einen kleinen Verlag geleitet und ihn in den Konkurs geführt, zusammen gewohnt, miteinander geschlafen, gemeinsam ein Haus in Niederbayern von Piets Onkel übernommen, um es zu renovieren. Nun wollen sie zusammen von München in die Provinz ziehen und einen Neuanfang machen. Sie reißen die Tapeten von den Wänden des alten Hauses, kaufen Holz im Baumarkt und übergeben dem Insolvenzverwalter die Geschäftsunterlagen. Der Umbruch ist durchgeplant, doch dann ändert sich wieder alles.

Die eigentliche Geschichte beginnt mit einem Klassentreffen: Janne (Aenne Schwarz) fährt nach Hause, trifft alte Freunde, tauscht sich aus. Eher zufällig lernt sie Martin (Hans Löw) kennen und verbringt an seiner Seite einen fröhlichen Abend. Sie lachen viel und haben Spaß – bis Janne „Nein“ sagt. Martin will Sex nach der Party, aber Janne formuliert ihr Nein erst fröhlich, dann entrüstet, dann verwirrt. Auch als sie sich im Gerangel verletzt, lässt Martin nicht von ihr ab und holt sich, was er will.

Die Vergewaltigung passiert auf erschreckend nüchterne, unspektakuläre Weise. Sie passiert einfach. Janne weiß in den wenigen Minuten, in denen sie vergewaltigt wird, nicht so recht, was mit ihr geschieht. Zuerst lacht sie, dann bezeichnet sie Martins Drängen als „albern“ – da ist ihr dieses „so etwas passiert mir doch nicht“ immer noch ins Gesicht geschrieben. Plötzlich wird die Lage ernst, aber bevor Janne dies merkt und reagieren kann, ist alles schon vorbei. Martin hat gewaltsam mit Janne geschlafen, obwohl sie das nicht wollte, und haut dann ab.

Janne putzt sich erst die Zähne und macht sich bettfertig, so wie scheinbar jeden Abend. Sie ist in einer stillen Form erschüttert über das Geschehene, das sieht man ihr an, aber sie macht normal weiter. Kurz bleibt sie am nächsten Morgen im Bett liegen und denkt offensichtlich nach, dann steht sie auf und fährt fort, als wäre nichts passiert. Sie trifft Robert (Tilo Nest), der ihr einen Job anbietet, beerdigt dessen Katze, trifft ihre Mutter (Lina Wendel) und erzählt auch Piet (Andreas Döhler) in Stichworten vom Klassentreffen.

Auch als jeder sie auf die Schramme im Gesicht anspricht, windet sich Janne aus dem Gespräch: erklärt die Verletzung mit einer übersehenen Kante, mit einem Sturz, aber nicht mit der ihr angetanen Gewalt. Fast vertraut sie sich ihrer Mutter an, aber als diese aufhorcht und konkrete Fragen stellt, weicht Janne aus. Sie will kein Opfer sein, will selbstbestimmt mit dem umgehen, was passiert ist, und es eben in den Griff bekommen. Sie beteuert immer wieder „es ist alles in Ordnung“, macht es aber mit jedem Mal, mit jeder Lüge, mit jedem Ablenkmanöver schlimmer. Alles ist gut erzählt von einem Strudel der Ereignisse, in den Janne gerät, ohne dies zu wollen. Sie verstrickt sich immer mehr in ihr Lügenkonstrukt, traut sich nicht zu erzählen, und man möchte sie schütteln und rufen: „Jetzt sag‘ doch was!“ 

Grundsätzlich ist Janne eine starke Frau, die Aenne Schwarz – auch in den feinsten Gesichtsausdrücken – überzeugend darstellt: Janne scheint die Insolvenz besser zu verkraften als Piet, der ausfällig und unberechenbar wird. Sie fasst schnell wieder Fuß und entscheidet sich schnell, als Robert ihr den Job der Cheflektorin anbietet. Sie macht anderen Mut und kümmert sich, hat alles im Griff. Für andere wie Robert, der von seiner Frau getreten und geschlagen wird, trifft sie Entscheidungen und übernimmt das Steuer. Ihre eigene Verletzung aber verdrängt und vernachlässigt sie – das auch ganz bewusst, um eben nicht Opfer zu sein und sich im Selbstmitleid zu ergießen. Am Ende aber weiß sie gar nicht mehr, in welchen Moment sie bestimmt handeln und Nein sagen soll und in welchen nicht. 

Eva Trobisch hat den Film geschrieben, als es noch keine #metoo-Debatte gab. Trotzdem passt Alles ist gut ganz gut zum Thema, weil er zeigt, wie schnell ein sexueller Übergriff geschehen kann und was er mit den Beteiligten macht. Und der Film zeigt auch Martins Perspektive: Seine Tat ist nicht die eines gewalttätigen Schwerenöters, eigentlich ist er nicht der Typ, der Gewalt ausübt, sondern ein anständiger junger Mann mit klaren Wertvorstellungen. Er übernimmt sofort Verantwortung für das, was geschehen ist, will mit Janne sprechen, will ihr helfen, und er würde – wenn er könnte – sofort alles ungeschehen machen. Ihm ist die Vergewaltigung – die im Film so nie bezeichnet wird – genauso einfach passiert wie Janne. Und er kommt scheinbar noch schlechter damit zurecht als Janne.

Der Film stellt viele Fragen und regt zum Nachdenken an – nicht nur über die Haupthandlung, sondern auch über die Nebenfiguren, das Rollenverhältnis von Mann und Frau, die Frage von Schuld und Verantwortung. Antworten und Lösungen gibt er keine, auch nicht für die Figuren. Hier steht man als Zuschauer am Ende ein wenig im luftleeren Raum und hätte sich – gerade im Kontext der aktuellen Diskussionen – ein klareres Statement gewünscht. Dennoch: Ein guter Film über ein wichtiges Thema mit einer überragenden Schauspielerin.

Alles ist gut (2018)

Wenn man die Dinge nicht zum Problem macht, hat man auch keins. Mit dieser Haltung begegnet Janne auch dem Umstand, dass der Schwager ihres neuen Chefs gegen ihren Willen mit ihr geschlafen hat. Sie verheimlicht den Vorfall und lässt alles erstmal seinen gewohnten Gang gehen. Doch ihr Schweigen hat Folgen, nicht nur für die Liebe zu ihrem Freund Piet.

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Meinungen

Brigitte · 23.10.2018

Sprachlos und schockierend. Ob so etwas dieser unsympathisch wirkenden "Janne" als Typ aufgeklärte Frau tatsächlich passiert wäre? War sie nicht clever genug zu wissen, daß sie einen Mann nicht einfach nachts nach einer Fete bei sich schlafen lassen kann? Hätte sie nicht ggf. die Pille oder eine Spirale verwendet, nachdem sie einen festen Freund hat? Hätte sie nicht auch zur einer Frauenärztin oder einer Beratungsstelle gehen können oder sich wenigstens die Pille "danach", die seit letztem Jahr frei verkäuflich ist, holen können? Oder sich der einzig autentischen Darstellerin, ihrer "Mutter" , die sie mehrmals direkt angesprochen hat, anvertrauen können? Was hat diese Sprachlosigkeit in unserer aufgeklärten Gesellschaft zu tun? Es ist leider eher ein ganz anderer Frauentyp, der verheimlicht und versteckt und dem solches Malheur passiert - dann wäre auch etwas Mitgefühl für die Situation entstanden. So bleibt nur ein Wutgefühl auf die verschiedenen Frauentypen in diesem Film : Janne = sprachlos, anklagend, die Frau des Verlegers = oberzickig beim Wunsch nach künstlicher Befruchtung; die "Klinik-Schwester" - doof und dumm; auch die Männer schneiden ganz schlecht ab: Martin = eher ein Softie, denn ein "Vergewaltiger"; der "Freund" = gefühllos und ohne jegliche Antenne; der "Verleger" = ein Versager im Bett. Es bleibt ein sehr schales Gefühl zurück auch angesichts der vielen unglücklichen nackten Szenen (Sauna, vor der Tür des Freundes). Ein Film, der nicht aufklärt, der in keinster Weise für die Rechte des Kindes und Rechte der Partner von "Janne" , die Wahrheit zu erfahren, eintritt - und zum Schluss wieder in einer Interruptio endet. Wirklichkeitsverzerrter Film!

Andy · 15.08.2020

Wenn man mehr dahinter sieht.... Excelente Darsteller, weil es sich genau so im echten Leben so verhält. Die wirklich Starken wollen keine Opfer sein. Es geht hier darum unter "Schock' weiter zu funktionieren und welche Auswirkungen das hat. Und über das Opfer zu sagen, sie hätte so und so handeln müssen. Für mich absolut daneben.

Theresa · 11.10.2018

Bei dieser Formulierung muss ich sehr schlucken:
"Ihm ist die Vergewaltigung – die im Film so nie bezeichnet wird – genauso einfach passiert wie Janne." Nein, einfach nein!
Ja, Martin hatte das so wohl nicht beabsichtigt. Wenn ein Mann eine Frau aber trotz mehrmaligem Widerspruch zum Sex zwingt oder sie überrumpelt, ist ihm das nicht "einfach passiert". Er hat es aktiv getan, auch wenn er vielleicht nicht viel darüber nachgedacht hat und Gewalt nicht beabsichtigt war. Und damit ist er auch dafür verantwortlich. Das sehe ich auch bei dem Film so.
Und ich stimme übrigens zu: es ist sehr gut und wichtig, dass Martins Perspektive auch in dem Film vorkommt.

Rebecca · 02.10.2018

Intensiv, roh und schwer zu vergessen. Wunderschön gefilmt und Aenne Schwarz ist fantastisch.

Nina · 19.09.2018

Ohje, der arme Mann, der die Frau vergewaltigt hat. Ist bestimmt ganz schlimm für ihn.

Laura · 16.09.2018

Ah, tut das gut nach den Hyperventilationen der letzten Wochen. Endlich finde ich, wenigstens in der Ferne einer Leinwand, eine Schwester im Geiste. Denn genau so habe ich gehandelt vor langer Zeit, und es war richtig für mich.
Im Zuge der MeToo Debatte habe ich um einen anderen Ansatz geworben, bin aber von meinen Schwestern übel niedergemacht worden, oh je.
Danke für Euren Mut, Schwestern!

Phil · 20.07.2018

Aenne Schwarz ist fantastisch.

Ulrike Lechner · 04.07.2018

5 Sterne!

U. Lechner · 04.07.2018

Sensibler, vielschichtiger Film der zum Nachdenken anregt. Trotz des anfangs ruhigen Erzähltempos entfaltet der Film einen unheimlichen Sog.

Frau ,die anders tickt · 25.09.2021

Ein Film , der mich nicht überzeugt, der eine merkwürdig unsympathische Frau zeigt, die mit einem unsympathischen Kerl liiert ist und in deren Beziehung eine fast körperlich schmerzliche Sprachlosigkeit herrscht. Ihr Verdrängen einer Tat, an der sie nicht ganz unschuldig ist, bringt gar nichts. Warum trinkt sie so viel? Warum ist sie so naiv dumm gegenüber Martin und sagt so halbherzig nein und nimmt noch einen Mann mit nach Hause. Sie provoziert als coole so selbständig wirkende Frau die Situation der Vergewaltigung. Der Film lässteigentlich alle Fragen unbeantwortet und der Schluss ist mehr als offen....sie ist nicht mehr Herrin ihrer selbst . Ich habe diesen schweren ,unverdaulichen Film nicht genossen, noch verstanden, da ich in allen Punkten anders gehandelt hätte. kein zweites Mal. und ab 12 ist der auch nicht, sondern mindestens ab 16.