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Michael Fetter Nathansky widmet sich in „Alle die Du bist“ der erschreckenden Ahnung, dass eine Liebe ihr Ende gefunden haben könnte.

Alle die Du bist (2024)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Wer bist Du – und wenn ja, warum so viele?

Der Liebesfilm erzählt in der Regel davon, wie zwei Menschen tiefe Gefühle füreinander entwickeln. Das Gegenüber wird alsbald als absolut einzigartig empfunden – weshalb es dann genau diese und keine andere Person sein muss, mit der es zum Happy End kommt, oder um die, im Falle eines tragischen Endes, bitterlich getrauert wird. Das Wieder-Verlieben in einer vermeintlich schon gescheiterten Beziehung wird zuweilen in komödiantischer Form (jüngst etwa in „Ticket ins Paradies“) thematisiert, während das finale Ende einer Zuneigung in bitteren Dramen wie „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ (1966) gezeigt wird.

Der Regisseur Michael Fetter Nathansky befasst sich in Alle die Du bist auf sehr facettenreiche Weise mit dem Sujet der Liebe, indem er uns zum einen demonstriert, wie viele unterschiedliche Seiten wir an einem Menschen lieben und erkennen können – und wie erschreckend und unerklärlich es zum anderen sein kann, wenn uns dieses extrem starke Gefühl plötzlich abhandengekommen zu sein scheint. Wenn also keine hochdramatischen Umstände wie bei Shakespeare oder in Casablanca (1942) der Grund für das Liebes-Aus sind, sondern schlichtweg die Befürchtung im Raum steht, dass die Liebe (vielleicht) nicht mehr da ist – einfach so.

Zu Beginn des Films sehen wir, wie Nadine (Aenne Schwarz) an die potenzielle neue Arbeitsstätte ihres Mannes Paul gerufen wird, weil dieser sich offenbar aufgrund einer Panikattacke eingesperrt hat, um der stressigen Situation eines Bewerbungsgesprächs zu entgehen. Nadine begibt sich zu Paul, den wir überraschenderweise in Gestalt eines Tieres kennenlernen. Nachdem Nadine ihn beruhigt hat, ist Paul plötzlich ein Kind (verkörpert von Sammy Schrein). Rasch begreifen wir jedoch, dass nur Nadine und wir als Publikum diesen wechselhaften Blick auf Paul haben, der uns auch noch als junger Mann (Youness Aabbaz), als ältere Dame (Jule Nebel-Linnenbaum) und schließlich in seiner heutigen Form (Carlo Ljubek) erscheint. Alle anderen nehmen nur den gerade aktuellen Paul wahr.

Dieses Konzept funktioniert im Laufe des Werks mal besser und mal schlechter. Im Gesamten weiß Alle die Du bist indes zu überzeugen. Das liegt unter anderem an der sehr feinen Art, in der Fetter Nathansky das von diversen Ambivalenzen gekennzeichnete Verhältnis zwischen Nadine und Paul auffächert. Durch gelegentliche Rückblenden erfahren wir, dass Nadine mit Mitte 20 als alleinerziehende Mutter einer Tochter von Brandenburg nach Köln kam, um als Fabrikarbeiterin in der Kohleindustrie tätig zu sein. Dort begegnet sie Paul; zunächst geraten die beiden heftig aneinander. In der Gegenwart haben sie eine weitere Tochter. Paul ist ein hingebungsvoller Vater, der jede Situation mit Gelassenheit und Humor zu lösen versucht.

Die Szenen zwischen dem Paar sind immer wieder spannend, da sie nicht auf Eindeutigkeiten und Klischees setzen. Mal ist Nadine radikal ehrlich (und entsprechend gemein) zu Paul; dieser lässt sich aber nicht provozieren, sondern reagiert verblüffend charmant auf Nadines abweisendes Verhalten. Und mal interagieren die beiden überaus spielerisch miteinander – was dann wiederum schnell in einen Konflikt kippen kann. Aenne Schwarz und Carlo Ljubek (sowie die übrigen Darsteller:innen von Paul) lassen sich spürbar auf die Komplexität ihrer Rollen ein und liefern eindrückliche Leistungen.

Obendrein wird das berufliche Umfeld der Figuren glaubhaft in einem sozialrealistischen Stil beleuchtet. Dem Betrieb, in dem Nadine und zunächst auch Paul angestellt sind, droht eine Umstrukturierung, die mit Entlassungen oder Gehaltskürzungen einhergehen könnte. Als Vorsitzende reibt sich Nadine in Gesprächsrunden mit den Kolleg:innen auf. Ähnlich wie in der Beziehung mit Paul, will sich Nadine „darum kümmern“, die Sache klären und in Ordnung bringen. Alle die Du bist ist ein Film, der einerseits in seiner verschachtelten und ungewöhnlichen Art der Schilderung etwas Abstraktes hat, und andererseits eine große Nähe und authentische Anmutung erzeugt – wodurch er letztlich ebenso faszinierend widersprüchlich ist wie die Gefühle, von denen er erzählt.

Gesehen auf der Berlinale 2024.

Alle die Du bist (2024)

Was ist, wenn der Mensch, den du am meisten liebst, auf einmal ein Fremder in deinen Augen ist? Nadine, eine aufopferungsvolle Fabrikarbeiterin, versucht ihre tiefsten Gefühle für ihren Mann wieder aufleben zu lassen. Doch wen hat sie einst in ihm gesehen, den sie nun nicht mehr finden kann? „Alle die Du bist“, ein romantisches Sozialdrama über den schleichenden Prozess des Entliebens und den anfänglichen Zauber des Verliebens.

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