Der lange Sommer der Theorie (2017)

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Künstler-Bohème oder: Die große Frage nach dem quid ergo.

Eine Farce ist das. Aber wer sagt, dass eine Farce keine Echtheit beinhalten soll, keine Wahrheit? Auf jeden Fall ist Der lange Sommer der Theorie der einzige Spielfilm, den ich kenne, der ein Literaturverzeichnis im Anhang hat. Den Titel zu ihrem Film hat Irene von Alberti einem Buch entlehnt, in dem sich der Historiker Philipp Felsch mit den linkstheoretischen Grundlagen der 68er-Revolution befasst. Felsch tritt im Film auf, als Interviewpartner, ansonsten erleben wir episodisch das Diskursleben in einer Dreier-WG, mit Protagonistinnen, die mehr oder weniger sich selbst spielen, die aber sicherlich ihre eigene Haltung einbringen zu Leben, Gesellschaft, Politik – wobei dies ohnehin nicht zu trennen ist.

Martina Schöne-Radunski hat eine Hauptrolle inne – in Philipp Eichholtz‘ Luca tanzt leise spielte sie die Hauptrolle, ein German-Mumblecore-Film, eine Komödie um Depression und Leiden an den Strukturen. Timo Jacobs hat eine Nebenrolle im Film – sein Mann im Spagat läuft diesen Sommer im Kino an, ein Panoptikum der Kreuzbergbekloppten, das sich hintenrum ernsthaft mit dem Leben am Rande beschäftigt. Einen Dankeschön-Credit für hilfreiche Kommentare bekommt im Abspann Julian Radlmaier, dessen kommunistische Groteske Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes ebenfalls in diesen Wochen ins Kino kommt. Irene von Alberti versammelt Freunde, Bekannte und Diskussionspartner für diesen Film, die dem Unbehagen an der Gesellschaft Ausdruck geben, die theorie- und diskursfest sind, die Fragen stellen, auf die sie keine Antworten kennen; Fragen, die aber immerhin die Grundlage zu etwas sein könnten.

Und dieser Thesenfilm nun kommt nicht trocken daher, sondern als selbstreferentielle, ironische, absurde Komödie. Ursprünglich geplant als Fortsetzung von Stadt als Beute, in dem von Alberti mit Miriam Dehne und Esther Gronenborn den Ausverkauf von Berlin filmisch porträtierte, entwickelte sich in Zusammenarbeit mit den Protagonistinnen ein ganz eigener Film, der die Situation des Individuums inmitten der Mahlsteine einer verkrusteten Politik, eines erstarkten rechten Randes, einer gesellschaftlichen Pflicht zur Selbstoptimierung, einer beständigen Lebens-Performance, eines Gefühls des Untergebuttertseins, einer Energie der kreativen Kraft behandelt. Und zwar: Als Film im Konjunktiv sozusagen, in einer theaterhaft ausgestalteten WG – „nehmen wir also an, wir leben hier zu dritt“, so wird die Wohnsituation eingeführt –, als uneigentlich Hypothetisches. So, wie sich die Drei immer wieder in mögliche Parallelwelten eindenken, mit Kindern im großen Garten oder in einem Schloss.

Film im Konjunktiv – aber durchsetzt mit echten Interviews echter Sozialwissenschaftler. Da geht es um den linken Diskurs der vergangenen Jahrzehnte, um Feminismus und staatliche Familienförderung, um Demoskopie und Lebensformen, um die Kunst im Leben und das Leben in der Kunst. Carl Hegemann fährt Bobby Car. Boris Groys steckt inmitten des absurd bis albernen Futurismus von Cyberobics, Fitnessfetischismus mit beständig mit Workout-Videos bebilderten Wänden. In einer Kita reden zwei Feministinnen über Elterngeld. Interviewt werden sie von Julia Zange in einem aus Wörtern bestehendem Anzug. Dann wieder erleben wir ein Punkkonzert mit Martina Schöne-Radunski als Frontfrau; und Katja Weilandt spielt Eva Braun, plötzlich wird alles zu einem Kostümfilm.

Episodisch, improvisiert und assoziativ wirkt dieser Film, ein Essay, der sich tief hineinwühlt in die Materie und dabei großen Spaß macht. Der rote Faden nämlich ist, dass alle ohnehin nur Figuren in einem Film sind, den unsere drei WG-Bewohnerin zu drehen gedenken. Und den sie konzipieren: Muss eigentlich irgendwo eine Identifikationsfigur sein? Bestehen wir den Bechdel-Test? Und zwischendurch der Sexy-Lamp-Test: Männer, die keine Rolle spielen, werden mit einer kleinen Zauberei in dekorative Stehlampen verwandelt und wenn sich im Film nichts ändert, ist der Mann durchgefallen. Damit reiht sich der Film ein in die diskursiv-komischen Filme, die in den vergangenen Jahren aus der Hauptstadt kommen – Ich will mich nicht künstlich aufregen oder Orientierungslosigkeit ist kein Verbrechen tragen gar kunstvolle Titel wie einst in den 1970ern; und diese Filme sind jedenfalls besser zu konsumieren, machen mehr Spaß und sind wahrscheinlich auch klüger als ein Zeit-Dossier.

Was tun? Das ist die Frage, die alle leitet, und die WG muss in wenigen Tagen aufgegeben werden. Die Interviews reichen kaum für den geplanten Film, dafür versammeln sich abendlich die Gleichgesinnten zur großen Diskussionsrunde. Und die Stehlampenmänner dürfen auch wieder mitmachen. War’s das? Oder ist es erst der Anfang?
 

Der lange Sommer der Theorie (2017)

Eine Farce ist das. Aber wer sagt, dass eine Farce keine Echtheit beinhalten soll, keine Wahrheit? Auf jeden Fall ist „Der lange Sommer der Theorie“ der einzige Spielfilm, den ich kenne, der ein Literaturverzeichnis im Anhang hat. Den Titel zu ihrem Film hat Irene von Alberti einem Buch entlehnt, in dem sich der Historiker Philipp Felsch mit den linkstheoretischen Grundlagen der 68er-Revolution befasst.

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