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Jakob Lass reitet fröhlich auf der aktuellen Independent-Improvisations-Welle, die durch die deutsche Filmlandschaft schwappt: Diesmal – nach Love Steaks und Tiger Girl – mit der Romanadaption So was von da, die klug, energisch und emotional einen Weg durchs Chaos schlägt.

So was von da (2018)

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Mittendrin statt nur dabei

Am Anfang: Der Wunsch nach dem Abspann. Nein, nein, das ist kein Wunsch des Zuschauers, sondern der Wunsch des Protagonisten Oskar. Denn besser kann es nicht werden – besser als dieser Moment, wenn alle Freunde sturzbetrunken an ihn gelehnt sind mit einer Reihe Absinthgläser vor sich. Und Oskar, natürlich ebenso breit wie seine Freundefamilie, weiß: Dies ist der Höhepunkt seines Lebens. Es ist der Höhepunkt des Films: So was von da schildert eine Silvesternacht, an deren Ende dieser eine große Moment steht. Nur: Für den Zuschauer ist der Moment nicht ganz so aufgeladen. Vielmehr eine Horde Betrunkener am Tresen. Das ist das formidable Doppelspiel dieses Films: zeigen und fühlen, sein und meinen gehen nicht immer zusammen …

Und deshalb ist es auch vollkommen in Ordnung, recht exzessiv zu einem einigermaßen abgehangenen Stilmittel zu greifen: Das Voice-over von Oskar begleitet den Film und trägt dazu bei, die Kluft klarzumachen zwischen dem, was wir sehen, und dem, was er sieht. Zumal dieses Voice-over direkt an den schnoddrigen Ton der Romanvorlage angelehnt ist; und auch wenn ein Satz wie „Meine Seele ist so kaputt wie meine Tür“ allzu pathetisch ist – auch wenn vorher Kiezkalle und seine Schläger in Oskars Bude eingebrochen sind –, passen sich Tonfall des Textes und Tonfall des Filmes perfekt einander an.

Denn Jakob Lass geht seine Erzählung flippig an. Flippig und ausgeflippt. Flippig, ausgeflippt und rasant. Rasant, energiereich, temporeich. Ohne Rücksichten auf Chronologie oder Erzählfluss. Sein Prinzip ist das Stakkato, das Abhacken von Szenen, auch innerhalb der Szenen, mit Jump Cuts und schnellen Einschüben zu etwas ganz anderem. Weil das diese eine Nacht so richtig nachfühlbar macht: Die letzte Nacht in Oskars Club, der Kult war in der Hamburger Szene, aber auch hochverschuldet, der nun schließen muss wegen Finanzproblemen und Gentrifzierung. An diesem Silvesterabend geht nicht nur ein Jahr zu Ende, sondern auch ein Lebensabschnitt, für Oskar, für seine Clique, für die Clubbesucher.

Und wir marschieren mit diesem Film mittendurch, durch das Chaos hinter den Kulissen, durch die feiernden Massen und durch die Musikacts, die auf der Bühne ihr Bestes geben. Und wir sehen all die Probleme, die sich um Oskar herum aufbauschen, auf ihn hereinbrechen und aus denen er sich immer wieder herauswindet, nur um mit dem nächsten Problem konfrontiert zu werden. Und wir sehen, dass genau das sein Leben ist, das, was sein Bestes herauskehrt. Wenn Kiezkalle 10 Riesen fordert und ihm droht, die Finger zu brechen. Wenn die Frau Innensenatorin auftaucht, ausgerechnet die Mutter des Musikers, der mit diesem Club angefangen hat und inzwischen zum Star etabliert ist: Die Innensenatorin, die so eifrige Verfechterin von Kameraüberwachung und Abriss und Neubau und all dem rechten Scheiß ist. Wenn Elvis auftaucht, Vater unseres Musikerstars, selbst ein Musikerstar, aber seit Jahren in Medikamentennebel verschollen und von seiner Frau, der Innensenatorin, mutmaßlich aus Scham weggesperrt. Und wenn dieser Vater – gespielt von Bela B. Felsenheimer – dann mitten am Abend wegkippt und so gut wie stirbt. Und wenn dann noch Mathilda auftaucht, die große Liebe in Oskars Leben, die ihm das Herz gebrochen hat und von der er emotional nie weggekommen ist. Und wenn dann auch noch Heidi, eine seiner durchgeknalltesten Mitarbeiterinnen, eine riesige Glasscherbe im Fuß hat und blutend weiterfeiern will und ganz nebenbei gesteht, dass in ihrem Kopf ein golfballgroßer Tumor wuchert. Dann: Dann ist das eigentlich fast schon zuviel. Aber nicht ganz: Weil wir bei etwas weniger Tumult an diesem Abend diese wunderbare Szene sehr vermissen würden, in der Oskar Heidis Schädel öffnet und den Tumor rausholt, ein leuchtendes Stück Gewebe…

Man sieht: Was real ist, was Wunsch, was Erinnerung, was Phantasie und was völlig drogenumschwurbelter Quatsch, ist nicht ganz leicht zu unterscheiden. Andererseits natürlich können wir der Geschichte folgen: Jakob Lass ist ein starker Erzähler, der auch – oder vielleicht vor allem – das Durcheinander beieinander halten kann. Sein Love Steaks ist noch immer eine der dynamischsten Liebesstorys der letzten Jahre, und Tiger Girl war zwar etwas zu diffus, aber immer noch voll Energie. Jetzt hat Lass sich auf eine Romanverfilmung eingelassen – das hat einerseits ein eingebautes Sicherheitsnetz im Gegensatz zu den vorherigen improvisierten Arbeiten, ist aber andererseits doch so locker genommen, dass die Frische der Inszenierung erhalten bleibt.

Gedreht wurde an 4 Tagen in einem echten Hamburger Club, während des Betriebs, die Schauspieler mussten sich mit dem echten Treiben um sie herum auseinandersetzen. Und: Lass baut geschickt Hamburger Lokalkolorit ein. Nicht nur, dass Bands wie Großstadtgeflüster auftreten oder Bela B. vom Tintenfischmann singt, auch der Bösewicht, der Kiezkalle, ist echt: Karl-Heinz Schwensen, direkt aus dem Rotlichtmilieu, spielt sich selbst.

So was von da (2018)

Hamburg, St. Pauli, Silvester. Oskar Wrobel betreibt einen Musikclub in einem alten Krankenhaus am Ende der Reeperbahn. Sein Leben war ein Fest. Doch jetzt sieht es aus, als ob es zu Ende wäre. Denn während in den Straßen von St. Pauli die Böller explodieren, laufen die Vorbereitungen für die große Abrissparty – der Club muss schließen. Oskar hat Schulden und keine Ahnung, was aus ihm werden soll…

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