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OLLE KLAMOTTEN? – KOSTÜMFILME IM SPIEGEL IHRER ZEIT

Ein Beitrag von Falk Straub

Ob im seriellen Format wie dem Netflix-Hit „Bridgerton“, als Streaming-Produkt wie die jüngste Jane-Austen-Adaption „Überredung“ oder im Kino mit Filmen wie „Jeanne du Barry“ – Kostümdramen erleben einen Höhenflug. Auf den ersten Blick erscheint das Schwelgen in vergangenen Epochen rückwärtsgewandt. Doch wie viel Neues, Modernes und Progressives steckt in den Filmen? Unser Autor Falk Straub nimmt einige ausgewählte Kostümdramen unter die Lupe.

Meinungen
Zweimal Austen, einmal Alcott: „Little Women", „Überredung" und „Stolz und Vorurteil"
Zweimal Austen, einmal Alcott: „Little Women", „Überredung" und „Stolz und Vorurteil"

Wer sich beruflich mit Geschichte befasst, beäugt Historien- und Kostümfilme kritisch. Denn kaum einer hält den Kriterien der Geschichtsschreibung stand. Wo die Historiografie zu Sachlichkeit, Differenziertheit und Diskursivität angehalten ist, verlangt das Kino nach dem Gegenteil. Was nicht verwundert, handelt es sich doch um ein erzählendes Medium, das dramaturgischen Regeln folgt. Im Historien- und Kostümfilm geht es persönlich, nicht selten parteiisch und immer emotional zu. Es wird verengt, vereinfacht und zugespitzt. Egal ob aus den Leben bedeutender Menschen oder aus denen historischer Randfiguren, mit denen eine Identifikation häufig leichter fällt, erzählt wird, meist rückt das Weltgeschehen in den Hintergrund. Das Private erhält den Vorzug vor dem Politischen, wobei das eine ohne das andere nicht geht, denn allzu gern wird Politik im Historien- und Kostümfilm im Bett betrieben.

Warum dem so ist, können am Genre Interessierte in dem von Fabienne Liptay und Matthias Bauer herausgegebenen Sammelband Historien- und Kostümfilm in der Reihe Filmgenres des Reclam Verlags nachlesen. Geht es nach Liptay und Bauer, dann hat das (nicht nur, aber sehr viel) mit der Erwartungshaltung von uns Zuschauenden zu tun. Den Filmen „und ihrem Publikum kommt es meist auf die Erlebnisweise der Figuren an“, schreiben Liptay und Bauer in der Einleitung des Bands. „In dieser Hinsicht war Ernst Lubitschs Madame Dubarry (1919) […] modellbildend“, heißt es dort weiter. Bei Lubitsch verkörperte Stummfilmstar Pola Negri die Mätresse des französischen Königs Ludwig XV. und war damit nicht einmal die Erste, die in dieser Rolle auf Film gebannt wurde. Zwei Jahre vor dem deutschen Stummfilm hatte es 1917 bereits einen amerikanischen (mit der nicht minder einnehmenden Theda Bara in der Titelrolle), 1914 einen italienischen und zahlreiche Kurzfilme gegeben, die sich dem märchenhaften Aufstieg des Mädchens vom Lande widmeten, das 1743 als Marie Jeanne Bécu geboren wurde und 1793 unter der Guillotine endete. 

Weitere Kinoauftritte folgten, darunter so kuriose Auswüchse wie das Film-Musical Du Barry Was a Lady (1943) mit Lucille Ball und Gene Kelly nach dem gleichnamigen Bühnen-Musical von Cole Porter, doch nach der französisch-italienischen Produktion Madame du Barry (1954) mit Martine Carol in der Titelrolle war es im Lichtspielhaus beinahe 70 Jahre still um die eigenwillige Aufsteigerin. Zwar tauchte sie in Kostümfilmen rund um die Französische Revolution am Rande auf – Asia Argento spielte sie beispielsweise in Sofia Coppolas Marie Antoinette (2006) – im Zentrum des Geschehens steht sie nun aber erstmals wieder in Jeanne du Barry von und mit Maïwenn

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Anlass genug, sich einige ausgewählte Historien- und Kostümfilme der vergangenen 30 Jahre noch einmal anzusehen. Um die Auswahl übersichtlicher zu gestalten, liegt der Fokus mit wenigen Ausnahmen auf einer der nach wie vor populärsten Ausprägungen: Literaturadaptionen fürs Kino, die aus weiblicher Sicht erzählt sind.

EINE FRAGE DER PERSPEKTIVE: ALTE WERKE NEU GESEHEN

Beim Thema Kostümfilm gibt es um William Shakespeare (1564–1616) kein Umhinkommen. Die Stücke des englischen Dramatikers dienen dem Genre als wohl reichhaltigste Klamottenkiste, in die bis heute munter gegriffen wird. Für eine Betrachtung in diesem Artikel kommt allerdings kaum eine Adaption infrage. Denn beim Dichter aus Stratford-upon-Avon spielen Frauen meist nur die Neben- und bestenfalls die zweite Hauptrolle. 

Eine Möglichkeit, dieses Problem zu umgehen, ist ein Wechsel der Perspektive. In ihrer Hamlet-Variation Ophelia (2018) erzählt Regisseurin Claire McCarthy die bekannte Geschichte um den dänischen Prinzen konsequent aus der Sicht der von Daisy Ridley gespielten Titelheldin. Der Film basiert auf dem gleichnamigen Roman von US-Autorin Lisa M. Klein und wie in der Vorlage gibt sich die wissbegierige Ophelia nicht damit zufrieden, von gesellschaftlicher Teilhabe, etwa dem Besuch der Bibliothek des Schlosses, ausgeschlossen zu werden. Aus einer dem Wahnsinn Verfallenden, die dem Willen der Männer machtlos ausgeliefert ist und am Ende ins Wasser geht, wird so eine Strategin, die ihren Wahnsinn nur vortäuscht, um dem Willen der Männer zu entgehen. Sie beeinflusst das Geschehen und wird dafür zwar nicht mit einem Happy End, aber mit dem Überleben belohnt. Auch den Frauen an Ophelias Seite, Königin Gertrude und ihrer hinzugedichteten Schwester Mechtild (beide von Naomi Watts gespielt), wird mehr Platz eingeräumt. Feministische Neuinterpretationen würde man sich öfter wünschen. Doch oft fehlt der Wille, die Vorlage umzugestalten.

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Fast forward ins 19. Jahrhundert: Shakespeares Landsfrauen Jane Austen (1775–1817) und die Schwestern Charlotte (1816–1855), Emily (1818–1848) und Anne Brontë (1820–1849) sowie US-Kollegin Louisa May Alcott (1832–1888) rücken Frauen ins Zentrum ihrer Literatur und bescheiden stattdessen die Männer mit Nebenrollen. Wie schwierig sich dieser Perspektivwechsel gestaltet, zeigt sich unter anderem daran, dass sowohl die Schwestern Brontë (ganz im Gegensatz zu ihrem ihrem Bruder Branwell, der ebenfalls schrieb) als auch Alcott zunächst nur unter Pseudonym veröffentlichen; die Schwestern unter männlichem, Alcott unter einem, bei dem das Geschlecht nicht ersichtlich war. Jane Austen wiederum versteckt sich zeitlebens hinter der kryptischen Autorinnenzeile „by a Lady“.

ADEL VERPFLICHTET: DIE UNAUSWEICHLICHKEIT DER EHE 

Wie feministisch Austens Werk ist, darüber lässt sich trefflich streiten. Festzuhalten ist zumindest, dass die Protagonistinnen ihrer Werke weniger frei und wild wirken als die der Schwestern Brontë und die vier Schwestern in Alcotts Roman Little Women (1868/69). In der landed gentry, also im Umfeld des niederen Landadels angesiedelt, benehmen sich Austens Protagonistinnen in der Regel, wie es sich für ihre Kreise geziemt. Ihre Gedanken wiederum kreisen darum, eine gute Partie zu machen, denn trotz verhältnismäßig wohl situierter Lebensumstände – bei Austen nagt niemand am Hungertuch, weder die ökonomisch abgestiegenen Schwestern Elinor, Marianne und Margaret Dashwood aus Sinn und Sinnlichkeit noch die aus armen Verhältnissen emporsteigende Fanny Price aus Mansfield Park – ist jede von ihnen letzten Endes auf einen Mann angewiesen. 

Dieser Umstand wird mal kritisiert, mal ridikülisiert, aber letztlich immer erfüllt. Und die Austen-Adaptionen halten sich in puncto Heirat fleißig an die Vorlagen. Selbst die vollkommen untalentierte Ehestifterin Emma Woodhouse aus Austens Roman Emma landet im Hafen der Ehe, obwohl sie es gar nicht nötig hätte. In Douglas McGraths Verfilmung aus dem Jahr 1996 weist die von Gwyneth Paltrow gespielte Titelheldin explizit darauf hin: „Ich habe keine Veranlassung zu heiraten. Mir mangelt es weder an Vermögen noch an Ansehen und niemals könnte ich einem Mann so viel bedeuten wie meinem Vater.“ Darauf aufmerksam gemacht, dass sie als alte Jungfer enden könnte, entgegnet Emma, dass nur die Armut Ehelosigkeit verachtenswert mache. Eine vermögende ledige Frau würde indessen immer geachtet werden. Dieser leisen Kritik an den bestehenden Verhältnissen ungeachtet, bleibt Emma, ganz im Gegensatz zu Austen selbst, am Ende allerdings nicht ledig. 

Auch die 24 Jahre jüngere Verfilmung von Regisseurin Autumn de Wilde mit Anya Taylor-Joy in der Titelrolle wagt diesbezüglich nicht, von der Vorlage abzuweichen. Der ebenfalls Emma. (allerdings mit einem Punkt am Ende) betitelte und durchaus zeitgemäß fürs 21. Jahrhundert inszenierte Film kam bei der Kritik besser an als die Version aus dem Jahr 1996 und wartet mit einer Protagonistin auf, die Taylor-Joy schnippischer und parodistischer anlegt als noch Paltrow, deren Interpretation vornehmlich um Charme bemüht ist. Noch böser als Taylor-Joy ist nur Austen-Protagonistin Lady Susan Vernon, in Whit Stillmans Lady-Susan-Adaption Love & Friendship (2016) von Kate Beckinsale verkörpert. Doch selbst diese unverhohlen auf den eigenen Vorteil bedachte, so gar nicht feine Dame der feinen Gesellschaft bedarf am Ende einer Ehe, um sich abzusichern, darf dabei aber immerhin ihren Liebhaber, von dem ihr Göttergatte nichts ahnt, behalten.

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Angesichts solch flotter, sich von der Vorlage und deren Entstehungszeit entfernender Adaptionen wie Stillmans und de Wildes muss die Frage erlaubt sein, warum in romantischen Komödien auch in den 10er- und 20er-Jahren des 21. Jahrhunderts am Ende zwingend geheiratet werden muss. Allein mit Werktreue lässt sie sich nicht beantworten. Gemessen an der Anzahl Alleinlebender, die in den westlichen Industrienationen beständig steigt, müsste doch endlich auch einmal ein Filmende drin sein, an dem die Protagonistin Single bleibt und trotzdem glücklich ist. Nicht einmal Überredung (2022), Carrie Cracknells gänzlich auf die Gen Z zugeschnittene Austen-Adaption für Netflix, wagt diesen Schritt. Hauptdarstellerin Dakota Johnson mag als Anne Elliot noch so oft die vierte Wand durchbrechen und uns Zuschauenden mit der Nase auf Jane Austens aus heutiger Sicht mitunter sexistische Sprache stoßen, vor der romantisch aufgeladenen Vorstellung einer heteronormativen monogamen Beziehung ist auch sie nicht gefeit. Die Sehnsucht nach Zweisamkeit, sie scheint in keiner Generation totzukriegen.

Nicht anders geht es bei Barbie-Regisseurin Greta Gerwig in ihrer 2019er-Neuauflage der Little Women zu. Gemäß Alcotts Vorlage heiratet die von Saoirse Ronan gespielte Jo March auch unter ihrer Regie. Im von ihr selbst verfassten, für einen Oscar nominierten Drehbuch greift Gerwig jedoch zu einem Kniff: Geschickt verquickt sie darin das Leben von Alcotts Protagonistin mit Alcotts eigenem Leben und lässt Ronan als Jo March erklären, warum eine Heirat im Hinblick auf den Verkaufserfolg des Buchs Little Women unumgänglich sei. Bereits zuvor macht Jos jüngere, von Florence Pugh verkörperte Schwester Amy in ihrem Atelier gegenüber dem gemeinsamen Jugendfreund und Nachbarn Laurie (Timothée Chalamet) auf die Verquickung von Liebe und Kapitalismus (und letztlich auch dem Patriarchat als kapitalistischem Auswuchs) aufmerksam.

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Auch diese Szene hat Gerwig eigens ins Drehbuch geschrieben. Sie erinnert an einen vergleichbaren Gedankenaustausch zwischen der von Emma Thompson geschriebenen und gespielten Elinor Dashwood und Hugh Grants Edward Ferrars in Ang Lees Adaption von Sinn und Sinnlichkeit (1995). Dashwoods Beschreibung der finanziellen Abhängigkeit von Frauen gegenüber Männern stand ebenfalls nicht in Austens Original, sondern erst in Thompsons oscarprämiertem Drehbuch. Doch so klar Thompson die Zwänge des ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts auch benennt und so weit sie manche Figuren auch von der Vorlage entfernt (allen voran die jüngste Dashwood-Schwester Margaret, die alle Freiheiten genießt, die auch ein Junge genösse), letzten Endes bleibt ihr Drehbuch nah am Original – und Ang Lees Inszenierung erwartbar gediegen.

WEITE LANDSCHAFTEN UND ENGE RÄUME: AUF DIE BEWEGUNG KOMMT ES AN

Deutlich gewagter kommt eine andere Austen-Adaption daher, deren Protagonistin ebenfalls das Publikum adressiert: Frances O’Connor als Fanny Price in Patricia Rozemas Version von Mansfield Park (1999). In ihrem Buch Contemporary Costume Film, das sich mit britischen Historien- und Kostümfilmen der 1990er-Jahre beschäftigt und diese von einer postmodernen Warte aus interpretiert, konstatiert Julianne Pidduck bereits in der reinen Physis Frances O’Connors ein modernes Moment. Regisseurin Rozema habe den Bewegungsradius der Figur im Vergleich zur Vorlage nicht nur erweitert, O’Connor bewege sich auch atypisch fürs 19. Jahrhundert. In der Tat ist ihre (körperliche) Präsenz auffällig, wie Rozemas Film überhaupt auf Körperlichkeit und körperliche Anziehung setzt. Der Film ist, zum Teil in frei hinzuerfundenen Szenen, wesentlich freizügiger als andere Austen-Adaptionen, ist voll anzüglicher Blicke, sprüht vor erotischer Spannung und zeichnet sich laut Pidduck (mit Verweis auf andere Autoren) zudem durch eine „queer sensibility“ aus.

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Vergleichsweise freizügig zeigen sich auch zwei Adaptionen der Brontë-Schwestern aus dem Jahr 2011, Jane Eyre von Cary Joji Fukunaga mit Mia Wasikowska in der Titelrolle und Andrea Arnolds Wuthering Heights, in der Shannon Beer die junge und Kaya Scodelario die erwachsene Cathy spielen. Noch ungezügelter geht es derweil in Emily (2022) zu, dem Regiedebüt der Mansfield-Park-Hauptdarstellerin Frances O’Connor, die in ihr Biopic über Emily Brontë (Emma Mackey) geschickt Elemente aus Brontës Wuthering Heights einfließen und den Geist der Schriftstellerin frei flottieren lässt. In allen drei Filmen ist die Natur auch immer Seelenlandschaft. Die Figuren sind so schroff, wie die Welt, die sie umgibt. Besonders in Arnolds ins beengende 1.33:1-Format gepresster Version (die sich allerdings auf den männlichen Part Heathcliff fokussiert) könnte die karge, unwirtliche Umgebung kaum weiter entfernt sein von den von Menschenhand perfekt zurechtgestutzten Grünanlagen, durch die die Figuren in den Austen-Adaptionen Sinn und Sinnlichkeit (1995) und Stolz und Vorurteil (2005) spazieren.

Letzter hat zwar keine Nacktszene zu bieten, wie sie Colin Firth als Mr. Darcy in der zehn Jahre zuvor realisierten BBC-Miniserie Pride and Prejudice hinlegt (hier bündelt sich Darcys Sexappeal subtiler, etwa in der Anspannung seiner Hand). Joe Wrights Inszenierung und nicht zuletzt Roman Osins agile Kameraarbeit bringen aber eine ungeheure Dynamik in das oft altbacken wirkende Genre. Die ausgeklügelten Plansequenzen erschließen nicht nur die Räume, sondern mit ihnen auch immer die darin verborgenen oder sich spiegelnden Gedanken und Gefühle der Figuren. Keira Knightleys Elizabeth Bennet ist nicht auf den Mund gefallen und bietet Autoritäten mehr als einmal eloquent die Stirn. Es sind aber vor allem ihre ausgedehnten Fußmärsche, die ihre Unzufriedenheit mit bestehenden Verhältnissen verdeutlichen. Wie Pidduck es in Contemporary Costume Film analysiert, ist Bewegung in den Austen-Adaptionen auch immer Ausdruck sozialer Mobilität oder zumindest der Wunsch nach dieser.

"Colin Firth als Mr. Darcy in „Pride & Prejudice""
Sinnlich: Colin Firth als Mr. Darcy in der Serie „Pride and Prejudice“

Diese Interpretation lässt sich mühelos auf Gerwigs Little Women und noch klarer auf Gillian Armstrongs Adaption des Alcott-Stoffs übertragen, der hierzulande unter dem Titel Betty und ihre Schwestern (1994) bekannt ist und sich bei Fans nach wie vor großer Beliebtheit erfreut. In beiden Adaptionen stehen die Protagonistinnen kaum einmal still, bei Armstrong sind die vier Schwester um die von Winona Ryder gespielte Jo March aber eine Spur agiler. Zudem predigt ihre von Susan Sarandon verkörperte Mutter eine Beweglichkeit des Geistes, die mit einer Beweglichkeit des Körpers einhergeht. Die March-Mädchen tollen herum wie Jungs, was nur ohne einengende Korsette möglich ist.

NICHTS ZU VERLIEREN: DIE ENERGIE DES AUFTIEGS

Ohne Corsage kommt Maïwenns Jeanne du Barry indes nicht aus. Umso bemerkenswerter ist, wie frei ihre Protagonistin agiert. Im Vergleich zu vielen Austen-Adaptionen wirkt Maïwenns Film ungemein ungeniert und viel frischer und energetischer. Vielleicht hängt es damit zusammen, dass er am französischen Königshof spielt, der noch nie im Verdacht stand, so prüde wie britische und amerikanische Debütantinnenbälle zu sein. Womöglich hat es aber mehr damit zu tun, dass Maïwenn von einer Aufsteigerin erzählt, die stets mehr zu gewinnen als zu verlieren hat und aufs  höfische Protokoll pfeift. Wer weiß, vielleicht schafft es ja irgendwann auch einmal eine Protagonistin ihres Kalibers in eine Jane-Austen-Adaption.

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