zurück zur Übersicht
Features

Wieder was passiert - Josef Hader und das Kino

Ein Beitrag von Falk Straub

Nach der Premiere bei der Berlinale kommt die österreichische Tragikomödie „Andrea lässt sich scheiden“ regulär in die Kinos. Regie führte Josef Hader, der auch in einer Nebenrolle zu sehen ist. Zeit, dem Kabarettisten ein Porträt zu widmen.

Meinungen
Josef Hader
Josef Hader

Jetzt ist schon wieder was passiert. Und ob du es glaubst oder nicht. Zur Abwechslung einmal etwas Gutes. Der Hader hat seinen zweiten Film als Regisseur gedreht. Die einen sagen, das hänge mit der allgemeinen Einfallslosigkeit von Kabarettisten zusammen. Quasi Langeweile. Die anderen sagen, da stecke eine verspätete Midlife-Krisis dahinter. Wieder andere sagen, das sei der natürliche Lauf des Künstlerlebens. Jetzt, was war der wahre Grund? Pass auf, was ich dir sage. Dafür braucht man gar keinen Grund. Weil im Prinzip für jeden Menschen Regieführen – ob im eigenen Leben oder im Film – immer ein bisschen Ding.

Fans des Schriftstellers Wolf Haas haben es erkannt. Die Einleitung dieses Textes ist an dessen Kriminalromane um den abgehalfterten Privatdetektiv Simon Brenner angelehnt. (Die ersten drei Sätze sind gar Wort für Wort aus dem Roman Das ewige Leben entnommen.) Wie in den Krimis und deren bislang vier Verfilmungen, in denen Josef Hader in die Haut des phlegmatischen Schnüfflers schlüpft, ereignet sich auch in Andrea lässt sich scheiden etwas Unerhörtes. Die von Birgit Minichmayr gespielte Titelfigur fährt ihren von Thomas Stipsits verkörperten Mann, der ausgerechnet Andreas heißt, mitten in der Nacht versehentlich auf einer Landstraße tot. Ein tragischer Unfall, der eine Kettenreaktion von falschen Entscheidungen nach sich zieht. Denn Minichmayrs Andrea ist eine Dorfpolizistin, die ihre Versetzung in die Stadt und ihre Beförderung zur Kriminalpolizei nicht wegen einer solchen Bagatelle gefährden will. Und weshalb auch? Andrea lebte von Andreas eh schon getrennt. Härter als im vorliegenden Fall kann eine Scheidung also nicht kommen.

Wer über so etwas lachen kann, sitzt im richtigen Film. Denn wie in (fast) allen Filmen, in denen Josef Hader seine Finger im Spiel hat, liegen der Tod und das Leben, das Makabre und das Absurde, Weinen und Lachen nah beieinander.

 

Menschen im Krisenmodus

Andrea lässt sich scheiden ist Josef Haders zweite Arbeit als Regisseur. Sein Debüt gab er mit Wilde Maus (2017) im reifen Alter von 55 Jahren. Doch warum musste er nach einer erfolgreichen Karriere als Kabarettist, Schauspieler und Drehbuchautor nun ausgerechnet auch noch auf dem Regiestuhl Platz nehmen? Dafür gab er im Gespräch mit dem deutschen Politiker Gregor Gysi in dessen Reihe Missverstehen Sie mich richtig! folgende Erklärung: Es sei jene Lebenskrise gewesen, die viele Menschen in ihren 50ern ereile. Aus Angst vor dem baldigen Tod würden sie noch einmal etwas Neues wagen und dabei riskieren, „auf die Fresse“ zu fallen. Bei ihm sei das die Filmregie gewesen. Und wie bei Hader üblich steckt in der feinen Ironie dieser Erklärung ein Körnchen Wahrheit. Statt mit einem Burn-out, einer Depression oder nach einem Schlaganfall auf der Palliativ-Station eines Pflegeheims zu enden, die Hader als Möglichkeiten des Scheiterns augenzwinkernd anführt, war das Wagnis Wilde Maus von Erfolg gekrönt. Sein erster Spielfilm als Regisseur schaffte es aus dem Stand in den Wettbewerb der 67. Berlinale, nahm von dort allerdings keine Preise mit nach Hause.

Externen Inhalt ansehen?

An dieser Stelle möchten wir Ihnen ein externes Video von YouTube präsentieren. Dafür benötigen wir Ihre Zustimmung in die damit verbundene Datenverarbeitung. Details in unseren Angaben zum Datenschutz.

Zustimmen und ansehen

 

Wie seit Haders erstem Kinoauftritt in Paul Harathers Film Indien (1993) geht es auch in Wilde Maus einmal mehr um Menschen in der Krise. Indien basiert auf dem gleichnamigen, aber nicht sonderlich erfolgreichen Theaterstück aus der Feder von Hader und seinem Kabarett-Kollegen Alfred Dorfer. Hader spielt den biederen Heinz Bösel, Dorfer den hochnäsigen Kurt Fellner. Im Auftrag des Fremdenverkehrsamts tingeln die zwei durch die niederösterreichische Provinz, um Gasthäuser auf deren Hygiene zu überprüfen.

Schon in diesem ersten Akt derb, bissig und voll lakonischen Dialogwitzes, gerät das Roadmovie im zweiten Akt zu einer melancholischen Sterbekomödie. Der schwarze Humor und die Eskalation absurder Ereignisse sind auch allen übrigen Filmen eigen, für die Josef Hader seither das Drehbuch verfasst oder an ihm mitgeschrieben hat. In Wilde Maus spielt er einen gefürchteten Musikkritiker, der im Zuge des Zeitungssterbens und der damit einhergehenden Sparzwänge seinen Job verliert. Statt seiner Frau den Rauswurf zu beichten, tut er so, als gehe er nach wie vor seiner Arbeit nach. In Wahrheit saniert er mit einem alten Schulkameraden die titelgebende Achterbahn im Prater, bevor die Dinge auch in diesem Film richtig aus dem Ruder laufen.

Sind es in Andrea lässt sich scheiden die Dörfler, die an der Eintönigkeit der Provinz verzweifeln, stellt sich das Leben in der Großstadt in Wilde Maus auch nicht als der Weisheit letzter Schluss, vielmehr als ähnlich kleingeistig heraus. Seine Meinung zum Gefälle zwischen Stadt und Land hat Josef Hader in einer Ausgabe der Sendung Sternstunde Philosophie des Schweizer Fernsehens wie folgt formuliert:

„Es wohnen weder am Land die Klügeren noch in der Stadt die Böseren; das teilt sich alles ganz gerecht auf.“

Hader weiß, wovon er spricht. Auf dem Land großgeworden und seit seiner Studienzeit in Wien wohnhaft, kennt er nicht nur beide Welten, er hält ihnen auch gekonnt den Spiegel vor – nämlich oft so, dass das Publikum es anfangs gar nicht bemerkt. Man müsse sowohl die Provinz gegen den Hochmut der Städter verteidigen als auch umgekehrt, sagt Hader.

 

Vom Bauernhof auf die Bühne

Josef Hader wurde am 14. Februar 1962 im oberösterreichischen Waldhausen im Strudengau geboren und wuchs im nahegelegenen 1000-Seelen-Örtchen Nöchling auf dem Bauernhof der Familie auf. Eltern und Großeltern lebten dort unter einem Dach. Kindheit und Jugend waren vom Familienverbund, dem Dorfleben und der katholischen Kirche geprägt. In der Schule von seinen Klassenkameraden getriezt, wechselte Hader auf seinen eigenen Wunsch hin aufs Stiftsgymnasium Melk, ein von Benediktinermönchen geführtes Internat, an dem er eine humanistische Ausbildung genoss. Der Schulalltag war hier anfangs zwar auch nicht besser – Hader bezeichnet sich in der Rückschau als Einzelgänger, der seinen Mitschülern lange Zeit aus dem Weg gegangen sei –, beim Pauken von Latein und Altgriechisch kam er jedoch erstmals mit Philosophie in Berührung, die sich in der Frage nach der Natur des Menschen bis heute sowohl durch seine Bühnenprogramme als auch durch seine Drehbücher zieht.

Nach ersten zagen Gehversuchen in der Schule ging die Karriere als Kabarettist zu Studienzeiten so richtig los. Weil keiner den unbekannten Nachwuchskünstler auftreten lassen wollte, gab Hader sein erstes Programm Fort Geschritten (1982) in Kneipen und in der Wiener Fußgängerzone zum Besten. Bereits mit seinem zweiten Programm Der Witzableiter und das Feuer (1985) stellte sich der Erfolg ein, und Hader brach sein Lehramtsstudium ab, um sich ganz der Bühnenkarriere zu widmen. Hierbei merkte er jedoch schnell, dass ihm das klassische politische Kabarett nicht lag. Sich mit erhobenem Zeigefinger auf die Bühne zu stellen, war nicht seins. Und selbst die ironisch gebrochene Publikumsbeschimpfung, wie er sie bei seinem legendär gewordenen Auftritt bei der Grimme-Preis-Verleihung 1992 praktizierte und damit das Publikum im Saal spaltete, war ihm auf Dauer zu stressig. Immerhin bezeichnet Hader sich selbst als „konfliktscheu“ — was mit ein Grund sei, warum er immer noch nicht aus der Kirche ausgetreten sei.

Externen Inhalt ansehen?

An dieser Stelle möchten wir Ihnen ein externes Video von YouTube präsentieren. Dafür benötigen wir Ihre Zustimmung in die damit verbundene Datenverarbeitung. Details in unseren Angaben zum Datenschutz.

Zustimmen und ansehen

 

Statt des klassischen Kabaretts wandte er sich einer von der englischsprachigen Satire und Stand-up-Comedy beeinflussten Variation zu. Vom US-Amerikaner Lenny Bruce (1925–1966) schaute er sich ab, was man auf einer Bühne alles sagen kann, und vom Iren Jonathan Swift (1667–1745), wie weit Satire gehen darf. Als deutschsprachige Vorbilder nennt Hader unter anderem Helmut Qualtinger (1928–1986) und den 20 Jahre älteren Gerhard Polt, die „Menschen mit der Freude von Insektenforschern betrachten“.

Mit derselben diebischen Freude betrachtet Hader in seinen Bühnenprogrammen über den Umweg einer vermeintlichen Selbstbetrachtung uns alle. Die Figur, die auf der Bühne steht, heißt stets Josef Hader – ob in Privat (1994), Hader muss weg (2004) oder Hader on Ice (2021) – und ist doch nie er selbst, sondern ein Alter Ego, das neben dem Egoismus und Narzissmus viele weitere Ismen unserer westlichen Welt wie unter einem Brennglas bündelt. Der Absurdität sind dabei keine Grenzen gesetzt. Denn Hader wechselt in seinen erzählenden Monologen wild zwischen Wahrheit und Fiktion hin und her. In Privat beispielsweise stehen echte Anekdoten aus seiner Kindheit und weltpolitische Fakten neben Münchhausiaden, die selbst dem Lügenbaron gut zu Gesicht gestanden hätten. Haders Kunst liegt darin, diese Alter Egos so glaubhaft auf der Bühne zu verkörpern, dass deren Schwächen immer auch unsere eigenen entlarven.

 

Hader spielt Hader

Als (guten) Schauspieler begreift sich Hader übrigens nicht. Ob in seinen Bühnenprogrammen oder in Film und Fernsehen – im Grunde spiele er stets nur eine Version seiner selbst, sagt Hader. Zudem habe er das große Glück, nicht von der Schauspielerei leben zu müssen, sondern darauf warten zu können, bis ihn eine Rolle regelrecht anspringe. Sogar bei Maria Schraders Vor der Morgenröte (2016), in der Hader in die Rolle des österreichischen Schriftstellers Stefan Zweig (1881–1942) schlüpfte, sei das so gewesen. Denn im Drehbuch (von Schrader und Jan Schomburg) sei Zweig eine solch tragikomische Figur, dass Hader richtig Lust gehabt und sich auch zugetraut hätte, diese Rolle zu spielen. In der Tat weicht die Rolle, die Zweigs Zeit im Exil bis zu seinem selbst gewählten Tod abdeckt und für die es viel Kritikerlob gab, nur auf den ersten Blick von Haders typischem Repertoire ab. So integer, mitfühlend und phasenweise altruistisch wie diese Figur ist zwar sonst keine, die Hader bislang gespielt hat, was sie jedoch mit den übrigen Figuren eint, ist die Krise, die sie durchmacht und die in eine innere Zerrissenheit und große Erschöpfung mündet.

Womit wir bei Haders Paraderolle wären: die des liebenswerten Arschlochs, die er wie kaum ein Zweiter im deutschsprachigen Raum beherrscht. Ob im ORF-Zweiteiler Aufschneider (2010) als vom Leben enttäuschter Pathologe Dr. Hermann Fuhrmann, dessen einziger Antrieb darin besteht, seinem verhassten Kollegen, dem Star-Chirurgen eines Wiener Krankenhauses, einen Kunstfehler nachzuweisen, oder im Kinofilm Arthur & Claire (2017) als Todgeweihter, der in Amsterdam aus dem Leben scheiden will und sich stattdessen an der Seite einer jungen Todessehnsüchtigen in die Nacht stürzt – stets sind die von Hader gespielten Figuren unbequeme Zeitgenossen, die ihrem Gegenüber teils mit ätzendem Spott begegnen, dabei jedoch so viel verschrobenen Charme besitzen, dass man ihnen ihre unverblümte Art nicht übelnehmen kann.

Externen Inhalt ansehen?

An dieser Stelle möchten wir Ihnen ein externes Video von YouTube präsentieren. Dafür benötigen wir Ihre Zustimmung in die damit verbundene Datenverarbeitung. Details in unseren Angaben zum Datenschutz.

Zustimmen und ansehen

 

Haders Paraderolle unter all diesen Paraderollen ist freilich die des Simon Brenner. Bei der Polizei hochkantig rausgeflogen, weil er mit der Frau des Chefs ins Bett gestiegen ist, verdingt sich der Brenner in den Adaptionen von Wolf Haas‘ Romanen mal als Rettungssanitäter in Komm, süßer Tod (2000), mal als Kaufhaus- und später Privatdetektiv in Silentium (2004), mal als Geldeintreiber eines Inkassounternehmens in Der Knochenmann (2009) und mal als Arbeitsloser mit baufälligem Erbe an der Backe in Das ewige Leben (2015). Die Rolle des grantelnden Ermittlers, der stets unfreiwillig in seine Fälle schlittert und nur deshalb bei der Sache bleibt, weil er einer schönen Frau imponieren will, ist Hader auf den Leib geschrieben. Was nicht weiter verwundert, hat er neben Regisseur Wolfgang Murnberger und Vorlagengeber Haas doch an den Drehbüchern mitgeschrieben. Brenner raucht zu viel, greift schon morgens zum Bier, wenn die Kaffeemaschine keinen Verlängerten ausspuckt, und wird von Migräneanfällen niedergedrückt, die er mit zu vielen Schmerztabletten bekämpft. Vom Leben geprügelt, aber nie larmoyant erträgt er selbst körperliche Qualen – vom grün und blau geschlagenen Gesicht über die verbrühte Haut und den abgetrennten Finger bis zur Kugel im Kopf – mit stoischer Ruhe und Resignation. 

Haders jüngster Rolle in Andrea lässt sich scheiden ist dieser Simon Brenner nicht unähnlich. Der Lehrer Franz Leitner wohnt ganz allein in einem heruntergekommenen Haus auf dem Land. Nach dem eingangs beschriebenen Unfall, für den Leitner verantwortlich gemacht wird, fängt der trockene Spiegelalkoholiker wieder das Trinken an und hat mit dem Leben bereits abgeschlossen, bevor ihm die von Birgit Minichmayr gespielte Titelfigur eine Rettungsleine auswirft. Neben der Nebenfigur des Franz Leitner ist auch die Titelfigur der Andrea eine Ertrinkende, die das rettende Ufer sucht. Und nach ihrer ersten Zusammenarbeit in Der Knochenmann harmonieren Birgit Minichmayr und Josef Hader dieses Mal noch schöner miteinander.

Und ob du es glaubst oder nicht. Am Ende geht sich alles gut aus. Die einen sagen, weil ein Film ohne Happy End, das ist ein Unding. Die anderen sagen, weil sich auch im Leben am Ende immer alles gut ausgeht. Und sei es nur auf dem Friedhof. Pass auf, was ich dir sage. Am Ende ist so ein Film von Josef Hader halt immer auch ein bisschen Ding.

Meinungen

Seppi · 09.04.2024

Hader bleibt Hader, da gibt’s nix zu hadern!