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In „Vika!“ porträtiert die polnische Regisseurin Agnieszka Zwiefka eine 80-Jährige, die sich weigert, in Rente zu gehen – und stattdessen als DJ die Dancefloors zum Kochen bringt.

Vika! (2023)

Eine Filmkritik von Christian Neffe

Wer tanzt, wird niemals alt

Manche Dokumentationen haben es von Natur aus leicht, könnte doch allein das Subjekt ihrer Beobachtung den Film tragen. Machmal ist schon die Person oder das Ereignis, um die/das es geht derart interessant, faszinierend, ungewöhnlich, dass man kaum anders kann, als erstaunt auf Leinwand oder Bildschirm zu starren.

In diese Kategorie Dokumentarfilm fällt Vika!, in dem die polnische Regisseurin Agnieszka Zwiefka ihre Landsfrau Wirginia Wika Szmyt porträtiert. Besser bekannt ist Smzyt unter ihrem Künstlerinnennamen DJ Vika. Nun herrscht an Reportagen über Menschen, die Clubs mit wummernden Beats und harten Bässen beschallen, wahrlich kein Mangel. DJ Vika jedoch hat ihnen allen etwas voraus, nämlich mehr als nur ein paar Lebensjahre: Die gute Frau ist in ihren Achtzigern.

So wirkt es anfangs doch reichlich surreal, wenn sie über den Dancefloor streift, von allen begeistert empfangen wird, anschließend mit Kopfhörern über den schneeweißen Haaren und der Herzchen-Sonnenbrille einen Raum voller 20-Jähriger mit House-Musik zum Tanzen und Jubeln bringt, wie ein Star gefeiert wird. 

Anders verhält sich das bei ihren Altersgenoss:innen: Bei einem Vortrag in einem Altenheim spricht Vika darüber, dass sie sich mit Beginn ihrer Rente nicht zurückziehen, keine „Pflanze im Fenster“ sein wollte, sondern das DJing lernte. Dass man das Alter akzeptieren, aber genauso auch zelebrieren und sich selbst lieben müsse, anstatt das Leben aufzugeben. Die Reaktion des Raumes: skeptische bis mürrische Blicke. Da lege sie doch lieber „for the gays“ auf, flüstert Vika ihrem Manager zu. Und tut das wenig später auch bei Pride-Veranstaltungen in Polen und Tschechien. Denn da ist ihr der Jubel gewiss.

Diese Dame ist mit einer unfassbaren Energie und Lebensfreude gesegnet, und doch wird klar: Das ist nicht etwa angeboren, sondern Resultat ihrer kontinuierlichen Aktivität, ihres Willens, ständig weiterzumachen und Neues zu lernen. Das Scratchen etwa. Wie gut ihr das tut, wird umso deutlicher, als Corona einschlägt, sie zu Hause einsperrt und ihr sämtliche Reisen und Live-Auftritte unmöglich macht. Plötzlich wirkt Vika zunehmend müder und noch granteliger als zuvor. Denn auch das zeigt der Film: Die Rentnerin ist bisweilen doch etwas eigen, wird auch schon mal zickig, wenn etwas nicht nach ihrem Willen läuft oder ihr Sohn ihr vorwirft, sie würde ihn ja nie besuchen kommen oder sich für sein Leben interessieren.

Mit Beginn von Corona büßt Vika! wie auch seine Protagonistin leider viel von seiner vorherigen Energie und seinem Drive ein, da helfen auch die kurzen Passagen wenig, in denen Regisseurin Zwiefka das Innenleben ihres Stars als schillernde, durchchoreografierte Musical-Einlagen inszeniert. Überhaupt bleiben nach den 74 Minuten einige Leerstellen, die man als Zuschauer:in noch gerne gefüllt hätte. Über Vikas Biografie wird nur wenig verraten – sie ist verwitwet und hat zwei Söhne, zu denen sie eine eher dünne Beziehung pflegt, viel mehr erfährt man nicht –, und auch die entscheidende Frage, warum es sie denn speziell ans DJ-Pult zog, bleibt offen.

Dennoch zeigt Vika! auf kurzweilig-mitreißende Art, dass man keine Angst vorm Altern und Anderssein haben muss, solange man Freude hat an dem, was man tut und liebt. Wie der Blick über den Tellerrand besser als jede Wellnesskur wirken kann. Und dass man bloß niemals aufhören sollte, zu tanzen. Denn, wie Vika es so treffend formuliert: „Wer tanzt, wird niemals alt.“

Vika! (2023)

Wika ist die älteste DJ in Polen und wahrscheinlich auch weltweit. Im Alter von 81 Jahren legt sie in Warschauer Clubs auf und betont gern trotz ihrer zunehmenden Gesundheitsprobleme, dass „80 das neue 40 ist“.

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