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Aus Telefonaten, Briefen, Tagebüchern wie auch aus Interviews der verbliebenen Familie schildert „Sieben Winter in Teheran“ die Passion der Reyhaneh Jabbari, die im Iran hingerichtet wurde, weil sie ihren Vergewaltiger in Notwehr erstochen hat.

Sieben Winter in Teheran (2023)

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Leidensweg

Der Passionsweg von Reyhaneh Jabbari wird minutiös erzählt. Im Juli 2007 wurde sie, 19jährig, verhaftet. Eineinhalb Jahre später zum Tode verurteilt. Im Oktober 2014 hingerichtet. Ihr Verbrechen: Sie hatte sich gegen ihren Vergewaltiger zur Wehr gesetzt. Dieser hatte sie, getarnt als Geschäftstermin, in seine Wohnung gelockt, die Türe abgeschlossen und war auf sie losgegangen. Sie sah ein Küchenmesser auf dem Tisch liegen und stach zu. Er war Chirurg, mutmaßlich beim Geheimdienst, exzellent vernetzt in der High Society des Iran. Reyhaneh, so sieht es im Nachhinein aus, hatte nie eine Chance. „Sieben Winter in Teheran“ schlüsselt ihre Geschichte auf.

Regisseurin Steffi Niederzoll drehte diesen Film mit Unterstützung der Familie von Reyhaneh Jabbari – Mutter und Schwestern leben inzwischen im deutschen Exil, der Vater ohne Ausreisegenehmigung immer noch in Teheran. Aus Telefonaten, Briefen und Tagebüchern spricht Reyhaneh, die Bilder teils heimlich von der Familie während ihrer Haft, teils heimlich aktuell im Iran aufgenommen: Bilder, Erzähltes ergeben ein beengendes, erdrückendes Porträt dieses Staates, dem Einzelne, dem seine Bürger*innen egal sind. Die Briefe von Rayhaneh Jabbari werden von der Exiliranerin Zar Amir-Ebrahimi verlesen, die als Schauspielerin und als Mitproduzentin auch in Holy Spider die Männermacht im Iran thematisiert.

Eine Frau, die sich gegen ihren Vergewaltiger wehrt, wird hingerichtet. Eine Frau, die sich nicht wehrt, nicht wehren kann, wird ebenso verurteilt, wegen Sittenlosigkeit. So bleibt die Frau in einer patriarchalischen Gesellschaft immer die Schwächere. Doch auch in der Männerwelt gibt es Hierarchien. Der Bürger, der Vater, hat keine Chance, wenn die Polizei es nicht will, wenn die Justiz es nicht will, wenn eine mächtige Familie es nicht will. Einerseits, weil nicht sein kann, was nicht sein darf: dass ein religiöser Mensch eine junge Frau sexuell angreift. Andererseits, weil die Gesetze, die Traditionen, von Männern geschrieben wurden. Opfer ist der Tote, nicht die, die sich in Notwehr verteidigt hat. Die Familie des Opfers kann Blutrache verlangen, institutionalisiert durch die Hinrichtung. Die Familie des Opfers kann vergeben – das gibt ihr Macht. Über Leben und Tod, und über die gesamten Angehörigen von Reyhaneh Jabbari. Das System ist pervers. Aber noch funktioniert es.

Wer ein Haar zu viel zeigt, wird totgeschlagen. Wer sich gegen Vergewaltigung wehrt, wird gefoltert, inhaftiert, wird gebrochen mit allen Mitteln, wird psychisch und physisch zerstört, schon vor der Hinrichtung. Das Besondere: Reyhaneh, das lässt sich aus ihren Briefen herauslesen, ließ sich nicht brechen. Die sieben Winter im Gefängnis haben sie vielmehr transzendiert, in ihren letzten Aussagen wirkt sie nicht mehr von dieser Welt. Sie hat alles verloren, nur nicht sich selbst. Das ist stark, stärker als es sich das Regime wünschen kann.

Die Mutter hat eine beispiellose Kampagne losgetreten für die Freilassung ihrer unschuldigen Tochter. Über Social Media im Iran bis hin zur internationalen Presse, mit Berichten und Protesten in der ganzen Welt, bis hinauf in die höchste Politik. Es hat nichts genutzt, natürlich nicht. Seit Jahrzehnten hält sich der Unterdrückerstaat Iran, weil das Unterdrücken leicht ist, solange man genug Macht hat, um Angst und Terror zu verbreiten. Vielleicht ändert sich das. Nachdem Jina Mahsa Amini totgeschlagen wurde, nachdem sich Zehntausende auf den Straßen des Irans bewusst wurden, dass es sie gibt, dass auch sie eine Macht sein können. Vielleicht kann dieser Film helfen, Politik und Religion im Verbund zurückzuschlagen.

Sieben Winter in Teheran (2023)

Im Sommer 2007 wird Reyhaneh Jabbari von einem älteren Mann angesprochen. Er bittet die Studentin, die als Inneneinrichterin jobbt, ihm bei der Gestaltung von Praxisräumen zu helfen. Bei der Ortsbegehung versucht er, sie zu vergewaltigen. Reyhaneh ersticht ihn in Notwehr. Sie wird wegen Mordes verhaftet und zum Tode verurteilt. Sieben Jahre lang sitzt sie im Gefängnis, während ihre Familie Anwälte engagiert und die Öffentlichkeit über den Fall informiert. Trotz nationaler und internationaler politischer und menschenrechtlicher Bemühungen verweist die iranische Justiz auf das „Recht auf Blutrache“: Solange Reyhaneh ihre Anschuldigungen gegen den Mann nicht zurückzieht, darf seine Familie ihren Tod verlangen. Aber Reyhaneh bleibt bei ihrer Aussage und wird im Alter von 26 Jahren gehängt.

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