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In Massoud Bakhshis neuem Film wird eine Fernsehshow zum Kammerspiel. Nach Festivalauftritten in Park City und Berlin kommt das Drama nun regulär in die Kinos.

Yalda (2019)

Eine Filmkritik von Falk Straub

Schuld-und-Sühne-Show

Zur Wintersonnenwende wird im Iran die Yalda-Nacht gefeiert. In dieser längsten Nacht des Jahres geht eine TV-Show auf Sendung, in der eine zum Tode verurteilte Mörderin die Tochter ihres Opfers um Gnade bittet. Was wie blühende Fantasie klingt, ist von wahren Ereignissen inspiriert. Regisseur und Drehbuchautor Massoud Bakhshi macht daraus ein intensives Kammerspiel, das hinter die Kulissen der iranischen Gesellschaft blickt.

Den drei Einheiten des geschlossenen Dramas folgend spielt Bakhshis zweiter abendfüllender Spielfilm an einem einzigen Abend ohne Nebenhandlungen und fast ausschließlich an einem Ort. Das Kinopublikum begleitet Maryam (Sadaf Asgari), die in einem Streifenwagen am Fernsehstudio ankommt. Irans Hauptstadt Teheran ist ein Lichtermeer. Im Studio herrscht reges Treiben. Maryam kratzt und windet sich, schaut verlegen zur Seite. Eigentlich will sie gar nicht hier sein.

Auf den ersten Blick wirkt Maryam nicht wie eine Frau, sondern wie ein Mädchen; viel zu jung für das Verbrechen, für das sie verurteilt wurde, und viel zu jung für die Ehe auf Zeit, die sie mit ihrem mehr als 40 Jahre älteren Mann eingegangen ist. Als Maryam ungewollt schwanger wurde, habe sie ihren Ehemann aus dem Fenster gestoßen, so lautet der Vorwurf. Um der Todesstrafe zu entgehen, soll sie dessen Tochter Mona (Behnaz Jafari) live im Fernsehen um Entschuldigung bitten. Moderator Omid (Arman Darvish) vermittelt. Derweil stimmt das Publikum per SMS ab. Erhält Maryam genügend Stimmen, übernimmt der Sponsor der Sendung das Blutgeld, das Mona für den Tod ihres Vaters zusteht. Der Titel der Show ist Programm: „Freude der Vergebung“.

Selbst für Reality-TV-erprobte Augen geht hier ein bizarres Schauspiel über die Bühne. Die Idee, aus einer möglichen Begnadigung die Abendunterhaltung für ein Millionenpublikum zu machen, musikalische Einlagen und Promiauftritte inklusive, hätte sich kein Dschungelcamp-Erfinder besser ausdenken können. Und doch ist sie echt oder zumindest an eine tatsächlich existierende Sendung angelehnt. „Die Show, die mich am meisten inspiriert hat, wird seit etwa zehn Jahren ausgestrahlt. Sie ist ein großer Hit während des Fastenmonats Ramadan im Iran“, erklärt Bakhshi, wie er auf die Idee zum Film kam. „Ich war verblüfft, eine Live-Fernsehsendung über das Leben und den Tod eines Menschen!“

Bakhshi inszeniert diese Schuld-und-Sühne-Show als steten Wechsel zwischen An- und Entspannung. Hinter den Kulissen passt sich die Kamera dem Gesprächstempo an, wenn Ayat (Babak Karimi), der Produzent der Sendung, hitzig mit seiner Mitarbeiterin Keshavarz (Forough Ghajabagli), mit der Polizeibeamtin (Ramona Shah), die Maryam begleitet, oder mit Maryams Mutter (Fereshteh Sadre Orafaiy) diskutiert. Im Studio kommt die Kamera zur Ruhe und konzentriert sich auf das Duell zwischen Maryam und Mona, das sich vornehmlich auf ihren Gesichtern abspielt.

Hier kommen neue Erkenntnisse zutage. Bakhshi hat seine Handlung an den Filmen anderer iranischer Regisseure orientiert. Die Art und Weise, wie sich die ganze Wahrheit erst allmählich herausschält, und die an der klassischen Tragödie geschulte Erzählstruktur erinnern unweigerlich an Asghar Farhadi. Von diesem hat sich Bakshi auch viel von seiner Bildsprache abgeschaut.

Die tiefe Gespaltenheit und Widersprüchlichkeit der iranischen Gesellschaft muss in diesem Film nicht explizit angesprochen werden, um sie zu sehen. Die Zuschauerinnen und Zuschauer im Studiopublikum sitzen fein säuberlich voneinander getrennt. Hinter den Kulissen drehen fast ausnahmslos Frauen an den richtigen Knöpfen. An den alles entscheidenden Schalthebeln sitzen jedoch Männer, die überdies nicht müde werden, Maryam zu bevormunden. Doch die Grenzen verlaufen nicht nur entlang der Geschlechter. Auch Arm und Reich sind klar voneinander geschieden, was zu merkwürdigen Konstellationen führt, wenn etwa eine sozial höher gestellte Frau auf einen einfachen Arbeiter trifft.

Ausschließlich im Iran wäre eine Finanzierung dieses Films nicht möglich gewesen. Yalda kommt als iranisch-europäische Koproduktion mit Geld aus Frankreich, Deutschland, der Schweiz und Luxemburg in die Kinos. Es bleibt zu hoffen, dass Bakshis Drama, über welche Kanäle auch immer, auch an seinem Handlungsort ein Publikum finden wird.

Yalda (2019)

Maryam ist des Mordes an Naser, ihrem „Ehemann auf Zeit“, angeklagt. Naser wollte Maryams Schwangerschaft nicht akzeptieren und ist im darauf folgenden Streit unter unklaren Umständen gestorben. In einer populären Reality-Show erhält Maryam die Möglichkeit, um die Vergebung von Nasars Tochter Mona zu kämpfen und der Todesstrafe zu entgehen. Während die Maschinerie der TV-Show erbarmungslos läuft und Mona die Sympathie des Publikums gewinnen kann, zieht sich Maryam, gezeichnet vom Gefängnisaufenthalt und vom Tod ihres Babys, immer mehr in sich selbst zurück.

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Meinungen

doris krenn · 21.12.2022

ergänzung zum abgesandten kommentar: "SCHULD-UN SÜHNE SHOW" die treffendste überschrift über diese rezension

doris krenn · 21.12.2022

rezension trifft den kern des sehr berührenden, erschütternden, packenden films.
große betroffenheit und gleichzeitig dankbarkeit auslösend, n i c h t in d i e s e m kulturkreis aufwachsen und leben zu müssen....

Sternschauer · 30.08.2020

Yalda

Absolut großartig, die ganz große Empfehlung des Jahres! Der Film beginnt beschaulich (aber nicht behaglich) die (nur für Europäer) ungewöhnliche Handlung erscheint absehbar, was soll schon sein ;-) Massoud Bakhshi baut die Geschichte der bedrängten Maryam als Film mit dem längsten Spannungsbogen seit ewig. Man wird ganz in die Szene herein versetzt, in jeden der Akteure. Er nimmt Dich mit in die Leben dieser Menschen, in die vielen unterschiedlichen Perspektiven und Motivationen dieser extrem intensiven Situation: Wird Maryam begnadigt in der Fernsehshow? Die überragenden Schauspieler liefern ein Meisterwerk an authentischen Lebens. Die Story nimmt immer wieder eine ganz unerwartete Wendung, alles ist unerschütterlich echt. Massoud Bakhshi verriet uns, daß alle Bestandteile des Films auf tatsächlichen Begebenheiten aufbauen, als Dokumentarfilmer weiß er das präzise umzusetzen und jedem Zuschauer verständlich und plastisch sichtbar zu machen. Acht Jahre harte Arbeit hat es gekostet, den Film am Originalschauplatz in Teheran zu drehen. Sein erster Film darf bis heute nicht aufgeführt werden, einen Grund hat er nie genannt bekommen. Ein Wenig seiner Situation des Ausgeliefertseins und der unverständlichen Willkür durch Machthaber ist in Maryam dargestellt (auch wenn das kein Schlüssel zum Film ist). Natürlich ist dieser Film eine vielschichtige Kritik an Auswüchsen in seiner Heimat Iran. Eine seiner Leistungen besteht darin, des Landes und der Kultur unkundigen das erlebbar zu machen und dafür danke ich Ihm! Spürbar die mörderische Ungleichheit von Reich (darf alles) und arm (ausgeliefert, um Rechte betrogen). Die zersetzende Massenpropagandamaschine Fernsehen. Das archaische Ritus der "Ehe auf Zeit", die in wenigen Fällen zu beiderseitigem Nutzen sein kann, aber keine Rücksicht auf Gefühle oder Kinder zuläßt und staatliche Ehestatistiken schönt. Die Menschenfeindlichkeit der Konstrukte (Vergebung gegen Blutgeld) um die Todesstrafe herum. Wobei Massoud Bakhshi einen beklemmenden, aber keineswegs einen dystopischen Film abgeliefert hat! Er hat sich weder hinreißen lassen zu amerikanischem single-message-movie noch zu einem Candy-happy-end, das wäre weit unter der strahlenden Würde dieses Juwels der Filmkunst. Der Zuschauer spürt, daß die "böse Mona", die Kraft Stellung und Geldes unendliche Macht zu haben scheint und das Recht beliebig biegen kann, eingepfercht ist in aggressive Ansprüche und Erwartungen anderer Leute und dem bedingungslosen Zwang, nach den Regeln des Systems spielen zu müssen. Maryam, die zentrale Rolle, eingeführt als Opfer, sie opfert sich nicht: Sie versucht als einzige, ihre persönliche Würde zu verteidigen, um den Preis der Hinrichtung. Ihr fehlt die Methodik der Manipulation anderer, sie ist einfach ein Mensch in höchster Not und das kostet sie zunächst die Begnadigung (zu 6 Jahren Gefängnis, nicht gerade witzig). Anmerkung des Regisseurs: Aus den Einnahmen des Films wurde im echten Leben über einen Verein zwei Personen das Blutgeld ermöglicht, d.h. sich von der bevorstehenden Hinrichtung freizukaufen. Übrigens ist die vorletzte Szene im Kinofilm nicht gezeigt, vielleicht schafft sie es auf eine zukünftige DVD. Es bedarf unendlich viel, daß es ein Iranischer Film in deutsche Kinos schafft und das liefert dieser Film. Excellent.