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In den Jahren 2000 und 2001 trieb ein Serienmörder in der iranischen heiligen Stadt Mashhad sein Unwesen, der 16 Frauen ermordete. Aus diesem düsteren Stoff hat Ali Abbasi einen faszinierenden Thriller gedreht.

Holy Spider (2022)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Im Zeichen der Spinne

Die Stadt Mashhad gilt als eine der sieben heiligen Stätten und ist wegen des Grabes des achten schiitischen Imams, das dort liegt, eine der millionenfach besuchten Pilgerstätten des schiitischen Islam. In dieser von tiefer Frömmigkeit geprägten Metropole mit rund 3 Mio. Einwohnern ereignete sich zu Beginn des neuen Jahrtausends eine bereits mehrfach medial aufgearbeitete Mordserie an jungen Frauen, die als Prostituierte arbeiteten. Der sogenannte Spinnenmörder entpuppte sich schlussendlich als religiöser Fanatiker, der die Straßen der heiligen Stadt reinigen wollte.

Aus diesem Stoff, der seine zusätzliche Brisanz durch seine religiöse Komponente in einem klerikal geführten Staat und sein schonungsloses Offenlegen der desolaten Lage von Frauen vor allem aus den unteren sozialen Schichten gewann, hat der schwedische Regisseur Ali Abbasi (Border) einen spannenden Thriller gedreht, der die Ereignisse rekapituliert und gleichzeitig ein facettenreiches Bild des Lebens im Iran zeichnet.

Dabei gehört es zu den bemerkenswerten Wendungen des Films, dass es ausgerechnet eine Frau ist, die schließlich dem Mörder auf die Spur kommt — und das trotz aller Widrigkeiten. Gleich zu Beginn sehen wir die unverheiratete Journalistin Rahimi (Zar Amir-Ebrahimi), die neu in Mashhad ankommt und bereits bei etwas scheinbar Normalem, dem Buchen eines Hotelzimmers als Alleinstehende scheitert, bis es ihr schließlich doch mit Hinweis auf ihren Beruf gelingt. Es ist nicht das einzige Hindernis, das ihr auf der Suche nach der Wahrheit begegnen wird– und doch erscheinen diese Schwierigkeiten als vergleichsweise gering gegenüber dem alltäglichen Überlebenskampf ihrer Geschlechtsgenossinnen, die gezwungen sind, sich auf den Straßen der Stadt zu prostituieren, um sich und ihren Familien den Lebensunterhalt zu sichern. Denn für sie interessiert sich niemand, die Polizei schon gar nicht. Und je länger der Film andauert, desto mehr gewinnt man den Eindruck, dass zumindest Teile der Bevölkerung mit dem Mörder sympathisieren. Und man kann durchaus vermuten, dass dies teilweise die gleichen Männer sind, die im Dunkel der Nacht die Dienste der Prostituierten in Anspruch nehmen.

In Rahimi, die aufgrund sexueller Belästigung durch ihren früheren Chefredakteur aus einem alten Job geflogen ist (ein weiterer Beleg für die doppelte Sexualmoral) und deshalb als Freelancerin arbeitet, finden die Opfer und mit ihnen alle sozial unterprivilegierten Frauen eine hartnäckige Streiterin gegen das Unrecht und das Desinteresse der Behörden. Beharrlich und unter Einsatz ihres Lebens, das sie schließlich als vermeintliche Prostituierte in die Wohnung des Mörders bringt, gelingt ihr mithilfe eines Kollegen die Enttarnung des Mörders Saeed (Mehdi Bajestani), die am Ende zu dessen Hinrichtung führt.

Ali Abbasi inszeniert diesen Thriller angenehm effektiv und mit genauem Blick für die sozialen Realitäten der Zeit und des Ortes. Von Anfang an führt er die Geschichte des Mörders und der Journalistin parallel, sodass nie die Frage im Mittelpunkt steht, wer denn der Spinnenmörder sei, sondern alles auf die Begegnung und Konfrontation zwischen den beiden zusteuert. Wie Rahimi selbst, so schaut auch der Film ohne jegliche Idealisierung oder Sexualisierung auf die Opfer und das perverse System, in dem sie leben — nicht en détail, aber doch so genau, dass ein fragmentarisches Bild der Opfer entsteht, das viel erzählt über die sozialen und Machtverhältnisse in einem Gottesstaat islamischer Prägung.

Neben dem Cast und der wunderbaren Kameraarbeit beeindruckt vor allem der sparsam eingesetzte Soundtrack, die genau an den richtigen Stellen dissonant anschwellend Akzente setzt und enorm druckvolle Spannung erzeugt.

Holy Spider (2022)

Der Film folgt dem Familienvater Saeed, der sich auf seine eigene religiöse Suche begibt — er will die heilige iranische Stadt Mashhad von unmoralischen und korrupten Straßenprostituierten „reinigen“. Nachdem er mehrere Frauen ermordet hat, wird er immer verzweifelter angesichts des mangelnden öffentlichen Interesses an seiner göttlichen Mission.

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