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"Mir ist egal, was Leute über mich denken" - Anthony Hopkins im Porträt

Ein Beitrag von Christian Klosz

Nach seiner Rolle als Hannibal Lecter machte Anthony Hopkins einen langen Ausflug ins Genrekino und Low-Budget-Segment. Seine Rollen in „Die zwei Päpste“ und „The Father“ markierten jedoch den Beginn eines dritten Schauspielfrühlings. Sein neuester Film „One Life“ schließt nun gleich mehrere Kreise.

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Hopkins

Anthony Hopkins zählt zu den begabtesten und bedeutendsten Schauspielern seiner Generation. Der heute 86-jährige gebürtige Waliser wurde in der breiten Öffentlichkeit lange Zeit auf seine Oscar-Rolle als Hannibal Lecter in „Das Schweigen der Lämmer“ von Jonathan Demme (1991) reduziert — eine Zuschreibung, die nie akkurat war, zählte Hopkins doch seit Beginn seiner Karriere zu den vielfältigsten und wandlungsfähigsten Mimen überhaupt. Spätestens seit der völlig zu Recht gefeierten (und ebenfalls Oscar-prämierten) Darstellung eines Demenzkranken in „The Father“ (2020) hat hier ein Umdenken stattgefunden: Der Film war der Beginn einer äußerst fruchtbaren Schaffensphase, einer „Spätkarriere“, eines dritten Frühlings, der eigentlich schon mit dem unterschätzten „Die zwei Päpste“ von Fernando Meirelles 2019 begonnen hatte.

Damit begann Hopkins, das Arthouse-Kino (wieder) für sich zu entdecken — etwas, das sich erst über den Umweg einer Handvoll B-Movies,  einen Ausflug ins Blockbuster-Kino (Thor, Transformers) und die Serienwelt (Westworld) in den 2010er Jahren ergab. Mit One Life erscheint nun ein weiterer Film der Kategorie „anspruchsvolles Erzählkino“, in dem der Schauspieler erneut in einer sensiblen Altersrolle überzeugen kann. 

One Life erzählt vom Leben des Briten Nicholas Winton (dargestellt von Hopkins beziehungsweise als junger Mann ebenfalls sehr überzeugend: Johnny Flynn), ein Brite, der 1938 hunderte vor allem jüdische Kinder aus der Tschechoslowakei vor den Nazis rettete, indem er sie nach England brachte. Hopkins mimt den knapp 80-jährigen Winton, der mit gemischten Gefühlen auf sein Leben zurückblickt und damit hadert, Stolz für seine Taten zu empfinden. Er kann sich selbst schwer vergeben, nicht noch mehr getan zu haben.

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Der Film selbst, aber auch die Rolle passen gut ins Schema der von Hopkins in den vergangenen Jahren darstellerisch beackerten Filmstoffe: The Father, Zeiten des Umbruchs, The Son und demnächst auch Freud’s Last Session (hier als Sigmund Freud) — anspruchsvolle, schauspiellastige Dramen, in denen Hopkins sein Talent zeigen kann, oft auch etwas subtiler und zurückgenommener als in früheren Filmen. Eine „Rückkehr zu den Wurzeln“ könnte man das auch nennen, denn die liegen im britischen Theater.

 

Von den walisischen Theaterbühnen zu Weltruhm

Die Reduktion Hopkins auf den „diabolischen, ultimativen Bösewicht“ Lecter war nie akkurat, das darstellerische Schaffen des Briten stattdessen seit Beginn von einer seltenen Breite geprägt, die ihn vom Theater ins Fernsehen über anspruchsvolle Neben- und Hauptrollen in „ernsten“ Filmen bis hin zum Einsatz in Genrefilmen oder in der Mainstream-Unterhaltung brachte. Hopkins ist klassisch ausgebildeter Theaterschauspieler, der seine Karriere auch dem Glück — und Laurence Olivier, seinem Entdecker — verdankte. Aus einem einfachen Arbeiterhaushalt stammend, in der Schule unbegabt, von mangelndem Selbstvertrauen gepeinigt, war diese Weltkarriere alles andere als vorgezeichnet. Hopkins selbst sagt, dass er nur deshalb Schauspieler geworden sei, weil er „sonst nichts konnte“ und sich lange Zeit für „dumm“ hielt. Es war gewissermaßen seine einzige Option, und die nutze er eindrücklich. 

Nach Anfängen im kleinen, aber etablierten Palace Theatre in der Küstenstadt Swansea in Wales wurde er 1965 von Laurence Olivier entdeckt und von ihm ans Royal National Theatre in London geholt. Dank Oliviers „understudy“ machte Hopkins schnell (Theater-)Karriere und kam in den späten 1960ern und 70ern auch zu ersten Filmrollen. Seit Anfang zeigt sich eine interessante Diskrepanz zwischen Hopkins‘ Herkunft aus einfachen Verhältnissen (sein Vater war Bäcker; Hopkins sagt, seine Erinnerung daran habe ihn stets davor bewahrt, abzuheben oder sich für etwas Besonderes zu halten) und vielen seiner Rollen. Am besten und überzeugendsten agiert er oft in Charakteren, die aus höheren sozialen Schichten stammen, die Macht innehaben und ausüben (Nixon, 1995), die sich durch eine besondere Kultiviertheit und Bildung auszeichnen. Ein Merkmal, das nicht zuletzt auch auf seinen Hannibal Lecter zutrifft, den rhetorisch brillanten, scharfsinnigen, belesenen Serienkiller, der menschliche Leber zu edlem Wein genießt. 

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Hopkins‘ Theaterprägung zeigt sich stets und auch heute noch in seinem Schauspiel, in dem er große Ernsthaftigkeit und Professionalität (Hopkins gilt als Meister des Auswendiglernens) mit spielerischer Spontanität und gelegentlicher Improvisation verbindet. Er liebt die Kunst des „first take“ und lehnt überbordendes Proben ab. Überliefert sind Anekdoten vom Dreh zu Shadowlands (1993), bei dem Hopkins gemeinsam mit Debra Winger unter Regie von Richard Attenborough vor der Kamera stand. Während Winger die gemeinsamen Szenen immer und immer wieder üben und wiederholen wollte, bevor gedreht wurde, konzentrierte sich Hopkins auf die erste Aufnahme, die meist saß. Der völlig konträre Zugang der beiden DarstellerInnen führte schließlich sogar dazu, dass Attenborough selbst bei Wingers Probe-Takes Hopkins‘ Rolle einnahm, der schließlich nur zum letzten Take ans Set geholt wurde.

 

Spagat zwischen Anspruch und Unterhaltung

Vielleicht ist es gerade diese Kombination aus künstlerischem Anspruch, Professionalität und legerer Lockerheit, die Hopkins für verschiedenste Publikumssegmente, aber auch unterschiedliche Genres und Rollen so interessant macht. Berühmt wurde ein von ihm selbst gerne zitierter Leitsatz, der gerade angesichts der zu Eitelkeit neigenden SchauspielerInnen-Zunft beachtlich erscheint:

„My philosophy is: It’s none of my business what people say of me and think of me. I am what I am, and I do what I do. I expect nothing and accept everything. And it makes life so much easier.“

Möglicherweise geht diese Lebensphilosphie auf ein Erlebnis vom Beginn seiner Karriere zurück: In seiner Zeit als Oliviers Ersatzmann in London musste er 1967 in einer wichtigen Produktion für seinen verhinderten Mentor einspringen. Zuvor hatte er stets große Nervosität vor den Auftritten empfunden. Das änderte sich an dem Abend und nach einem Austausch mit Olivier schlagartig, so Hopkins:

„He said: ‚Remember: „nerves“ is vanity – you’re wondering what people think of you; to hell with them, just jump off the edge.‘ It was great advice.“

 

Vom Zentrum an die Peripherie — und zurück

Es mag auch diese professionelle Unbekümmertheit und Uneitelkeit sein, die einige von Hopkins‘ Rollenentscheidungen gerade der letzten 15 Jahre und vor seiner „Wiederentdeckung“ im Arthouse-Segment erklären könnten. Denn auf den ersten Blick ist nicht zwingend einleuchtend, warum sich ein Schauspieler seines Kalibers für mittel- oder unterklassige Filme an der Schnittstelle zwischen Genre und B-Movie wie Blackway (2015), Die Vorsehung (2015), Collide (2016), Ruf der Macht (2016) oder The Virtuoso (2021) hergibt. Am mangelnden Angebot oder finanziellen Zwängen (wie bei manch anderem alternden Filmstar) mag es wohl eher nicht gelegen haben.

Man kann auch hier den Bogen spannen zu den berühmten Lecter-Darstellungen: Im zumindest recht unterhaltsamen Horror-B-Movie The Rite (2011) spielt Hopkins einen Exorzisten mit eher unorthodoxen Methoden. Das subtile Overacting, eine gewisse Tendenz Richtung Campiness ist da zu erkennen — ebenso wie in den Hannibal-Filmen. Das mag ein Reiz für ein Kaliber wie Hopkins gewesen sein, sich auch in Filmen abseits von Arthouse oder ernstem Erzähldrama probieren zu wollen, innerhalb eng gesteckter Genregrenzen, möglicherweise aber mit mehr Freiheiten und Gelegenheiten zur Improvisation. Wobei zugegeben werden muss, dass einige dieser Ausflüge in das Low- bis Mid-Budget-Genre nicht überzeugen konnten.

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Einen weiteren Erklärungsansatz findet man in Aussagen von Hopkins aus den frühen 2000er Jahren. Angesprochen auf die Diskussionen rund um die Veröffentlichung von Hannibal (2001) und die dort recht explizit gezeigte brutale Gewalt sagte er in einem Interview mit dem Spiegel in Hinblick auf Kritik am Film: „Politische Korrektheit ist das wirklich Böse in unserer Welt. Hemmungen und Verdrängungen haben Schreckliches hervorgebracht: die Inquisition, Faschismus, McCarthyismus. Der Puritanismus und die Unterdrückung der Schattenseite des Menschen haben die Welt verwüstet.“ Damals war eine solche Aussage noch kein Skandal. Vielleicht fand sich Hopkins in einer gerade in den späteren 2010er Jahren vom Willen zur politischen Korrektheit durchdrungenen Filmbranche nicht mehr wohl und zuhause, weshalb er an die Ränder und Nischen wechselte, wo entsprechende Regeln nicht oder viel weniger gelten — in die B-Movies eben. Um dort auf neue Chancen und Herausforderungen zu warten.

Die kamen spätestens mit Die zwei Päpste, wo Hopkins als überraschend sympathischer Papst Benedikt brilliert, was ihm eine Oscar-Nominierung einbrachte. Es folgten die bereits erwähnten Filme The Father, Zeiten des Umbruchs — und nun eben One Life.

 

„One Life“ schließt die Kreise

One Life ist eine logische Fortführung, ein Anknüpfungspunkt, an dem sich gleich mehrere Kreise schließen: Zum einen reiht sich der Film ein in die Riege sensibler, schauspielzentrierter Dramen, in denen Hopkins in den letzten Jahren zu sehen war, in denen das Echo der Theaterprägung offensichtlich wird. Seine Figur basiert erneut auf einem realen Vorbild — ebenso wie seine Rollen in Hitchcock (2012), Die zwei Päpste oder Freud’s Last Session

Nicht zuletzt lässt sich auch hier eine Referenz zu Hannibal Lecter herstellen: Wenn Lecter das ultimativ Böse repräsentiert, steht Nicholas Winton für das ultimativ Gute, für Idealismus, Humanismus und Altruismus. Dafür, das Richtige zu tun, sich für andere einzusetzen, wenn es nötig ist und weil es nötig ist, selbstlos und völlig uneitel. Die Tatsache, dass Anthony Hopkins diese beiden völlig konträren Charaktere so glaubwürdig verkörpern kann, ist ein weiterer Beleg für sein darstellerisches Talent und seine schier unendliche Wandlungsfähigkeit.

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