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Regisseur Florian Zeller drehte nach „The Father“ nun „The Son“. Doch trotz ähnlicher Titel haben die beiden Filme inhaltlich nur wenig miteinander zu tun. Denn unterschiedliche Krankheiten verlangen unterschiedliche Erzählungen.

The Son (2022)

Eine Filmkritik von Markus Fiedler

Verloren in der Dunkelheit

Der französische Regisseur und Drehbuchautor Florian Zeller holte sich für „The Father“ 2021 den Oscar für das beste adaptierte Drehbuch ab. Sein Hauptdarsteller Anthony Hopkins gewann ebenfalls. Die Erzählung von der fortschreitenden Demenz eines alten Mannes, gezeigt aus der Sicht des Kranken, öffnete den Horror des Alltags auf eine erschreckende Weise und ließ kaum jemanden kalt. Zeller hatte bereits das gleichnamige Theaterstück geschrieben. Nun legte der Franzose nach und inszenierte ein weiteres seiner Bühnenwerke für die Leinwand – „The Son“. Darin muss ein erfolgreicher Geschäftsmann und Vater mit der seelischen Erkrankung seines 17-jährigen Sohnes umgehen lernen.

Wer nun einen zweiten The Father erwartet, dürfte von The Son enttäuscht werden. Denn das Thema, mit dem sich Zeller diesmal beschäftigt und dessen Name im ganzen Film kaum fällt – Depressionen – erlaubt keine Inszenierung aus der Perspektive des Betroffenen, die wirklich Einblicke in sein Leiden gäbe. Daher erzählt Zeller diese Geschichte deutlich konventioneller als seinen vorherigen Film. Aber nicht schlechter: Die hochkarätige Besetzung um Hugh Jackman und Laura Dern als besorgte Eltern macht die tragische Story einer Familie und ihrem Umgang mit einer tückischen Krankheit emotional erfahrbar. Ohnmächtig muss das Publikum zusehen, wie Nicholas (Zen McGrath) leidet und offenbar niemand in seiner Familie in der Lage ist, das Ausmaß seiner Probleme zu erkennen.

Denn Vater Peter, vom eigenen Vater (verkörpert von Anthony Hopkins) zu einem rastlosen Karrieristen erzogen, und noch immer von überzogenen Ansprüchen an sich und an die anderen Menschen in seiner Umgebung zerfressen, weigert sich lange, den eigenen Sohn als krank und hilfsbedürftig zu betrachten. Immer wieder wird er in Gegenwart von Nicholas wütend, unterstellt ihm, sich nicht genug Mühe zu geben, sich zu sehr anzustellen. Die Entwicklung Peters vom besorgten, aber auch enttäuschten Vater zum echten Freund und Unterstützer seines Kindes ist auch das Spannendste, was Zeller in seinem neuen Film zu bieten hat. Denn der junge titelgebende Sohn ist letztlich nur eine Randfigur, während die eigentliche Hauptfigur der Vater ist, der sich vom großen Schatten des eigenen Vaters befreien muss, um seinem eigenen Kind wirklich helfen zu können. Insofern hat Zeller hier tatsächlich eine gänzlich andere Geschichte zu erzählen als noch in The Father.

Und mit dieser speziellen Persönlichkeit Peters lässt sich auch die größte Schwachstelle des Films erklären: das beharrliche Weigern, eine Depression als solche anzuerkennen, obwohl die Krankheit im heutigen New York nun wahrlich keine exotische Diagnose sein dürfte. Aber große Teile des Films über agieren die Protagonisten so, als hätten sie vom Weltschmerz, wie die Krankheit schon früher verharmlosend genannt wurde, noch nie in ihrem Leben gehört. Von Schuld und Selbstvorwürfen zerfressen versuchen sie alles, um ihrem Sohn zu helfen, ihn aber auch in Watte zu packen. So ignorieren sie, ihm zuliebe, den Ratschlag der Ärzte – mit entsprechenden Folgen.

Dass die Erzählung des Films nur dann funktioniert und zum von Zeller geplanten Ende kommt, wenn Peter und seine Ex-Frau Kate so reagieren, wie sie es tun, ist sicher richtig. Dass dem Autor aber keine bessere Begründung dafür eingefallen ist, als das bewusste Ignorieren einer mittlerweile sehr bekannten Krankheit, schwächt den Film. Denn so stark die Leistungen von Jackman und Dern auch sind, die Figuren leiden unter der fehlenden Glaubwürdigkeit der gesamten Situation. Da ist die ebenfalls stark aufspielende Vanessa Kirby in der Rolle von Peters zweiter Frau und Stimme der Vernunft wesentlich glaubhafter, weil besser geschrieben.

Doch trotz dieser einen Schwäche gelingt Zeller ein einfühlsames Portrait einer Familie, die trotz Trennung noch immer in Freundschaft und Liebe verbunden ist und auch durch unterdrückte Schuldgefühle die völlig falschen Schlüsse zieht, was den Zustand des eigenen Kindes betrifft. Jackman, der als Superheld Wolverine den großen Durchbruch feierte, zeigt hier erneut, dass er mehr kann als digitale Metallkrallen aus den Händen ausfahren. Obwohl Zeller seinen Film diesmal ohne dramaturgische Kniffe in kurzen, fast dokumentarisch anmutenden Szenen erzählt, entfaltet er eine ähnliche Wirkung wie The Father. Denn die unendliche Traurigkeit von Nicholas verlässt das Publikum auch nach dem Ende des Films nicht sofort. Sondern bleibt wie Anthony Hopkins‘ verzweifelte Orientierungslosigkeit und Angst im Gedächtnis. The Son ist wahrhaftig kein schöner Film, weil schwer und belastend. Aber trotz kleiner Mängel ein guter.

The Son (2022)

Einige Jahre nach der Scheidung seiner Eltern möchte der 17-jährige Nicholas nicht weiter bei seiner Mutter Kate leben. Daraufhin zieht er bei seinem Vater Peter und dessen neuer Lebensgefährtin Beth ein. Das Paar hat gerade sein Familienglück mit der Geburt der gemeinsamen Tochter perfekt gemacht. Peter stehen in der Folgezeit große Herausforderungen bevor. Neben den familiären Pflichten und der täglichen Arbeit hat er die Chance, seinen Traumjob in Washington, D.C. zu ergattern. Auch versucht Peter, sich so um Nicholas zu kümmern, wie er es von seinem eigenen Vater gerne gewünscht hätte. Der Versuch, die Fehler aus der Vergangenheit zu korrigieren, droht das Verhältnis zwischen Vater und Sohn stark zu belasten.

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