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Ein Film, der förmlich überquillt vor Zitaten und subversiven Gesten. Müsste man aber einen roten Faden legen, so wäre es die Subjektwerdung seiner Hauptfigur.

Barbie (2023)

Eine Filmkritik von Bianka-Isabell Scharmann

In der Box unbegrenzter Möglichkeiten

Die weltweite Werbekampagne läuft seit Monaten, die moderne Mythenbildung rund um „Barbie“ hat ebenfalls schon längst eingesetzt: Der Welt sei das Pink ausgegangen. Ob das stimmt, ist unerheblich. Vielmehr verweist die Größe dieser Legende auf die mit dem Film verbundenen Erwartungen. „Think pink!“, der Song aus dem Stanley-Donen-Musical „Funny Face“ (1957), spielt kontrapunktisch zur Trailermusik seit Monaten in meinem Kopf. Eine Frage ließ mich nicht los, die auch von besagten Trailern im Konzert mit der massiven Bewerbung des Films im Vorhinein nicht beantwortet werden konnte: Wie adaptiert man die ikonischste Spielzeugpuppe des späten 20. und frühen 21. Jahrhunderts für die Leinwand? Noch dazu ein Konsumprodukt, das offiziell eigentlich keine Biografie, kein Narrativ besitzt, sondern im Raum des (ideologischen und ur-US-amerikanischen) Topos der unbegrenzten Möglichkeiten existiert? Und dennoch auf eine über ein halbes Jahrhundert spannende Erfolgsgeschichte zurückblicken kann? 

Zunächst einmal, indem man genau dieses Paradox ernstnimmt und ausarbeitet. In Barbieland regiert „Presidential Barbie“ (Issa Rae) zusammen mit dem Barbie-Kongress, kümmert sich Doktor-Barbie (Hari Nef) um das Wohlergehen, Barbies gewinnen die Nobelpreise, arbeiten auf der Baustelle, fliegen ins All, haben alles schon erreicht. Doch auch mit diesem Versprechen von Barbie als Vorbild für echte Frauen geht der Film offensiv ironisch um. „We fixed it“, sagt Barbie (Margot Robbie) später einmal und will dafür die ihr in ihren Augen gebührende Dankbarkeit empfangen. In der realen Welt aber wird ihr unsanft ein Spiegel in Form einer tief verärgerten Teenagerin vorgehalten. Hier prallen auch intellektueller und populärer Feminismus und deren Blicke auf Barbie aufeinander. 

Und die Kens? Nun ja, sie sind gut in ‚Strand‘. „Barbie und Ken“ nimmt Barbie wortwörtlich: Ken existiert nur in der Konjunktion mit Barbie, er ist ein Anhängsel, das Plus One von Barbie. Daher buhlen die Kens von Ryan Gosling und Simu Liu auch unaufhörlich um Hauptfigur-Barbie; andere Kens sieht man meist hinter ihren korrespondierenden Barbies positioniert, etwa Emma Mackey und Ncuti Gatwa (beide bekannt aus Sex Education). Gerade das – der eigenen Existenz nur im Blick Barbies versichert werden zu können –, frustriert aber Ryan Goslings Ken. Charmant unbedarft versucht er immer wieder, eine heteronormative Beziehung zwischen den beiden zu stiften – was (und hier darf aufgeatmet werden) misslingt. 

Müsste man jedoch einen roten Faden durch Barbie legen, so wäre es der der Subjektwerdung von Margot-Robbie-Barbie. Todesgedanken während einer ausgelassenen Party schockieren Barbieland und sie: Danach ist nichts mehr, wie es war, ihr perfektes Leben bekommt Risse. Dem Rat des Orakels („Weird Barbie“, gespielt von Kate McKinnon) folgend, begibt sich Barbie in die reale Welt, um das unglückliche Mädchen ausfindig zu machen, dessen Emotionen sie erfüllen. Nach Irrungen und Wirrungen – „Toto, this isn’t Kansas anymore” – im Hauptquartier von Mattel angekommen, das verdächtig nach Jacques Tatis Regeln aus Playtime funktioniert – ist sie bereit, zurück nach Barbieland zu kehren.

„It’s been years since I’ve been in a box…“ – mit einem in die Ferne entschwindenden Blick, der verrät, dass die Erinnerungen mit den unzählbaren Jahren verblasst sind, schaut Barbie auf die menschengroße Schachtel. Sich zunächst von dem Gefühl der vagen Vertrautheit anziehen lassend, betritt sie die Box; positioniert sich – selbstredend – perfekt mittig in dieser. Doch just in dem Moment, als die weißen Plastikschlingen im Begriff sind, ihre Handgelenke festzubinden und sie (erneut) zum Objekt zu verpacken, entscheidet sich Barbie um. Und entwischt dem Zugriff. Für eine solche Einengung hat diese Barbie, angekommen in der realen Welt, schon ein zu starkes Selbst-Bewusstsein entwickelt. 

Eine viel größere Gefahr stellt Ken dar, der in der realen Welt die Macht der Männer und folglich das Patriarchat als Gesellschaftsform für sich entdeckt. Ausgestattet mit neuer Ikone (Pferd) und Mission reist er zurück nach Barbieland, um die Strukturen dort zugunsten der Kens umzukrempeln – mit verheerenden und wahnsinnig komischen, überdrehten Folgen. Barbieland wird zu Kendom, Bachelor-Ästhetik und Mini-Kühlschränke wo vorher Pink regierte.  Und kurzerhand werden zur Rettung Barbielands Gloria (America Ferrera) und Sasha (Ariana Greenblatt) aus der realen Welt eingespannt. 

Neben diesen Erzählstrang, in den sich Kens Identitätskrise einflicht, werden immer wieder neue gelegt, mit dem diese sich kreuzen und verbinden. Es sind diese Knotenpunkte, die die Versatzstücke aus Musical, Mutter-Tochter-Drama, Märchen, Road-Movie, Spionage-Thriller, Buddy-Movie, Rom-Com und Tragikomödie zusammenhalten. Trotz des teils episodenhaften Charakters des Films fassen diese Kettenglieder auf kluge Weise ineinander, um das Spiel der Absurditäten voranzutreiben. Barbie quillt außerdem förmlich über vor Filmzitaten und Anverwandlungen, Bezügen zu Filmtechniken vergangener Jahrzehnte und subversiven Gesten. Dennoch ist Barbie kein Film übers Filmemachen, wie beispielsweise Singin‘ in the Rain – eine zentrale Referenz für eine Traum-Musical-Nummer. Wirklich überraschend ist, dass selbst abgegriffenste und enervierende Filmzitate wie die Monolith-Sequenz aus 2001: A Space Odyssey in der gewitzten Bearbeitung tatsächlich funktionieren. Mir scheint, dass dem Film eine durch anarchische Energie getriebene Choreografie zugrunde liegt, die inspiriert durch das (Nicht-)Musicalhafte des Films das Fantastische und Traumhafte animiert. Nicht zuletzt unterstützt durch ein „all-out“ gehendes Set- und Kostümdesign, das in mir den Wunsch geweckt hat, den Film anzuhalten (oder eben nochmal zu sehen), um alle Details aufnehmen zu können.  

Offensichtlich hat Mattel für Greta Gerwig (Regie und Drehbuch), Noah Baumbach (Drehbuch) und Margot Robbie (die den Film co-produziert hat) die Archive geöffnet, mit deren Material sie einen spielerischen bis ironischen Umgang gefunden hat. Und dennoch: Während andere Barbies durch eine Profession oder ein Adjektiv näher bestimmt werden, kommt Margot Robbies Barbie ohne aus. Im Film wird sie adjektivisch mit „stereotypisch“ beschrieben. Die stereotype Barbie ist damit weiß und blond und perfekt. An dieser Norm rüttelt auch (bis auf letzteres) der Film nicht. Auch greift Barbie nur eine Entstehungsgeschichte der Puppe auf, nämlich die durch Mattel favorisierte, und erhebt diese auf die Ebene des Mythos. Ruth Handler, die ‚Schöpferin‘ Barbies zu einer fast schon feministischen Ikone zu stilisieren, die augenzwinkernd ihre Steuerhinterziehung zugibt – schwierig. Entgegen Margot-Robbie-Barbies Entschlüpfen entkommt Barbie letztendlich nicht der Box voller unbegrenzter Möglichkeiten. 

Barbie (2023)

Die Komödie von Greta Gerwig basiert auf der gleichnamigen Spielzeugreihe von Mattel. Es handelt sich um den ersten Realfilm über die Puppe nach einer Vielzahl von Trickfilmen und Fernsehserien.

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Meinungen

Hans im Glück · 16.12.2023

Ein witziger Film, den man mit viel mehr Augenzwinkern schauen sollte, als es hier manche Kommentatoren überhaupt für möglich halten.
Schade, dass Will Ferrel nicht mehr gezeigt wurde.

Teniarla · 15.09.2023

Heftig.
Schaut euch auf keinen Fall den Film Barbie an. Das ist der letzte Käse. Ganz offensichtlich von einer Frauen - hassenden, zumindest verachtenden Feministin gemacht. Absolut fürchterlich.

Peter Braczko · 10.08.2023

Meine Lebenszeit "verplemper`" ich auch nicht mit dem Fernsehgarten, Traumschiff, Tatort oder (noch schlimmer) Thomas Gottschalk mit seiner Pink-Assistentin. Trotzdem überlege ich immer noch, mir den Trivialschrott in PINK anzusehen, um mir selber eine Meinung zu bilden - vielleicht warte ich doch besser ab, bis dieser US-Kulturbeitrag zu Netflix kommt, dann kann ich notfalls zwischendurch in meinem Garten "Luft holen!"

Werner · 03.08.2023

Selten oder sogar noch nie in meinem Leben einen solchen Mist gesehen. Es tat mir schon nach etwa einer halben Stunde vergeblicher Sinnsuche dieser mit dem gröbsten Holzhammer vermittelten Rollenbilder körperlich weh, der Story weiter zu folgen. Hier meinte Regie und Drehbuch aber auch jede Wendung mit ewigen Wiederholungen "Ich bin Barbie", "Ich bin Ken" eintrichtern zu müssen. Das Regiment der schönen, aber stereotypen Plastikfrauen wird von völlig hirnlosen Machos kurz gebrochen und dann durch zwietrachtsäende, ausnahmsweise mal einige Frauen innerhalb von Stunden zurückerobert. Danach ist die Welt wieder im Lot- alle können sich wieder dem Plastic-Life hingeben und Dummkopf Donald Ken gibt zu, dass es so viel easier für ihn und seine abgezählten Gehirnzellen ist ... Puhhhh.
Zum Überfluss durfte Barbie auch noch ihre Schöpferin in abgesofteten Sequenzen kennenlernen - die völlig unaufgefordert ihre Steuerhinterziehungsstory zum besten gab.
Mitten drin eine grauenhafte Musical-Tanzeinlage!
Und zum Schluss hat Barbie einen Termin mit einer Gynäkologin gemacht (aber Ken natürlich nicht mit einem Urologen). Selten so wenig gelacht.
Ich bin nicht aufgestanden und mitten drin weggegangen weil ich im ausverkauften Kino keine schlechte Stimmung verbreiten wollte- aber ... furchtbar das ganze, eine Tortur.

Mareike Müller · 15.08.2023

Lieber Werner, da Sie solch eine komplizierte deutsche Sprache benutzen, kann ich Ihrem Kommentar leider nicht folgen.Ich bitte Sie ihre Meinung, für sich zu behalten.
Dankeschön und liebe Grüße
Mareike

Mario · 18.08.2023

Liebe Mareike,
insbesondere nach dem "Genuss" dieses Films, wirkt es durchaus grotesk, wenn man auf einer Meinungsplattform jemandem empfiehlt, seine Meinung für sich zu behalten. Vermutlich liegt es daran, dass sie nicht Ihrer Meinung entspricht. Womöglich sind Sie zu tief in diesen krampfhaft konstruierten Plot eingetaucht. Zeit, in die echte Welt zurückzukehren...

Teniarla · 15.09.2023

Genau für eine solche Frau scheint der Film gemacht worden zu sein. Mareike ich rate unbedingt zu einem Kinobesuch.

Bernhard · 27.08.2023

Lieber Werner,
Du sprichst mir aus der Seele! Gähnend langweilig, ein wirrer Plot, Küchenpsychologie der 80er Jahre, stereotype Charaktere mit absolut vorhersehbarer "Entwicklung". Ich hatte auch das Bedürfnis, das Kino zu verlassen.

Sandra · 26.07.2023

Was für ein genialer Film, angefangen bei den Schauspielern bis hin zu den Kulissen. Kinder werden diesen Film nicht "verstehen ", aber toll finden und Erwachsene ihn lieben, weil Sie ihn verstehen...

Reinhard · 25.07.2023

Der Film ist tiefgründiger als man erwartet. Bin 70 und habe ihn mit Enkelin besucht. Habe mich gut amüsiert.

wignanak-hp · 25.07.2023

Man weiß bei dem Film gar nicht, wo man anfangen soll. Auf der einen Seite steht fest, dass Barbie einer der größten Kassenschlager im Kinderzimmer war und ist, dass der Kommerz aus allen Poren dieser Figur schaut, auf der anderen Seite hat sie das Kinderzimmer revolutioniert.
Daran lässt Gerwig keinen Zweifel, wenn sie am Anfang, sehr klug variiert, 2001 – Odyssee im Weltraum zitiert. Andererseits ist die Welt quietschbunt und die Frauen sind alle geschminkt, zugegebenermaßen divers, einige entsprechen auch nicht dem Body-Maß-Index und trotzdem beschleicht die Zuschauerin ein gewisses Unbehagen das sich auch nicht aus dem Kopf verbannen lässt.
Hat das damit zu tun, dass man sich mit Grausen an die endlosen Diskussionen mit der eigenen Tochter erinnert? Kampf auf verlorenem Posten! Wie sollte ein Kind etwas von stereotypischer Weiblichkeit wissen? Für die Mütter der Kinder um die Dreißig war Barbie ein No-Go, eine Ausgeburt verzerrter Weiblichkeit. Heute im Zeichen von Social Media und seiner stereotypen Zeichnung der Geschlechter – Diversität hin oder her – scheint das vergessen.
Der Film macht Spaß, keine Frage. Er ist klug, aber er tut niemandem wirklich weh. Und er ist nichts für Kinder!

Siklinde · 22.07.2023

Ich verstehe diesen Hype nicht über diesen Barbie-Film🤦‍♀️ Ich hab noch nie so einen schlechten Film gesehen ... total langweilig und blöd 😂 so richtig blöd! Und absolut kein Film für Kinder. Könnt ihr euch wirklich sparen.

Carola · 22.07.2023

Toller Film!

Silvia · 30.07.2023

Der Film ist eigentlich doof aber auch nadencklich was sind mir Menschen nur Puppen machen was andere wollen? das Leben ist verückt und mann sollte eigentlich schreiben das es kein Film für kleine Kinder ist. Das verstehen sie nicht. Die letzten Minuten kammen mir fast die tränen.