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Die britische Schauspielerin Frances O’Connor nähert sich in ihrem Regiedebüt der Schriftstellerin Emily Bronte, als hätte die junge Frau in ihrem eigenen Roman gelebt – und tappt damit in die Falle, in der sich auch andere Autoren-Biopics schon gefangen haben.

Emily (2022)

Eine Filmkritik von Markus Fiedler

Die Geburt von Sturmhöhe

Der Roman Sturmhöhe, Musikfreunden besser bekannt unter dem Originaltitel Wuthering Heights, weil sich die junge Kate Bush 1978 von diesem Werk zu ihrem gleichnamigen Hit inspirieren ließ, gehört sicher zu den wichtigsten Werken britischer Literatur. Gerade, weil es der einzige Roman Emily Brontes ist. Die Schriftstellerin starb 1848 mit nur 30 Jahren an Tuberkulose. So steht Sturmhöhe tatsächlich heute wie ein Fels über den literarischen Werken ihrer beiden Schwestern Charlotte (Jane Eyre) und Anne (Agnes Grey), was den Bekanntheitsgrad angeht.

Regisseurin Frances O’Connor, die auch das Drehbuch schrieb, interessiert sich in ihrem Film Emily hauptsächlich dafür, welche Umstände im Leben der Schriftstellerin dafür sorgten, dass sie zum Schreiben von Sturmhöhe inspiriert wurde. Und nimmt sich viele dramaturgische und historische Freiheiten, um diese Geschichte zu erzählen. So ist weder ihre Liebe zum neuen Vikar der Gemeinde (Oliver Jackson-Cohen) belegt, noch sind die im Film gezeigten komplexen Beziehungen zu ihren Geschwistern Bestandteil der offiziellen Biographien. Somit fußen die meisten Einflüsse, die die Autorin hier ihrer Titelheldin unterstellt, nicht auf biographischen Fakten, sondern auf nach Ansicht O’Connors passenden, aber letztlich ausgedachten Ereignissen.

Das ist auch deshalb so schwierig, weil die Regisseurin die Landschaft von Yorkshire, in der die Bronte-Schwestern lebten, so zeigt, wie auch Sturmhöhe die Gegend schildert. Optisch hätte also bereits die urwüchsige Gegend mit zahlreichen Regengüssen und Gewittern gereicht, um die Stimmung von Sturmhöhe auch in dieses Biopic zu bringen. Und es ist für das Publikum gut vorstellbar, dass Emily Bronte sich ihre Story aufgrund dieser Gegend bereits ausgedacht haben könnte – und keine unglückliche Liebe gebraucht hätte.

Obwohl O’Connor zeigt, dass sich die Mädchen immer wieder Geschichten über ein selbst erfundenes Fantasieland erzählen, traut sie ihrer Protagonistin nicht zu, sich auch eine Story über eine dunkle Liebe und deren Folgen auszudenken. Warum aber, so fragt man sich, spricht sie Emily Bronte kreative Fantasie ab? Denn ihre Version der historischen Figur, so unangepasst, wild und naturliebend, lieber für sich bleibend und stets um das Wohl der Familie bemüht, zeugt von einer starken jungen Frau mit großem Vorstellungsvermögen, feinem Witz und großer Ausdruckskraft in ihren Worten. Der sollte man doch zutrauen, auch über Dinge zu schreiben, die sie nicht selbst erlebt hat, oder?

Immerhin, gespielt wird Emily Bronte ausgesprochen beeindruckend. Emma Mackey, nach ihrem Durchbruch in der Netflix-Serie Sex Education bereits zum dritten Mal in einem historischen Film zu sehen – nach Eiffel in Love und Tod auf dem Nil – meistert ihre Rolle hier tadellos und sorgt bereits nach wenigen Minuten dafür, dass sich Zuschauer:innen ein recht genaues Bild der Protagonistin machen können, ohne jemals auf Klischees zurückgreifen zu müssen.

O’Connors Emily ist nicht ohne Widersprüche, und Emma Mackay haucht diesen Momenten Leben ein. Gemeinsam mit Fionn Whitehead als der die junge Frau stark prägender Bruder Branwell hat Mackay ihre stärksten Momente im Film – was die Liebesgeschichte zu Jackson-Cohens Figur nochmals ein wenig abwertet. Zumal der oftmals unbeherrschte, aber auch leidenschaftliche und rebellische Bruder viele der Eigenschaften des männlichen Antihelden Heathcliff aus Sturmhöhe aufweist.

So zeigt Emily ein uneinheitliches Bild. Optisch ist das Regiedebüt von Frances O’Connor absolut gelungen, die wilde Landschaft wird in fast mystische Bilder aus Licht und Schatten getaucht. Und auch die Kulissen und Kostüme versetzen das Publikum schnell in eine Zeit, in der das Leben ungleich härter war als heute und der Tod in Form von Krankheit an jeder Ecke lauerte. Inhaltlich entfernt sich O‘Connors Script aber oftmals zu sehr von historischen Fakten und versucht, eine Story dramaturgisch aufzupeppen, die das gar nicht nötig gehabt hätte. Dennoch verbreitet Emily einen eigenen Zauber, der vor allem Fans der Werke der Bronte-Schwestern oder Jane Austen durchaus ansprechen dürfte.

Emily (2022)

Der Film zeigt, wie die Pfarrerstochter Emily Brontë, die gemeinsam mit ihren Schwestern Charlotte und Anne in Haworth in einem Familienhaushalt lebte, dort zu ihrem wahren Selbst gefunden hat und wie neben fantastischen Elementen auch Geschehnisse aus ihrem eigenen Leben in ihren Roman Wuthering Heights einflossen, der als ein Klassiker der britischen Romanliteratur des 19. Jahrhunderts gilt

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Meinungen

wignanak-hp · 10.05.2023

Auch Fantasie muss gefüttert werden. Wenn man sich das prüde England der Bronte-Schwestern anschaut, ist es schon verwunderlich, wo Emily die Inspiration für ihren Roman hernahm. Hinter dem Film steckt die These, dass nur das wahre Leben Stoff für gute Geschichte hergibt. Und da ist etwas Wahres dran. Vielleicht ist die Liebesgeschichte etwas zu körperlich für die Zeit. Aber gönnen wir doch Emily etwas Leidenschaft in einer Zeit, in der Frauen zu Gebet, Hauswirtschaft und Kinderkriegen verdammt waren, wenn sie nicht gerade Lehrerinnen wurden.