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Aus dem Ruder – Wilde Partys im Film

Ein Beitrag von Andreas Köhnemann

Am 18. Januar 2024 startet „The Palace“ in den deutschen Kinos. Die Komödie zeigt die Millenniumsfeierlichkeiten in einem Schweizer Luxushotel. Aus diesem Anlass blicken wir auf Film-Partys, die gehörig außer Kontrolle geraten.

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Harry und Sally / The Palace / Der große Gatsby
Harry und Sally / The Palace / Der große Gatsby

Der Jahreswechsel 1999/2000 sorgte damals international für helle Aufregung. Obwohl der Anbruch des neuen Jahrtausends kalendarisch-rechnerisch streng genommen erst am 01. Januar 2001 erfolgte, wurde das Millennium durch die numerisch so gravierende Datumsumstellung bereits ein Jahr zuvor ausgiebig gefeiert – begleitet von zahlreichen spektakulären Events und von einer aufwendigen medialen Berichterstattung, die auch diverse Weltuntergangsängste gehörig zu schüren vermochte. Würden die weltweiten Computernetze aufgrund des sogenannten „Millennium-Bugs“ komplett zusammenbrechen und dadurch ein gewaltiges Chaos, gar die Apokalypse bewirken?

In Roman Polańskis The Palace werden diese einstigen Y2K-Panik-Theorien über das Ende der Welt thematisiert. Vor allem geht es aber um die pompöse Festlichkeit, mit der das vor der Tür stehende Jahr 2000 in einem Schweizer Luxushotel begrüßt werden soll – und um die vielen Missgeschicke, durch die alles völlig aus dem Ruder zu laufen droht. Wir begleiten das Personal und die angereisten Leute in den letzten zwölf Stunden des Silvestertages 1999. Während in der Großküche hart an kulinarischen Genüssen gearbeitet wird, werden in der Lobby und im Festsaal unermüdlich Luftballons aufgeblasen.

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Draußen ist derweil schon der rote Teppich ausgerollt, um etwa eine Marquise (Fanny Ardant) mit Schoßhund, einen bekannten plastischen Chirurgen (Joaquim de Almeida), einen 97-jährigen Multimillionär (John Cleese) samt 22-jähriger Gattin (Bronwyn James) und einen an Donald Trump erinnernden Entrepreneur (Mickey Rourke) zu empfangen. Der emsige Hotelmanager Hansueli Kopf (Oliver Masucci) und der Rezeptionist Tonino (Fortunato Cerlino) fühlen sich mit ihrem Angestellten-Team gegen alle Eventualitäten gewappnet. Doch dann sorgen unter anderem eine Gruppe russischer Gangster mit weiblicher Begleitung und Bodyguards, ein unkonventionelles (lebendiges) Geschenk, ein bizarrer Todesfall sowie der exzessive Konsum von Alkohol und Marihuana dafür, dass letztlich absolut nichts nach Plan verläuft.

Die totale Eskalation

Durch das gewählte Milieu der (zuweilen Pseudo- und Neu-)Reichen, (überwiegend künstlich) Schönen, Adligen und nicht selten Kriminell-Korrupten sowie durch die enge Verknüpfung von Prunk und Derbheit lässt The Palace unweigerlich an Ruben Östlunds garstige Arbeit Triangle of Sadness (2022) denken, die bei den 75. Internationalen Filmfestspielen von Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeichnet wurde. Das Werk erzählt in seinem Mittelteil, wie ein junges Paar, bestehend aus dem Model Carl (Harris Dickinson) und der Influencerin Yaya (Charlbi Dean), eine Kreuzfahrt auf einer Yacht antritt, die wegen einer Reihe äußerst widriger Umstände in einem Desaster mit etlichen Toten endet.

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Der schwedische Drehbuchautor und Regisseur mixt hier genüsslich Typenkomödie, Gesellschaftssatire und Katastrophenfilm, um (zwischen-)menschliche Abgründe zur Schau zu stellen – und demonstriert insbesondere in den Momenten an Bord, die das Vulgär-Dekadente erfassen, seine Lust an der absurden Eskalation: Das Kapitänsdinner, das als prächtige Veranstaltung mit raffiniertem Spitzenmenü zelebriert werden sollte, wird dank eines heftigen Sturms und einer plötzlich grassierenden Seekrankheit nicht zum angestrebten Glamour-Abend, sondern zur fatalen Ekel-Orgie.

Noch bevor die Bordtoiletten explodieren und alles in jeder Hinsicht dem Untergang geweiht ist, erreicht die Mischung aus knallig-direkten Kalauern und geistreichem Humor ihren Höhepunkt, wenn die von Sunnyi Melles wunderbar furchtlos gespielte Oligarchengattin Vera selbst dann noch das rasche Nachfüllen ihres Champagnerglases fordert, als sie die ungünstige Kombination aus Unwetter und möglicherweise verdorbenen Gourmetspeisen schon längst dazu gebracht hat, sich in reichem Maße zu übergeben. Im Endeffekt können weder ein geräucherter Oktopus noch Ingwerbonbons oder raue Mengen des edelsten Tropfens diese übersättigt-weltfremde Truppe retten.

Eine einzigartige Slapstick-Parade

Die allmähliche Verschärfung des Feier-Tohuwabohus bis zur radikalen Zerstörung in The Palace und in Triangle of Sadness ruft natürlich den Klassiker Der Partyschreck (1968) ins Gedächtnis. Das Werk des Comedy-Meisters Blake Edwards ist gewiss nicht unproblematisch – vor allem durch die Besetzung des weißen Briten Peter Sellers in der Rolle eines Inders, der als Gastdarsteller in Kalifornien tätig ist. Die virtuose Körperkomik von Sellers und der inszenatorische Wagemut von Edwards sind indes nach wie vor sehr beeindruckend.

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Die Slapstick-Komödie funktioniert in erster Linie als Abfolge irrwitzig-stürmischer Sketche, deren Gags größtenteils am Set improvisiert wurden. Die Tollpatschigkeit des Protagonisten sorgt hier nicht nur bei den Dreharbeiten zu einem Abenteuerfilm für ein riesiges Durcheinander, sondern stürzt schließlich ein kostspieliges Fest in der Villa eines Studiobosses in Beverly Hills ins grenzenlose Chaos, bis sich das ganze Haus in ein Schaumbad verwandelt hat. Mitverantwortlich dafür ist unter anderem ein bunt bemaltes Elefantenbaby. Edwards persifliert in Der Partyschreck den ausschweifenden Hollywood-Lifestyle und bezieht sich gemeinsam mit Sellers auf die physische Kunst von Leinwandlegenden wie Harold Lloyd, Buster Keaton, Charlie Chaplin und Laurel und Hardy.

… and a Happy New Year!

Etwas weniger brachial geht es in Filmen zu, die mit The Palace das Silvestermotiv teilen. Die Indie-Tragikomödie 200 Cigarettes (deutscher Alternativtitel: Eine Nacht in New York) von Risa Bramon Garcia stammt aus dem Jahr, in dem The Palace angesiedelt ist, verlegt ihre Story aber wiederum in die frühen 1980er Jahre. Nach einem Skript von Shana Larsen begleitet die Regisseurin darin eine Gruppe von Twentysomethings in New York City, die den Silvesterabend möglichst feierlich einleiten möchte.

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Das ist allerdings gar nicht so leicht, wenn die Adresse, wo die große Sause steigen soll, leider irgendwie verschüttgegangen ist – wie es hier den zwei besten Freundinnen Val (Christina Ricci) und Stephie (Gaby Hoffmann) passiert. Auch für die exzentrische Gastgeberin Monica (Martha Plimpton) und das dysfunktionale Paar Cindy (Kate Hudson) und Jack (Jay Mohr) läuft es nicht wirklich gut. Trotz aller Pannen, die den Figuren im Laufe der turbulenten Handlung widerfahren, macht 200 Cigarettes Lust aufs Zelebrieren – dank der ausgefallenen Mode und des schrillen Vibes der Eighties sowie der urbanen Atmosphäre und des spürbar spielfreudigen Ensembles, zu dem etwa noch Janeane Garofalo, Paul Rudd, Courtney Love und Elvis Costello gehören.

Dass die Jahreswechsel in Rob Reiners RomCom Harry und Sally (1989) an zwei Stellen des Plots ins unerwartet Unangenehme zu kippen drohen, liegt indessen an den emotionalen Irrungen und Wirrungen, mit denen die beiden Titelfiguren (verkörpert von Billy Crystal und Meg Ryan) zu kämpfen haben. Während das typische Will-They-Won’t-They-Couple an einem Silvesterabend kurz vor Mitternacht erstmals erkennen muss, dass zwischen ihnen wohl doch weitaus mehr Gefühle im Spiel sind, als bisher gedacht, bildet eine weitere rauschende Party in Manhattan am 31. Dezember im Jahr darauf die Kulisse für das ikonische Finale, das nach einer Auseinandersetzung ins erhoffte Happy End mündet.

Glamouröse Bälle der Superlative

Ein solches ist dem titelgebenden (Anti-)Helden in Der große Gatsby nicht vergönnt. Nachdem der Regisseur Jack Clayton mit Robert Redford und Mia Farrow in den Hauptrollen in den 1970er Jahren eine recht dröge Bebilderung des 1925 veröffentlichten gleichnamigen Romans von F. Scott Fitzgerald geliefert hatte, setzte der Australier Baz Luhrmann die berühmte literarische Vorlage rund vier Dekaden später entschieden lustvoller nach seiner üblichen ästhetischen Methode in Szene: mit einem Zuviel an Farben, an Kostümen und Requisiten, an Schnitten und Musik – kurz: an allem.

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Erzählt wird hier, wie der erfolglose Autor Nick Carraway (Tobey Maguire) ein kleines Haus im Neureichenviertel West Egg auf Long Island bezieht und so der Nachbar von Jay Gatsby (Leonardo DiCaprio) wird, der in seiner Villa stets aufwendige Feste gibt. Die Jazz-Age-Partys kommen Luhrmanns Over-the-Top-Stil entgegen: Der Regisseur und sein Kameramann Simon Duggan finden schwindelerregend schöne Bilder, um die Genusssucht der Epoche zu veranschaulichen. Gatsbys Haus wirkt wie ein Disney-artiges Märchenschloss; die opulenten Glanz-und-Glitter-Lustbarkeiten sind mit ihrem hohen Fashion-Faktor ein beeindruckendes Spektakel, unterlegt mit einem musikalischen Mix aus modernen Beats und traditionellen Jazz-Elementen.

Doch letztlich sind die Partys, wie Gatsby im Roman einmal erklärt, „ganz unwichtig“. Denn Gatsbys Liebe seines Lebens, Nicks Cousine Daisy Buchanan (Carey Mulligan), wohnt jenseits der Bucht, in East Egg, mit ihrem untreuen Gatten Tom (Joel Edgerton). Die Feste in Gatsbys Villa dienen lediglich dazu, Daisys Aufmerksamkeit zu erregen. DiCaprio interpretiert diesen bemühten Selfmade-Millionär äußerst vielschichtig. Bei seinem ersten großen Auftritt prostet er uns mit übertrieben strahlendem Lächeln zu – mit einem prächtigen Feuerwerk im Hintergrund. Gatsbys spätere Verzweiflung fällt dann umso eindringlicher aus.

Der Tod feiert mit

Während sich bei älteren Partygesellschaften wie in dem nach den Regeln der dänischen Gruppe Dogma 95 produzierten Familiendrama Das Fest (1998) von Thomas Vinterberg oder in der schwarzen (Beziehungs-)Komödie The Party (2017) von Sally Potter häufig auf erschreckende Weise das Düster-Abgründige entbirgt, steht in Werken über junge feiernde Leute (oder ewige Kindsköpfe) wie Animal House (1978) von John Landis, Project X (2012) von Nima Nourizadeh, Booksmart (2019) von Olivia Wilde oder Hangover (2009) von Todd Phillips oft der über die Stränge schlagende Hedonismus im Zentrum.

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Gänzlich aus den Fugen geraten solche Teen- und Twen-Feten wiederum, wenn sich die Filme in Horrorgefilde begeben. In Prom Night (1980) von Paul Lynch muss Jamie Lee Curtis als Final Girl den Highschool-Mörder auf der Tanzfläche beim titelgebenden Abschlussball bezwingen. In Die Horror-Party (1986) von Fred Walton ist lange Zeit unklar, ob die fiesen Aprilscherze, die mehrere Anwesende ins Jenseits zu befördern scheinen, nun ein morbid-ausgeklügelter Teil des Partyspaßes oder blutiger Ernst sind. Und in Cloverfield (2008) von Matt Reeves und Der Nachtmahr (2015) von Achim Bornhak alias AKIZ sind es in ihrer Größe und Anmutung höchst unterschiedliche Ungeheuer, die den Protagonist:innen die Feierlaune gründlich verderben.

Von Killern und Monstern bleiben die Figuren in The Palace verschont; dem Tod oder der tödlichen Blamage können sie aber ebenfalls nicht entgehen. Partys, die im Tumult enden und alles durcheinanderwirbeln, bis im Inneren der Beteiligten oder im Äußeren des Schauplatzes nur noch Trümmer vorzufinden sind, bleiben somit ein unerschöpfliches Sujet des Kinos.

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