Der große Gatsby (2013)

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Hoffnungslose Romantiker zwischen Glanz und Niedergang

Verheißungsvoll beginnt Der große Gatsby mit einem grünen Licht, das von der anderen Seite des Ufers aufleuchtet. Leser von F. Scott Fitzgeralds Roman wissen, dass dieses Licht gleichsam Gatsbys Sehnsucht und Niedergang ist: Es hängt am Ende des Stegs des Hauses von Daisy und Tom Buchanan – und erinnert Gatsby daran, dass dort die Frau lebt, die er immer geliebt hat. Im Film erklingt dann eine Stimme aus dem Off, die von dem Rat eines Vaters an seinen Sohn erzählt: Nick Carraway (Tobey Maguire) solle sich stets daran erinnern, dass es andere vielleicht nicht so leicht hatten wie er. Doch geht es auch Nick gerade nicht gut. Er lässt sich in einem Sanatorium wegen Alkoholsucht, Depression und Schlaflosigkeit behandeln. Die Ursache seines Leidens ist die Geschichte seines Nachbarn Jay Gatsby (Leonardo DiCaprio), die ihn nicht mehr loslässt. Denn Gatsby war für Nick der hoffnungsvollste Mensch, den er jemals kannte.

Mit dieser Rahmenhandlung, die an den Entwurf von F. Scott Fitzgeralds unvollendeten Roman The Last Tycoon erinnert, beginnt Baz Luhrmanns Adaption eines der bekanntesten Werke des 20. Jahrhundert. Darin inszeniert er Jay Gatsby als hoffnungslosen Romantiker, der im New York der 1920er Jahre seine innere Leere mit dem Streben nach Reichtum kaschiert, mit dem er Daisy (Carey Mulligan) zurückgewinnen will. Ist Fitzgeralds Roman ein Zeitdokument des – vom Autor selbst so genannten – Jazz Age, das von der Korrumpiertheit des amerikanischen Traums erzählt, wird im Film der Konflikt zwischen Gatsby und Tom (Joel Edgerton) nicht zum Symbol der Gegensätze zwischen sozialem Aufstieg und Status, zwischen neuem und altem Geld, sondern zu der Auseinandersetzung zweier eifersüchtiger Männer. Die Gesellschaft der 1920er Jahre ist hier Kulisse für eine Liebesgeschichte, in dessen Zentrum der Romantiker Jay Gatsby steht.

Angesichts der bisherigen Filme des Australiers Baz Luhrmann (Strictly Ballroom, Romeo & Julia, Moulin Rouge und Australia) und der Trailer zu dem Film, war eine große dekadente Show zu erwarten. Tatsächlich gibt es auch Bilder von rauschenden Partys, in denen aber all der fliegende Glitter, das bombastische Feuerwerk, der lichtdurchflutete Champagner und die festlich bis lasziv gekleideten Menschen (Produktionsdesign: Catherine Martin) sich viel zu schnell bewegen. Ja, es gibt Glanz, Musik und Schweiß, aber alles flirrt nur so vorbei. Markieren Gatsbys Märchenschloss und das herrschaftliche Anwesen der Buchanans noch die Gegensätze zwischen dem demonstrativen Prunk des Neureichen und dem dekadenten Reichtum des Geldadels, werden die Stadt New York und das Aschetal, das die Stadt von den Häusern trennt, zu pappartigen Kulissen, vor denen großes Theater aufgeführt wird.

Insbesondere das 3-D trägt dazu bei, dass die Räume oftmals an eine Bühne erinnern, auf der der Leichtsinn des Jazz Age vorgeführt wird. Besonders deutlich wird es bei Nicks Besuch im Appartement von Toms Geliebter Myrtle (Isla Fisher), der durch den schnellen Schnitt und die fratzenhaft-überzeichneten Figuren zu einer grotesken Orgie wird. Erst durch den deutlichen Einsatz der Musik und einer ruhigeren Kamera am Ende dieser Sequenz findet sich die Schwüle der Fatamorgana New York und die stumpfe Dekadenz mancher Bewohner auf der Leinwand wieder. Ohnehin ist der Einsatz der Filmmusik von Shawn „Jay Z“ Carter gelungen und setzt oftmals wohltuende Verbindungen sowie Kontrapunkte. Sie zeigt zudem, wie verführerisch eine freiere Adaption gewesen wäre.

Die größte Herausforderung für jede Verfilmung des Romans von F. Scott Fitzgerald ist die Erzählsituation. Im Roman ist Nick ein unzuverlässiger, sehr präsenter Erzähler, der die Geschichte strukturiert, zusammenhält und mit zugegebener Sympathie für Gatsby auch deutet. Um diese Erzählerstimme filmisch aufzulösen, hätten sich Luhrmann und sein Mit-Drehbuchautor Craig Pearce deutlich von der Vorlage lösen müssen, sie hätten die Szenen neu arrangieren und schreiben sowie weitere Dialoge entwerfen müssen. Das wäre ein reizvolles Vorgehen gewesen, das aber weit von der Vorlage weggeführt hätte. Stattdessen haben sich Luhrmann und Pearce eng an Fitzgeralds Roman gehalten, viele Sätze stammen direkt aus dem Buch und manche erscheinen mit nach und nach auf die Leinwand poppenden Buchstaben sogar wörtlich im Bild. Außerdem haben sie Nick Carraway als Erzähler beibehalten, so dass der Film zu nahezu jeder Szene die Interpretation mitliefert. Das fällt insbesondere bei dem kurzen Moment des Glücks zwischen Gatsby und Daisy auf einer Party und am Ende störend auf. Daisy wird von Carey Mulligan mit sehr viel verführerischer Unschuld gespielt, in die sie die von Daisy behauptete Düsterheit einfließen lässt, zugleich aber auch ihren „ennui“ und ihre Leichtfertigkeit. Sie transponiert Daisys Besonderheit auf die Leinwand und lässt zudem erkennen, dass sie vor allem eine Projektion der Männer in ihrem Leben ist. Bei einem Stelldichein in Gatsbys Garten könnte ihre Ambivalenz aus Unschuld und fahrlässiger Sorglosigkeit deutlich werden, durch Nicks Beschreibung aus dem Off wird der Interpretationsraum aber unnötig eingegrenzt. Dazu trägt zudem bei, dass Daisys Ehemann Tom auf eine prahlerische Attraktivität beschränkt wird. Erst in der finalen Konfrontation lässt sich erahnen, dass Tom nicht nur ein muskulöses Ekelpaket ist, sondern ein Mann mit sehr genauen Vorstellungen von Moral und seiner Rolle in der Gesellschaft. Mit mehr Sorgfalt in der Charakterisierung hätte aus ihm – wie aus der von der Australierin Elizabeth Debicki gespielten Jordan Baker – eine stärkere Figur werden können. Andere Nebenfiguren, insbesondere Myrtle und ihr Mann (Jason Clarke) sind hingegen völlig überzeichnet und bleiben Karikaturen.

Weitaus überzeugender sind die Hauptrollen. Neben Carey Mulligans verführerischer Daisy betont Tobey Maguire anfangs die liebevolle und humorvolle Sorglosigkeit von Nick, zeigt durch die marginale Rahmenhandlung die Auswirkungen dieser Geschichte – und erinnert damit an Fitzgerald selbst. Leonardo DiCaprio reduziert sein oftmals überdeutliches Grimassieren in dem Film weitgehend – nur beim finalen Fall übertreibt er etwas. Vor allem aber bringt er das „Strahlen“, von dem Fitzgerald in dem Roman schreibt, auf die Leinwand, dieses „Lächeln von jener seltenen Art, (…) Es umfasste – zumindest schien es so – für einen Augenblick die Welt als ein Ganzes und Ewiges, um sich dann mit grenzenloser Zuversicht dem Menschen zuzuwenden.“ Zudem verkörpert er scheinbar mühelos sowohl Gatsbys prahlerisches als auch unsicheres Verhalten, seinen Ehrgeiz und seine unerschütterliche Hoffnung.

Überraschenderweise überzeugt der Film daher nicht bei den bombastischen Party-Szenen, sondern in den Momenten, in denen er sich auf die Hauptfiguren konzentriert. Insbesondere bei der Begegnung von Gatsby und Daisy in Nicks Haus sowie den folgenden Sequenzen mit ihrer Annäherung überträgt sich der Zauber dieser Beziehung in den Kinosaal. Hier werden die maßgeschneiderten Hemden – im Gegensatz zu allen anderen wichtigen Symbolen wie das grüne Licht und das gelbe Auto – nicht als überladene Vorzeichen präsentiert, sondern bleiben schlichtweg Ausdruck von Gatsbys verzweifelten Versuchen, Daisy zu beeindrucken. Schauspieler, Produktionsdesign und die Kamera von Simon Duggan gehen in solchen Szenen eine bestechende Mischung ein – und es wird deutlich, dass die sepia-getränkten Rückblenden nicht nötig gewesen wären, um die Geschichte von Gatsby und Daisy zu erzählen. Durch solche Momente wird Baz Luhrmanns Der große Gatsby trotz der holprigen ersten halben Stunde und der Längen ein Vergnügen – ein etwas zwiespältiges zwar, aber es gibt wenige Filme, in denen neben fast schon lachhaft-übertriebenen Szenen solch schöne Momente zu finden sind.
 

Der große Gatsby (2013)

Verheißungsvoll beginnt „Der große Gatsby“ mit einem grünen Licht, das von der anderen Seite des Ufers aufleuchtet. Leser von F. Scott Fitzgeralds Roman wissen, dass dieses Licht gleichsam Gatsbys Sehnsucht und Niedergang ist: Es hängt am Ende des Stegs des Hauses von Daisy und Tom Buchanan – und erinnert Gatsby daran, dass dort die Frau lebt, die er immer geliebt hat.

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Meinungen

Martin Zopick · 12.04.2023

Regisseur Baz Luhrmann hat dem Roman von Scott Fitzgerald seinen unverwechselbaren Stempel aufgedrückt. So kommt die in der Vorlage versteckte Kapitalismuskritik im Film etwas zu kurz. Das ist nicht unbedingt ein Nachteil. Mit atemberaubendem Tempo jagt er die Zuschauer auf technisch hohem Niveau (z.B. gleiten dem Sprecher geschriebene Worte aus dem Mund) mit und ohne Zoom durch das Gelände der Großstadt (mal aus der Vogelperspektive, mal Streetview). Inhaltlich ähnlich prall gefüllt und mit einem Spitzenensemble besetzt, betont Luhrmann eher die Lovestory und den Hahnenkampf um Daisy (Carey Mulligan). Bisweilen trägt das Ambiente märchenhafte Züge mit einem Sidestep zum Grotesken. Dabei tritt der große Gatsby (Leonardo DiCaprio) erst nach einer halben Stunde in Erscheinung. Doch wir hören von vielen Gerüchten über ihn: ‘Spion, Attentäter, Oxford Man und reich wie Gott‘. Oder Volkes Stimme meint ‘Er ist ein Cousin von Kaiser Wilhelm, sie wissen schon dem deutschen König‘. Luhrmann stimmt mit Fitzgerald vollkommen überein bei der Beschreibung der hohlen Schicki-Micki Gesellschaft, in der das Leben eine Party ist. Und das ist eine zeitlose Binsenweisheit. Und als Antipode zum großen Gatsby verkörpert Tobey Maguire (Nick) den freundlichen unschuldigen Claqueur, den der große Gott wohl braucht. Eindrucksvoll ist auch der Schluss des Films, bei dem wir uns nach dem ganzen Trubel auf die Einsamkeit des Individuums konzentrieren können. Und was bleibt? Manch einer bleibt halt auf der Strecke. Neben Jay Gatsby ist in diesem Gesellschaftsporträt noch besonders erwähnenswert Myrtle (Isla Fisher), eine Konkurrentin von Daisy. Der Film ist ein einziges Fest. Trotz der Golden Twenties passt er ins 21. Jahrhundert.

Semestern · 22.05.2013

Der Hammer bin echt gespannt, seh den Film erst morgen, und kann heute Nacht nicht schlafen !

Marco · 20.05.2013

Tolles und differenziertes Review! Mehr davon!

Sabine seidel · 20.05.2013

da bin ich mal auf den film gespannt. werd ich mir heut gleich anschauen

Gandalph · 19.05.2013

Diese Besprechung hat mein Interesse eher abgekühlt und ich frage mich, ob ich mir diesen Film wirklich ansehen sollte oder besser nicht.

wignanek-hp · 15.05.2013

Diese Besprechung macht richtig Lust auf den Film. Ich bin sehr gespannt!