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Auf den Hai gekommen: Ben Wheatley

Nun hat Ben Wheatley also tatsächlich Meg 2 gedreht. Dabei steht der britische Regisseur für eher schmutziges Kino. Wobei… eigentlich hat er immer schon gemacht, was er wollte. Wir präsentieren unsere Lieblingsfilme.

Meinungen
benwheatley
Kill List / Sightseers / Free Fire

Das britische Indie-Kino lebt von einem harschen Look, der irgendwie aus der Tradition des sozialen Realismus auch in andere Genres hinübergewandert ist. Mike Leighs großartig dunkler „Nackt “(1993) ist so ein Film, der dem Schmutz der britischen Gesellschaft nicht ausweicht, den Bildern eine räumlich-ästhetische Verortung gibt. Man muss nicht immer ewig in der Filmgeschichte zurückgehen. Sicherlich ist aber auch das radikale Schaffen von Ken Russell („The Devils“) in seinem Einfluss nicht zu unterschätzen. Ben Wheatley ist auf jeden Fall ein Regisseur, dessen frühe Filme „Down Terrace“, „Kill List“ und vor allem „Sightseers“ durch und durch britisch sind. Später öffnet sich der umtriebige und verspielte Filmemacher anderen Formen: seine Bilder werden größer und künstlicher, wie in „High Rise“. Nun hat dieser Mann doch tatsächlich einen Blockbuster gedreht, gar ein Sequel: Wie „Meg 2“ geworden ist, könnt ihr in unserer Kritik nachlesen. Im Folgenden stellen wir euch unsere Favoriten aus Ben Wheatleys Filmografie vor:

Kill List (2011)

Dieser Film ist ein unkalkulierbares Biest. Wer das Glück hat, diesen grimmigen Geniestreich zum ersten Mal sehen zu dürfen, wird irgendwann nicht mehr wissen, wo unten und oben ist: Was ist das für ein Genre, in dem sich Kill List bewegt? Ehedrama verwandelt sich in einen Auftragskiller-Film und mündet in einem wüsten Horrorfilm. Aufgrund der schonungslosen Gewaltdarstellung und verunsichernden Atmosphäre ist der Film nichts für schwache Nerven. Doch gerade diese direkte, dem Realismus entlehnte und immer wieder in paranoide Montage abdriftende Form macht Kill Lust zu einem der Perlen des Genrekinos. 

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Nach einem misslungenen Auftrag kehrt der Auftragsmörder Jay (Neil Maskell) in den Schoß seiner Familie zurück. Sein Partner Gal (Michael Smiley) kommt mit seiner neuen Freundin zum Abendessen vorbei. Die Stimmung ist seltsam angespannt. Man hat das Gefühl, dass jederzeit etwas Unfassbares passieren muss. Was ist beim letzten Auftrag passiert? Wieso verhält sich Gals Begleitung so seltsam? Obwohl Jay keine Lust mehr auf einen Auftrag hat, lässt er sich auf einen neuen Job ein. Von einem geheimnisvollen Auftraggeber erhalten die beiden Freunde eine Liste mit drei Personen, denen sie das Licht ausknipsen sollen. Der Kontrakt muss allerdings mit Blut besiegelt werden. Spätestens an diesem Punkt weiß man, dass die Sache nicht gut enden wird …

Wheatley, der auch bei diesem Film mit seiner Frau Amy Jump zusammengearbeitet hat, interessiert sich nicht für klassische Dramaturgie. Die Psychologie in Kill List, der Zustand der Figuren, wird nicht einfach erzählt: Der gesamte Film wird zu einem wütenden, um sich schlagenden Monstrum. Es gibt nicht wenige, denen die Haken dieses langsam erzählten Horrorthrillers zu plötzlich kommen und auf den ersten Blick wenig Sinn ergeben. Über den ganzen Film verteilt finden sich Hinweise und Verknüpfungen. Außerdem sind die Auswirkungen dieser Genrewechsel derart verstörend, dass es kaum einen Film gibt, der einen in eine derartige Anspannung versetzt. Eine absolute Empfehlung für alle Fans der härteren Gangart.

von Sebastian Seidler

Sightseers (2013)

Wäre ja noch schöner, wenn man sich den wohlverdienten Urlaub durch die Tatsache ruinieren ließe, dass sich der Reisepartner als abgedrehter Killer entpuppt! Die frisch verliebte Tina (herrlich: Alice Lowe) ist jedenfalls nicht bereit, dies geschehen zu lassen: Obgleich der verschrobene Chris (Steve Oram) auf der gemeinsamen Wohnwagen-Tour ein paar Umweltsünder und Störenfriede aus dem Weg räumt, hält die schüchterne Frau an ihrem fragilen Spießer-Glück fest – bis auch sie eine gewisse Mordlust entwickelt …

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Sightseers liefert tiefschwarzen, bitterbösen Humor und blutige Momente. Die beste Szene ist allerdings recht unspektakulär und findet im Café des Keswick-Stiftmuseums statt: Gibt es etwas Witzigeres als einen überdimensionalen Bleistift und eine Person, die damit einen hochdramatischen Brief verfassen möchte? Wohl kaum. Wheatley setzt das mit seinem Gespür für Atmosphäre und für Momente der Irritation und Verblüffung ganz wunderbar um.

von Andreas Köhnemann

High Rise (2015)

Ein Traum von einem Hochhaus, damit beginnt alles. Der Wohnkomplex soll den Gewinnern der Gesellschaft ein sorgenfreies Leben in Luxus ermöglichen, bei dem man mit der Außenwelt im Grunde gar nicht mehr in Kontakt zu treten braucht. Supermarkt, Fitnessstudio und Schwimmbad – alles mit einem Knopfdruck im Aufzug zu erreichen. In dieser modernistischen Zukunftsvision (die unsere Vergangenheit ist) bezieht nun der Arzt Robert Laing (Tom Hiddleston) ein Appartement. Er will nach einem Schicksalsschlag zur Ruhe kommen; eine Gated Community scheint dafür wie gemacht zu sein. 

Die Stockwerke entsprechen dabei dem gesellschaftlichen Rang, dem Geldbeutel: Oben residieren die Reichen. Sie stehen buchstäblich auf den Schultern der anderen, der ärmeren Mitbewohner. Als es zu Spannungen innerhalb der Hausgemeinschaft kommt, weil die Technik im Haus versagt und jeder die gesellschaftliche Gegenseite beschuldigt, bricht ein mörderisches Chaos aus, in dem Laing versucht, den Kopf über Wasser zu halten.

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High Rise von Ben Wheatley ist ein audiovisueller Anschlag, ein fiebriger Tauchgang in die Geburtsstunde der neoliberalen Ordnung: Thatcher sitzt schon in den Startlöchern, um die britische Gesellschaft aus den Angeln zu heben. Doch noch muss die Grundbedingung der Transformation geschaffen werden. Dabei handelt sich weniger um einen Film über die Klassengesellschaft als vielmehr um den Versuch, eine Struktur ins Bild zu setzen, innerhlab derer die vorhandenen Spannungen innerhalb einer Gesellschaft auszunutzen: Alles wird in Bewegung versetzt, Architektur zu Macht und Macht zu Architektur. In diesem Hochhaus wird eine neue Mittelschicht erzeugt, die immerzu gegen den Abstieg strampelt und sich nach oben streckt. Dieses bewegliche und kaum definierbare Objekt Mittelschicht ist die beste Erfindung des Kapitals – darin entsteht die Sehnsucht, die es braucht, damit alles weitergeht. Hier findet man den Motor, den Traum vom Aufstieg und die Angst vor dem Sturz in den Abgrund der Armut.

Der Architekt des Hauses ist im Grunde Opfer seiner eigenen Kreatur aus Beton und das Haus der eigentliche Protagonist. Das nennt man wohl schöpferische Zerstörung. Aus den Trümmern steigt eine neue Ordnung – heute und morgen.

Geschnitten ist dies furios. Es ist schwer, die Orientierung zu behalten, weil sich Wheatley und seine Frau Amy Jump (Editorin) nicht an der Geschichte orientieren, sondern an Intensitäten: Alles wird angefangen, sagen wir angeschnitten und sofort abgebrochen, weil das Auge von anderen Dingen gelockt wird. Bis schließlich der Himmel als Farbe an der Wand landet: Innen wird wie Außen sein. Grandios.

von Sebastian Seidler

Free Fire (2016)

Viele gute Actionfilme haben ein simples Konzept und kaum mehr als eine Location: der Bus in Speed, das Flugzeug in Con Air, die Lagerhalle in Quentin Tarantinos Reservoir Dogs. Letzterer steht auch etwas zu offensichtlich Pate für Ben Wheatleys Free Fire. Während Tarantino aber seinen Männerbund und die Themen Vertrauen und Verrat noch ernst nimmt, zeigt Wheatley davon eine Parodie: Seine harten Typen haben ganz schön fragile Egos, die Gewalteskalation wäre eindeutig vermeidbar gewesen, und er hat auch eine Frau ins Ensemble eingeschleust.

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Der Film spielt im Jahr 1978 in Boston. In der verlassenen Lagerhalle soll ein Waffendeal stattfinden. Weil zwei der anwesenden Männer schon tags zuvor bei einer Party aneinandergeraten waren, und sich sowieso alle ständig provozieren, um ihre Männlichkeit zu behaupten, fallen die ersten Schüsse, und hören dann auch bis zum Ende des Films nicht mehr auf zu fallen.

Dem Film fehlt die Eigenständigkeit, um als ganz großes Werk zu gelten. Gerade weil er seine Genrekino-Hommage nicht ernst nimmt, kann Wheatley aber den Unterhaltungsfaktor so hoch wie möglich schrauben, lässt die Figuren überzeichnete Siebzigerjahre-Mottoparty-Outfits tragen und möglichst viele verschiedene Dialekte sprechen – einer ist angeblich „britischer Australier“. Gleichzeitig versteht er es gut, inmitten des langanhaltenden Action-Chaos noch Geschichten zu erzählen; nachvollziehbar zu machen, wie Allianzen entstehen und zerfallen, neue Strategien ausprobiert werden oder Figuren von A nach B fliehen. Gen Ende des Films werden der Patronenlärm und das Blutvergießen wunderbar durch einen Jazz-Soundtrack konterkariert.

Und selbst bei einem Film, der in Boston spielt, erhält Wheatley sich unverkennbar britische Noten: Die Figuren, die die Waffen kaufen wollen – gespielt von Michael Smiley und Oppenheimer-Star Cillian Murphy – sind Mitglieder der Irisch-Republikanischen Armee, einer paramilitärischen Bewegung, die das ganze 20. Jahrhundert über dafür kämpfte, Irland unabhängig und kommunistisch zu machen. Wird in Meg 2 vielleicht auch Jason Statham seine revolutionäre Ader entdecken? Man darf hoffen.

von Mathis Raabe

In the Earth (2021)

Es soll ja vorkommen, dass manche Filme hierzulande gar nicht erscheinen. Nicht immer hat es was mit der fehlenden Qualität der Filme zu tun. Vielmehr sind die Filme oft zu schräg, dass Verleiher annehmen, sie würden ihr Publikum nicht finden. Interessant, dass es neben Censor von Prano Bailey-Bond einen weiteren britischen Horrorfilm aus 2021 getroffen hat: Ben Wheatleys In the Earth.

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Während der Pandemie mit kleinem Besteck in den Wäldern Englands gedreht, macht der exzentrische Filmemacher das, was er immer macht: Er mixt die Genres, experimentiert mit der Form und holt aus kleinen Settings große Bilder heraus. Wobei In the Earth letztlich vor allem eine Folk-Horror-Variation ist, in die er ökologische Themen mischt und auch die Pandemie reflektiert.

Der Film erzählt die Geschichte einer Waldexpedition: Der Forscher Martin (Joel Fry) will seine Kollegin und ehemalige Geliebte Olivia (Heyley Squires) in einem abgelegenen Forschungsprojekt in den Wäldern um Bristol aufsuchen. Gemeinsam mit der Parkwächterin Alma (Ellora Torchia) macht er sich auf den Weg. Unterwegs werden die beiden überfallen. Ein im Wald lebender Mann leistet Hilfe, hat aber ganz eigene Pläne mit den beiden. Irgendetwas scheint in diesem Wald zu leben, sich auszubreiten – und es will nicht, dass irgendwer geht.

Aus dieser sehr einfachen Prämisse zaubert Wheatley einen Horrorfilm auf die Leinwand, der Genre-Puristen mächtig vor den Kopf stoßen dürfte. Vielfach zeigten sich Horrorfans auch mächtig enttäuscht. Trotz einiger blutiger Bilder erschreckt der Film vor allem durch seinen audiovisuellen Angriff auf die Zuschauer, der an das wahnwitzige Schnittgewitter aus A Field in England erinnert. Auf der großen Leinwand ein die Sinne zerfetzendes Erlebnis.

von Sebastian Seidler

A Field in England (2013)

Mit seinem Film aus dem Jahre 2013 beschritt Ben Wheatley abermals Neuland — und das gleich in mehrfacher Hinsicht. Zum einen erfolgte der Release zeitgleich auf verschiedenen Plattformen: im Kino, auf DVD und als Video-on-Demand (Streaming steckte da eher noch in den Kinderschuhen — unglaublich, wieviel sich seitdem verändert hat). Viel wichtiger aber sind die inhaltlichen wie formalen Aspekte dieses gewagten Historienfilms: Mittels einer hypernervösen Handkamera, die immer ganz dicht dran ist am Geschehen und dem Haufen abgerissener Protagonisten wird das Publikum förmlich hineingeworfen in eine nicht näher benannte Schlacht während des English Civil War (1642-1649). Wobei man niemals die großen Zusammenhänge sieht, das Gesamtbild und die historischen Hintergründe, sondern immer nur den engen Handlungs- und Bewegungsrahmen der Männer, denen der Film folgt, ihr Leiden, ihre Orientierungslosigkeit, den ohrenbetäubenden Lärm, das Chaos, die Sinnlosigkeit. Zunächst sind es vier Männer — zwei maulfaule Soldaten, ein eher unterkomplexer Familienvater und ein Gelehrter, denen wir folgen, dann taucht buchstäblich wie aus dem Nichts (selten sah man so eine gewagte Einführung einer Person) ein Mann mit scheinbar übernatürliche nKräften auf, der die vier anderen manipuliert und unter anderem mit Hilfe von halluzinogenen Pilzen dazu bringt, einen Schatz zu suchen. Was angesichts der einsetzenden Wirkung der Pilze ein wenig aus dem Ruder läuft.

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Wie die fünf Männer, die der Film hier zusammenwirft, so mäandert auch A Field in England selbst durch seine eigene Geschichte, ist Historienfilm, Thriller, Horror, existenzialistisches Drama, gewagtes Experiment und ja – irgendwie auch eine Komödie der bitteren Sorte. Ein wildes Werk, inhaltlich eher verwirrend, formal aber brillant, verspielt und völlig verrückt.

von Joachim Kurz

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