Log Line

Mit „Reservoir Dogs“ schrieb sich Quentin Tarantino in die Filmgeschichte ein. Die schwarzhumorige Gangsterballade ist vor allem eine beeindruckende Schauspiel-Show.

Reservoir Dogs – Wilde Hunde (1992)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Ein Heist-Consequences-Movie

Anfang der 1990er Jahre wurde der US-Drehbuchautor und -Regisseur Quentin Tarantino auf dem Sundance Film Festival als neue Stimme des Indie-Kinos entdeckt: Mit dem Gangsterdrama „Reservoir Dogs“ gelang ihm 1992 der Durchbruch als Autorenfilmer. Der Werdegang des 1963 geborenen B-Movie-Fans und Ex-Videothekenangestellten dürfte wohl weitgehend bekannt sein. Und doch ist dessen Erwähnung unumgänglich, um über die Besonderheiten von Tarantinos großem Leinwand-Debüt zu sprechen.

Das beginnt bereits beim Titel. Angeblich soll ein Kunde in jener Videothek im kalifornischen Manhattan Beach, in der Tarantino seinerzeit jobbte, nach dem Arthouse-Werk Au revoir, les enfants (1987) von Louis Malle gefragt haben, allerdings in einer derart falschen Aussprache des Filmnamens, dass dabei eben Reservoir Dogs herauskam. Diese spielerische Attitüde passt perfekt zu einem Heist-Movie, das den Raubüberfall – also das vermeintliche Herzstück des Plots – gänzlich ausblendet und sich stattdessen auf die verheerenden Folgen der Aktion für alle glücklosen Beteiligten konzentriert.

Wir lernen die acht Anti-Helden der Geschichte zu Beginn am Tisch in einem Restaurant kennen. Schon hier zeigt sich vieles, was im Laufe der Jahre von zahlreichen Fans als Tarantinos Handschrift wertgeschätzt werden sollte. Die Figuren werden vornehmlich über den Dialog charakterisiert – und der Dialog dient wiederum nicht zwangsläufig dazu, die Ereignisse rasch voranzutreiben, sondern ufert in Gedanken über die Songs der Pop-Queen Madonna oder über die Notwendigkeit und angemessene Höhe von Trinkgeldern sowie die prekäre wirtschaftliche Situation von Kellnerinnen im Land aus.

In den Rollennamen und in der Besetzung wird ein Feuerwerk an Referenzen gezündet. So lehnen sich die Decknamen einiger Männer nach Farben — von Mr. White über Mr. Orange bis hin zu Mr. Pink — an Joseph Sargents Thriller Stoppt die Todesfahrt der U-Bahn 123 (1974) an, in dem etwa Robert Shaw als Mr. Blue und Martin Balsam als Mr. Green kriminell agieren. Mit dem Method-Actor Harvey Keitel als Mr. White gelang Tarantino ein echter Casting-Coup, da dieser durch seine Mitwirkung in den frühen Arbeiten von Martin Scorsese, etwa Hexenkessel (1973) und Taxi Driver (1976), und in etlichen anderen modernen Klassikern wie Die Duellisten (1977) von Ridley Scott, Black Out – Anatomie einer Leidenschaft (1980) von Nicolas Roeg oder Camorra (1986) von Lina Wertmüller zu den prägendsten Gesichtern der New-Hollywood-Bewegung und eines unkonventionellen europäischen Genrekinos zählt.

Mit Michael Madsen als Mr. Blonde, Tim Roth als Mr. Orange und dem Studioära-Veteranen Lawrence Tierney (Jagd auf Dillinger) als Verbrecherboss Joe Cabot konnte der junge Tarantino diverse weitere Charakterköpfe gewinnen, während Steve Buscemi mit seiner betont unsympathisch-rücksichtslosen Interpretation des Mr. Pink einem breiteren Publikum bekannt wurde – und in den folgenden Jahrzehnten aus dem Rollenfach des verschrobenen Kauzes nicht mehr wegzudenken sein sollte. Das gesamte Ensemble nutzt die von Tarantino verfassten Dialogzeilen, um sich kräftig auszutoben; der Grundstein für die (Wieder-)Entdeckung und die willkommene Herausforderung von Stars in den Filmen des Regisseurs wurde hier bereits eindrücklich gelegt.

Ein Gang der Männergruppe in schwarzen Maßanzügen über den Restaurantparkplatz, der in Zeitlupe eingefangen wird, und die oft kontrapunktisch gesetzte Musik, etwa der Popsong Stuck in the Middle with You aus dem Jahr 1973 von der britischen Band Stealers Wheel in einer ziemlich brutalen Sequenz (samt Tanzeinlage), bringen Tarantinos Stilwillen zum Ausdruck. Der rund 1,2 Millionen US-Dollar teure Film spielt größtenteils in einem schmucklos-verlassenen Lagerhaus – und doch wirkt dieses Low-Budget-Setting nicht billig, sondern wird durch die Spannung zwischen den Figuren, die nicht wissen, wer den Fehlschlag des Plans zu verantworten hat und wem sie überhaupt trauen können, zu einer dramatischen Bühne, auf der es zunehmend blutig zugeht. Die verschachtelte Erzählweise voller Rückblenden gehört heute gewiss selbst in Mainstream-Skripts zum Standardrepertoire, stellte vor drei Dekaden aber durchaus noch ein Wagnis dar und brach mit Konventionen.

Reservoir Dogs ist zweifelsohne ein pessimistischer Film; gleichwohl ist er deutlich weniger zynisch als die unzähligen Kopien, die im Zuge des enormen Erfolgs von Tarantino für die Leinwand oder für den Video- und DVD-Markt entstanden. Viel Hoffnung mag zwischen den Schüssen, Anschuldigungen und Lügen der Gangster-Truppe nicht aufblitzen; dennoch lässt sich eine Solidarität unter Verblutenden und eine gewisse Sehnsucht nach Loyalität und Vertrauen erkennen. Während (zu) viele Nachahmungen einfach nur Spaß daran hatten, die handelnden Figuren zu quälen und ins Elend zu schicken, scheint hier durch das wüste Geschehen stets auch eine mitfühlende Tragik durch.

Reservoir Dogs – Wilde Hunde (1992)

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Was ursprünglich als erste abendfüllende Regiearbeit eines unbekannten, aufstrebenden Schauspielers und Drehbuchautors mit möglichst geringen Mitteln geplant war, avancierte nach der Uraufführung beim Sundance Film Festival 1992 zu einem grandiosen Erfolgsfilm, der – nicht unumstritten – Kritiker wie Publikum begeisterte, zahlreiche Nominierungen und Preise erhielt und mit seinem avantgardistischen Stil längst in die Kategorie Kult aufgestiegen ist: Reservoir Dogs – Wilde Hunde, das Spielfilmdebüt des mittlerweile weltberühmten US-amerikanischen Filmemachers Quentin Tarantino.

Als der Großgangster Joe Cabot (Lawrence Tierney) mit seinem Sohn „Nice Guy“ Eddie (Chris Penn) als Assistenten einen millionenschweren Juwelenraub plant, sucht er sich seine Crew für den Coup äußerst sorgfältig unter den einschlägigen Experten aus. Aus Vorsicht werden die sechs Männer, die bei den Vorbereitungen rekrutiert werden und deren Identität auch untereinander verborgen bleiben soll, mit farbenprächtigen Codenamen ausgestattet: Mr. White (Harvey Keitel), Mr. Orange (Tim Roth), Mr. Blonde (Michael Madsen), Mr. Pink (Steve Buscemi), Mr. Blue (Edward Bunker) und Mr. Brown (Quentin Tarantino).

Doch trotz der Sorgfalt bei der Auswahl der Gang hat sich offensichtlich ein Spitzel in das illustre Team geschlichen, wie sich bald darauf am Tag des Überfalls herausstellt. Allzu rasch taucht die Polizei am Tatort auf, und nach wilden Schießereien finden sich nur vier der Gangster am verabredeten Treffpunkt in einer abgelegenen Lagerhalle ein, um hier auf Joes weitere Instruktionen zu warten. Bei schwelendem Misstrauen untereinander foltert der durchgeknallte, sadistisch veranlagte Mr. Blonde einen Cop, den er gefesselt in seinem Kofferraum mitgebracht hat, um auf diese Weise die Identität des Spitzels herauszubekommen…

Es ist das nervenaufreibende, gnadenlos brutale Szenario in der Lagerhalle, dessen massive Gewaltdarstellungen die hitzigen Diskussionen um diesen dramaturgisch geschickt angelegten Thriller anführen, die sich mit Quentin Tarantinos folgendem Film Pulp Fiction (1994) sowie mit Natural Born Killers (1994) von Oliver Stone, zu dem er die Geschichte lieferte, fortsetzten. Mittlerweile zählt die Abbildung geradezu rauschhafter, exzessiver Brutalität zu den Markenzeichen der Filme des Regisseurs – längst ein etablierter Superstar seiner Zunft –, ebenso wie die groovigen Soundtracks, was bereits uneingeschränkt für Reservoir Dogs gilt.

Dabei liegt in diesen kruden, stilisierten Kreuzigungen der Menschlichkeit keineswegs die Faszination dieses Thrillers im Besonderen und der Filme Quentin Tarantinos im Allgemeinen begründet. Vielmehr sind es die klug kalkulierte, unkonventionell episodisch angelegte Erzählstruktur, die kurzweilig überzeugt, die kuriosen, für dieses Genre ungewöhnlichen Dialoge sowie nicht zuletzt die multidimensional präsentierten, von überragenden Akteuren verkörperten Figuren, deren oftmals schräge Details Charaktere von immenser Ambivalenz entstehen lassen, die sich einprägsam im Bewusstsein des Zuschauers niederlassen.

Von der charmant-markanten Anfangsszene der Herren Gangster in seriösen schwarzen Anzügen im Restaurant mit dem Trinkgeld-Diskurs und der nunmehr legendären Debatte über Madonnas Song „Like a Virgin“, deren Essenz auch als „Madonna Speech“ auf dem Soundtrack enthalten ist, bis hin zum höchst dramamtischen Finale um Verrat und Loyalität bietet Reservoir Dogs packende, anregende Unterhaltung mit zahlreichen mehr oder weniger offensichtlichen Anspielungen und Zitaten aus der Filmgeschichte, die durch diesen elegant inszenierten, coolen Stoff einiges an innovativen Inspirationen gewonnen hat.

Reservoir Dogs – Wilde Hunde (1992)

Was ursprünglich als erste abendfüllende Regiearbeit eines unbekannten, aufstrebenden Schauspielers und Drehbuchautors mit möglichst geringen Mitteln geplant war, avancierte nach der Uraufführung beim Sundance Film Festival 1992 zu einem grandiosen Erfolgsfilm, der – nicht unumstritten – Kritiker wie Publikum begeisterte, zahlreiche Nominierungen und Preise erhielt und mit seinem avantgardistischen Stil längst in die Kategorie Kult aufgestiegen ist.

  • Trailer
  • Bilder

Meinungen

Martin Zopick · 26.08.2023

Es fällt mir schwer, den Hype um das angeblich furiose Debüt des Regietalentes Quentin Tarantino nachzuvollziehen. Abgesehen von der Erzählweise, die von der eigentlich banalen Handlung ablenken soll, wird diese in Einzelteile zerlegt und durchgemischt nachliefert. Der Film schwankt zwischen blutüberströmten Brutalo-Szenen und endlos langen Dialogen der Gangster, die sich meistens anschreien. Und am Ende haben sie sich alle gegenseitig umgelegt. Na toll! Oder soll das lustig sein? Oder etwa eine Satire?
Will man uns zeigen ’Gangster sind miese Killer’? , ’In dem Metier traut keiner keinem’? oder etwa ’So weit im Leben, ist so nah am Tod’? Das wussten wir schon vorher. Vielleicht habe ich aber auch nur eine optische Blutallergie…Und der Titel passt zum Plot wie Knall auf Fall. Vielleicht ist die Kernaussage einfach nur Ich kille, also bin ich. K.V.

Tyler Durden · 05.10.2022

Gestern Abend habe ich den Film Reservoir Dogs in der Reihe 'Best of Cinema' zum ersten mal im Kino gesehen (damals zum ersten mal auf VHS/Laserdisc). Der Film ist gut gealtert und das Bild war brilliant!