Reservoir Dogs – Wilde Hunde (1992)

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Was ursprünglich als erste abendfüllende Regiearbeit eines unbekannten, aufstrebenden Schauspielers und Drehbuchautors mit möglichst geringen Mitteln geplant war, avancierte nach der Uraufführung beim Sundance Film Festival 1992 zu einem grandiosen Erfolgsfilm, der – nicht unumstritten – Kritiker wie Publikum begeisterte, zahlreiche Nominierungen und Preise erhielt und mit seinem avantgardistischen Stil längst in die Kategorie Kult aufgestiegen ist: Reservoir Dogs – Wilde Hunde, das Spielfilmdebüt des mittlerweile weltberühmten US-amerikanischen Filmemachers Quentin Tarantino.

Als der Großgangster Joe Cabot (Lawrence Tierney) mit seinem Sohn „Nice Guy“ Eddie (Chris Penn) als Assistenten einen millionenschweren Juwelenraub plant, sucht er sich seine Crew für den Coup äußerst sorgfältig unter den einschlägigen Experten aus. Aus Vorsicht werden die sechs Männer, die bei den Vorbereitungen rekrutiert werden und deren Identität auch untereinander verborgen bleiben soll, mit farbenprächtigen Codenamen ausgestattet: Mr. White (Harvey Keitel), Mr. Orange (Tim Roth), Mr. Blonde (Michael Madsen), Mr. Pink (Steve Buscemi), Mr. Blue (Edward Bunker) und Mr. Brown (Quentin Tarantino).

Doch trotz der Sorgfalt bei der Auswahl der Gang hat sich offensichtlich ein Spitzel in das illustre Team geschlichen, wie sich bald darauf am Tag des Überfalls herausstellt. Allzu rasch taucht die Polizei am Tatort auf, und nach wilden Schießereien finden sich nur vier der Gangster am verabredeten Treffpunkt in einer abgelegenen Lagerhalle ein, um hier auf Joes weitere Instruktionen zu warten. Bei schwelendem Misstrauen untereinander foltert der durchgeknallte, sadistisch veranlagte Mr. Blonde einen Cop, den er gefesselt in seinem Kofferraum mitgebracht hat, um auf diese Weise die Identität des Spitzels herauszubekommen...

Es ist das nervenaufreibende, gnadenlos brutale Szenario in der Lagerhalle, dessen massive Gewaltdarstellungen die hitzigen Diskussionen um diesen dramaturgisch geschickt angelegten Thriller anführen, die sich mit Quentin Tarantinos folgendem Film Pulp Fiction (1994) sowie mit Natural Born Killers (1994) von Oliver Stone, zu dem er die Geschichte lieferte, fortsetzten. Mittlerweile zählt die Abbildung geradezu rauschhafter, exzessiver Brutalität zu den Markenzeichen der Filme des Regisseurs – längst ein etablierter Superstar seiner Zunft –, ebenso wie die groovigen Soundtracks, was bereits uneingeschränkt für Reservoir Dogs gilt.

Dabei liegt in diesen kruden, stilisierten Kreuzigungen der Menschlichkeit keineswegs die Faszination dieses Thrillers im Besonderen und der Filme Quentin Tarantinos im Allgemeinen begründet. Vielmehr sind es die klug kalkulierte, unkonventionell episodisch angelegte Erzählstruktur, die kurzweilig überzeugt, die kuriosen, für dieses Genre ungewöhnlichen Dialoge sowie nicht zuletzt die multidimensional präsentierten, von überragenden Akteuren verkörperten Figuren, deren oftmals schräge Details Charaktere von immenser Ambivalenz entstehen lassen, die sich einprägsam im Bewusstsein des Zuschauers niederlassen.

Von der charmant-markanten Anfangsszene der Herren Gangster in seriösen schwarzen Anzügen im Restaurant mit dem Trinkgeld-Diskurs und der nunmehr legendären Debatte über Madonnas Song "Like a Virgin", deren Essenz auch als "Madonna Speech" auf dem Soundtrack enthalten ist, bis hin zum höchst dramamtischen Finale um Verrat und Loyalität bietet Reservoir Dogs packende, anregende Unterhaltung mit zahlreichen mehr oder weniger offensichtlichen Anspielungen und Zitaten aus der Filmgeschichte, die durch diesen elegant inszenierten, coolen Stoff einiges an innovativen Inspirationen gewonnen hat.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/reservoir-dogs-wilde-hunde-1992