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Oscars

Das Kino-Zeit Oscar-Orakel 2023

Wer sind die Favoriten der Redaktion? Wer wird gewinnen und wer hätte es eigentlich verdient? Und gibt es Filme, Menschen, Sensationen, die gar nicht vorkommen?

Meinungen
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Ja, wer? Und wieso?

Kino-Zeit legt die Karten! Auch wenn zu den Oscars die Meinungen in der Redaktion schonmal grundsätzlich auseinandergehen, gemeinsam einen Blick in die Glaskugel zu werfen, bereitet uns dann doch ziemlich großen Spaß. Es folgt: das Kino-Zeit-Oscar-Orakel mit allergrößter Trefferquote.

Prognose von Christian Neffe

Keine Nominierung für She Said? Top Gun: Maverick für bestes Drehbuch und besten Film? Wahnwitzige neun Nominierungen für Im Westen nichts Neues? Ja, natürlich! Oder gibt es da draußen etwa noch jemanden, der an der Unfehlbarkeit der allwissenden Academy zweifelt? 

Spaß beiseite. Natürlich bieten die Oscar-Nominierungen 2023 wieder viel Potenzial für Streiterei und Empörung. Wie jedes Jahr also. Begleitet vom obligatorischen Kleinreden der Relevanz des Preises (berechtigt und selbstverschuldet durch die Academy), die eigentlich nur noch in den kleinen Kategorien liegt: den Kurzfilmen. Denn ein Gewinn dort kann jungen Filmemacher*innen tatsächlich einen Weg in die Branche ebnen. Und allein für die Freude und Authentizität, die die jeweiligen Gewinner*innen dort auf die Bühne tragen, lohnt sich das Anschauen der Verleihung.

Aber zurück zum Orakeln – und auch wenn ich der abgefahren-kreativen und zutiefst menschelnden Achterbahnfahrt Everything Everywhere All At Once jeden Preis gönnen würde und auch glaube, dass Ke Huy Quan (weil der nach Indiana Jones 2 jahrzehntelang Pause gemacht hat, um dann so fulminant zurückzukehren) und Michelle Yeoh (weil… Michelle Yeoh!) sehr gute Chancen in ihren Kategorien haben, so deuten die Sterne doch unmissverständlich auf einen Gewinn von Die Fabelmans inklusive eines Goldjungen für Steven Spielberg. Denn natürlich liebt die Academy respektive Hollywood vor allem eines: sich selbst. Und nun dreht Spielberg, der Mann, der die Ära des modernen Blockbusters einleitete und damit New Hollywood wieder schön für die breite Masse konsumierbar machte, einen Film über sich selbst? Eine fiktionalisierte Autobiografie über die Liebe zum Film? Seinen Werdegang in Hollywood? Mehr Checkboxen kann man kaum abhaken.

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Beim besten adaptierten Drehbuch streiten sich derweil die fünf Autoren von Top Gun: Maverick (bekanntlich gilt: je mehr Schreibende, desto besser) und die drei hinter Im Westen nichts Neues um die Trophäe. Wobei ihn eigentlich Letzterer allein schon dafür verdient hätte, die Essenz der literarischen Vorlage völlig ad absurdum zu führen. Die Netflix-Produktion bekommt dann noch ein, zwei Inszenierungspreise und damit geht damit den Weg von Avatar 1: etliche Nominierungen, aber am Ende doch der große Verlierer.

Und wenn die Academy nicht den kompletten Lack vom letzten Fast&Furious-Dreh gesoffen hat, dann geht die allerwichtigste Auszeichnung des Abends – bester Filmsong – selbstverständlich an „Naatu Naatu“ aus dem wahnwitzigen RRR. Allein schon in der Hoffnung darauf, dass der Song dann auch von N.T. Rama Rao Jr. und Ram Charan auf der Bühne getanzt wird und im Saal für kollektive Entgeisterung sorgt, werde ich mir die Verleihung wohl anschauen.

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Prognose von Sebastian Seidler

Mein Interesse an den Oscar-Verleihungen geht eigentlich in den negativen Bereich. Dieser Starrummel stammt aus einer anderen Zeit, in der Hollywood noch anders funktionierte. Heute fühlt sich das wie ein leerer Budenzauber an: kalkuliert und feierlich herausgeputzt. Schaut her, alles ist und bleibt wie immer. Doch um Filme ging es dabei ja ohnehin nie: Das Star-System baut sich seine neuen Held*Innen, schnitzt sich Verlierer zurecht und poliert die Oberfläche. Das ist der Zynismus, der sich jedes Jahr bei mir wiederholt, sich ausbreitet und Gift und Galle spuckt. Und dann passiert es eben auch jedes Jahr, dass es mich doch interessiert, welcher Film denn nun gewonnen hat oder nicht. Deshalb  – Arschbacken zusammengekniffen – hier meine Prognose für 2023. The Oscar goes to… ich danke der Academy.

Everything Everywhere All At Once. © A24

Als bester Film wird Everything Everywhere All At Once ausgezeichnet. Das muss so, weil der Film den Hype auf seiner Seite hat und Hollywood seine eigene Relevanz untermauern will: Da geht noch was, also im Sinne von Kreativität und Freude an der Sache. Und es ist die einzig richtige Entscheidung: Denn ohnehin fehlt in dieser Liste mindestens Bones and All, Triangle of Sadness verdient den Preis nicht (die Satire ist viel zu harmlos und selbstverliebt) und auf den x-ten Kriegsfilm (Im Westen nichts Neues) hat man doch auch keine Lust mehr (sorry Germany).

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Was sonst? Beste Schauspielerin muss Andrea Riseborough werden. Allein schon für die Farce um ihre Nominierung. Da hat sich tatsächlich jemand für eine Schauspielerin eingesetzt?! Das darf doch nicht wahr sein! Da wird aus einer Sache ein Problem gemacht, während andere Oscar-Kampagnen völlig okay zu sein scheinen. Außerdem ist Andrea Riseborough einfach großartig und in Possessor eine Wucht. Für den Film ist sie zwar nicht nominiert, aber das ist mir an dieser Stelle ziemlich egal. To Leslie scheint zumindest auch a hell of a ride zu sein. Ich würde mich jedenfalls sehr für die Engländerin freuen.

Bester internationaler Film geht an Aftersun. Argh… geht nicht. Wie? Der ist gar nicht… okay. Dafür dann bitte den Oscar für Bester Hauptdarsteller an Paul Mescal. Seine Darstellung der inneren Zerrissenheit zwischen der Liebe zur Tochter und einer Todessehnsucht ging mir sehr nah. Und die Statue für den besten internationalen Film kann dann an den tieftraurigen Close gehen. (Sorry, Germany. Again.)  

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Ach ja… beste Regie überhaupt erstmal symbolisch an alle Regisseurinnen dieser Welt. Aber bitte nicht an Steven Spielberg. Nicht für diese Arbeit am eigenen Mythos. Ein Oscar für den Altmeister wäre mir eine Spur zu einfach, auch wenn der Kitsch von Die Fabelmans sicher viele begeistert. Wenn ich mich schon entscheiden muss, dann fällt meine Wahl auf Martin McDonagh, weil er cool ist und wirklich berührende, sanfte und witzige Filme macht.

Danke. Ich schaue mir jetzt The Menu, Vortex, The Northman und She Said hintereinander an – in a row. Und ein bisschen aus Trotz.

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Prognose von Mathis Raabe

Dass der typische Kino-Zeit-Redakteur seine Beziehung zu den Oscars als „kompliziert“ beschreiben würde, dürften meine Vorredner bereits klargemacht haben. Natürlich ist es auch in meiner Filterblase Tradition, die Academy für eine verkrustete Institution zu halten, deren demographische Zusammensetzung sich nur quälend langsam überholen lässt. Beim Blick in die Nominierungen war ich dieses Jahr aber verblüfft: Lange nicht gab es so viele Oscar-relevante Filme, die ich tatsächlich mit Interesse gesehen habe. Mehrfach hat die Academy in den letzten Jahren die Regeln für ihre Zusammensetzung geändert, um mehr Diversity zu ermöglichen. Mitgliedschaften sind nicht mehr lebenslänglich, sondern werden nach zehn Jahren geprüft, und es wurden so viele neue Mitglieder eingeladen, dass sich die Größe der Academy seit 2015 mehr als verdoppelt hat.

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Vielleicht erklären sich so die Nominierungen für Everything Everywhere All At Once, der ein erfreulich unkonventioneller Bester-Film-Preisträger wäre. Persönlich war ich im Kino zwar gar nicht so begeistert wie die Allgemeinheit, aber dass Michelle Yeoh beste Hauptdarstellerin werden könnte und Jamie Lee Curtis zum ersten Mal überhaupt für einen Oscar nominiert ist – allein für dieses Aufmischen der Listen muss man den Film eigentlich lieben.

I’m a simple man, ich liebe Top Gun: Maverick. Diese Mischung aus Freundschaftskitsch und handgemachter Action im riesigen IMAX-Saal am Berliner Mercedes-Benz-Platz zu sehen, war für mich einer dieser kathartischen „Das Kino ist zurück“-Momente. Realistisch betrachtet, wird’s für die Kampfpiloten aber wohl höchstens eine Visual-Effects- oder Drehbuch-Statue geben, und womöglich den bereits zweiten Oscar für Popstar Lady Gaga. Ihr Titelsong kommt natürlich nicht an „Take My Breath Away“ von Berlin ran, trifft aber gut denselben Pathos, nur mit ein bisschen mehr Stimmakrobatik, sodass auch Musikbanausen in der Academy beeindruckt sein könnten.

Tár war für mich der tatsächlich beste Film des Jahres, ist aber gar nicht mal das Rise-and-Fall-Epos, das die Marketingkampagne versprach und das bei den Oscars vermutlich gut abschneiden würde. Vielmehr ist der Film eine Auseinandersetzung mit Popkultur-Diskursen wie Celebrities und Machtmissbrauch, nur eben angesiedelt in der Welt der Klassik, und teilweise inszeniert wie ein Horrorfilm. Da räume ich Elvis noch höhere Chancen ein, immerhin ist Baz Luhrmann nicht zum ersten Mal für Oscars nominiert und hat diesmal einen besonders rasant geschnittenen Film gemacht, der zeigt, dass das Schwelgen in der US-Geschichte, das die Academy für gewöhnlich so sehr liebt, auch jung und cool inszeniert sein kann. 

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Zufälligerweise werde ich die Nacht der Preisverleihung in einem Zug verbringen, wo man tatsächlich nichts Besseres zu tun hat, als die Oscars zu gucken. Ein bisschen Glücksspiel bietet sich da an, denn je höher der Einsatz, desto leichter wird es gelingen, wach zu bleiben. Ich lege mich fest: Everything Everywhere All At Once wird Bester Film. Wie bitte? Es gibt noch zwölf andere Preiskategorien? Glücksspiel kann süchtig machen. Ich bin da lieber vorsichtig. 

Prognose von Andreas Köhnemann

In der Kategorie Beste Hauptdarstellerin sehe ich ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Cate Blanchett und Michelle Yeoh. Verdient hätten es gewiss beide, ich vermute aber, dass Blanchett als Gewinnerin hervorgehen wird. Ginge es nach mir, würde indes Michelle Williams die Trophäe erhalten. Allein schon deshalb, weil ich gerne noch einmal so eine grundsympathische Rede wie bei den Gotham Awards im November 2022 hören würde. Da zieht Williams eine Linie von ihren Anfängen als junge Rebellin Jen Lindley in der Teen-Serie Dawson’s Creek (1998–2003) bis heute und widmet ihren Performance-Tribute-Sonderpreis ihrem damaligen (noch immer quicklebendigen) Co-Star Mary Beth Peil. Diese verkörperte in der Serie Jens Großmutter – und Williams erklärt, dass sie heute nicht Spielbergs Mutter hätte spielen können, wenn sie damals nicht Peils Enkelin gespielt hätte. Das ist so klug und schön und reflektiert, dass ich Williams alle Auszeichnungen dieser Welt wünsche – zumal ihr Spiel in Die Fabelmans wirklich wunderbar ist (und weitaus komplexer, als es in einem nostalgischen Spielberg-Selbstporträt zu erwarten wäre).

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Ich vermute, dass Brendan Fraser als Bester Hauptdarsteller prämiert wird. Seine Comeback-Story berührt mich – und auch für ihn hege ich große Sympathie. Ich würde mir allerdings wünschen, dass er den Oscar für eine der Rollen erhielte, die seine Rückkehr in die Schauspiel-A-Liga noch für ihn bereithalten wird. The Whale ist, meiner Meinung nach, zu aufdringlich und plakativ, möglicherweise gar exploitativ – weshalb ich ihn nicht für preiswürdig halte. Am meisten freuen würde ich mich für Colin Farrell und Paul Mescal, die jeweils Performances liefern, die nicht nach Preisen und Prestige schreien, sondern ganz subtil für sich einnehmen.

Als Gewinner:innen für die Besten Nebenrollen sehe ich Angela Bassett und Ke Huy Quan – und mit beiden wäre ich vollauf zufrieden. Für die Beste Regie würde ich auf Steven Spielberg tippen – und so unoriginell diese Wahl auch ist, hätte ich keine großen Einwände, da Die Fabelmans in puncto Schauspielführung und Atmosphäre, zwischen verträumt und dramatisch, sehr viel richtig macht.

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Kommen wir schließlich zur schwierigsten Kategorie Bester Film. Ich könnte mir sehr gut vorstellen, dass Everything Everywhere All at Once gewinnt. Der Film ist clever und hat Tiefgang, bietet jedoch auch feinste Unterhaltung. Ich glaube, dass die Academy sich darin gefallen würde, so einen Film zu prämieren. Lustig fände ich es, wenn Triangle of Sadness als Sieger hervorginge, da dies zu spannenden Tumulten in der Kino-Zeit-Redaktion führen würde – und weil ich noch heute hin und wieder unvermittelt anfange zu kichern, wenn mir jede einzelne Szene mit der großen Sunnyi Melles in den Sinn kommt. Vielleicht sollte aber auch einfach Top Gun: Maverick gewinnen – woraufhin Tom Cruise eine derart peinliche Dankesrede halten würde, dass sich alle in Grund und Boden schämen und die Oscars in eine mehrjährige Zwangspause schicken würden. Ach, das wär’s.

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