Log Line

Zwischen Vätern und Töchtern herrscht oft ein starkes Band. Wie es um die Gefühle füreinander bestellt ist, entzieht sich weitgehend der verbalen Kommunikation. Im Spielfilmdebüt von Charlotte Wells erinnert sich eine Frau an einen Kindheitsurlaub mit Vater, in dem sich Schweres so leicht anfühlte.

Aftersun (2022)

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Bittersüße Ferien mit Vater

Die 11-jährige Sophie (Frankie Corio) und ihr Vater Calum (Paul Mescal) verbringen einen entspannten Badeurlaub in der Türkei. Sie liegen am Pool, spielen Billard, machen Ausflüge, halten die Eindrücke des Tages mit Calums neuer Videokamera fest. Die unbeschwerte Stimmung ist manchmal echt, manchmal vorgetäuscht. Diese Ferien sind auch ein Abschied vom gemeinsamen Leben. Calum hat sich von Sophies Mutter getrennt und die Stadt Edinburgh, in der die Tochter nächste Woche wieder zur Schule muss, verlassen. Jetzt ist Sophie 31 (Celia Rowlson-Hall), so alt, wie ihr Vater damals war. Ihre Erinnerungen hangeln sich an den in ihrem Geist abgespeicherten Bildern entlang bis zum emotionalen Kern der Beziehung.

Das Spielfilmdebüt der aus Schottland stammenden Regisseurin Charlotte Wells mutet flirrend leicht an. Wie Calum kaufen sich Urlauber eine Filmkamera oder zücken in heutiger Zeit das Smartphone, um oft reichlich banale Momente festzuhalten, weil sie ja immer auch unwiederbringlich sind. Die Zuschauer*innen dieses Films brauchen jedenfalls eine Weile, um die Bedeutung der scheinbar so beliebigen Ferienstunden zu erahnen. Sophie taucht in das träge Gefühl am Hotelpool ein, wird wieder zur Amateurfilmerin, die im Zimmer den Vater mit verwackelten Spaßaufnahmen nervt. Die erwachsene Sophie bleibt die meiste Zeit über eine schemenhafte Figur im Hintergrund, die kaum in Erscheinung tritt. Die Handlung gehört ihrer Erinnerung allein. Mit dem Blick einer Forscherin verwandelt sie sich in ihr kindliches Ich und lotet dabei aus, wie Vater und Tochter damals mit der besonderen Situation umgegangen sind.

Zärtlich und um ihr Wohl besorgt verteilt der Vater Sonnencreme auf Sophies Rücken. Am Abend fährt er mit dem Finger ihren Nasenrücken und die Augenbrauen entlang, sagt ihr, sie könne später wie er selbst entscheiden, wo sie leben möchte. Das Doppelbett gehört ihr allein, er begnügt sich mit einem Beistellbett. Es dauert eine Weile, bis sich Vater und Tochter an das unperfekte Hotel gewöhnt haben und den legeren, oft ereignisarmen Tagen einen angenehmen Rhythmus geben können.

Calum wirkt jugendlich, mag Spaß und Action, aber es fällt ihm immer schwerer, seine Traurigkeit zu unterdrücken. In den Gesprächen zwischen Vater und Tochter blitzt manchmal auf, dass er wenig Geld hat und nicht genau weiß, wie es für ihn weitergeht. Als ihn Sophie mit laufender Kamera fragt, wie er sich in ihrem Alter sein heutiges Leben vorgestellt hatte, findet er das gar nicht lustig. Beide, Vater und Tochter, sind einen unausgesprochenen Pakt eingegangen: Dieser Urlaub soll fröhlich und unbekümmert sein, so wie ihre Beziehung, und sie zugleich für immer konservieren. Sie wird nie wieder so sein wie jetzt. Am Abend beim Karaoke wird Calum von dieser schmerzlichen Wahrheit überflutet.

Sophie versucht mit ihren feinen Antennen und ihrer patenten, gefassten Art, den Vater zu trösten und aufzuheitern. Frankie Corio spielt das Mädchen lebhaft und mit starker Präsenz. Sophie dämmert auch, dass sie Papa ein Stück weit loslassen muss, schon weil ihr Horizont nicht mehr der eines Kindes ist. Am Pool betrachtet sie aufmerksam ältere Jugendliche beim Flirten und bei körperlicher Annäherung. Und sie gibt Calum auch ein-zweimal freche Widerworte.

Langsam, fast unmerklich zieht die emotionale Spannung in diesem melancholischen und doch auch heiteren Sommerfilm an. Zwischen Vätern und Töchtern herrscht oft ein starkes Band, aber auch eine Verlegenheit, die es unmöglich macht, über Gefühle zu reden. Und doch sind Sophies Erinnerungen erfüllt von der Sehnsucht, den Vater in die Arme zu schließen. Charlotte Wells demonstriert mit diesen mühelos wie beiläufig aufgeblätterten Momenten, wie viel Drama in ihnen aus Sicht der Beteiligten steckt. Sophie und ihr Vater haben sich mit diesem Urlaub gegenseitig ein Geschenk fürs Leben gemacht, etwas zum Mitnehmen auf den getrennten Wegen geschaffen.

Aftersun (2022)

Sophie erinnert sich an den mit ihrem Vater verbrachten All-Inclusive-Türkeiurlaub in den 90ern, als sie noch ein Mädchen war. Eine fast unbeschwerte Zeit des Heranwachsens, zwischen den beiden ist ein liebevoll-neckisches Band wie bei Geschwistern. Der Vater hat jedoch auch Stimmungsschwankungen und kommt seinen Erziehungspflichten nicht immer gewissenhaft nach.

  • Trailer
  • Bilder

Meinungen

Dragon 21 · 16.12.2022

Der Film ist ein Spiegel meines eigenen Lebens und der meiner Tochter, dazu kommt, dass ich in den letzten 6 Jahren am Drehort war... es gibt keine Zufälle, in keiner Rezension geht man darauf ein, dass hier ein Vater mit Depressionen gezeigt wird... sein Seelenzustand hat die Familie und alles in ihm gesprengt... danke, dass das so ausgezeichnet dargestellt wurde... der Vater wird seinen 32 Geburtstag nicht erlebt haben.

mattia · 06.05.2023

Ich sehe das auch so - der Film ist voller unheilvoller Anspielungen, zuerst dachte ich an einen Unfall; als der Vater nachts im Schwarz des Meeres verschwindet, an Suizid. Er schreibt ja sogar eine Postkarte, die man als Abschied deuten kann.

Felix · 12.12.2022

Egal welchen Schwachsinn man dreht, sobald man nen gewissen Ruf hat, gibt es immer jemanden der darin eine Glanzleistung hinein interpretiert.

Für mich war der Film wie joggen im Wasser, langsam mühselig und anstrengend