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Nach seinem Drama „Girl“ legt Lukas Dhont mit „Close“ ein weiteres eindringliches Werk über Geschlechterrollen und jugendliche Emotionen vor. Es wurde in Cannes zu Recht mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichnet.

Close (2022)

Eine Filmkritik von Teresa Vena

Das Ende der Kindheit

Einer der am meisten erwarteten Filme im Wettbewerb von Cannes war der zweite Spielfilm des belgischen Regisseurs Lukas Dhont. Mit „Girl“ gewann er 2018 die Camera d’Or für den besten Film in der Nebensektion des Festivals Un Certain Regard. Dazu gesellten sich eine ganze Reihe von Auszeichnungen wie der Fipresci-Preis und eine lange internationale Festivalkarriere. Das Drama um einen Jugendlichen, der sich einer Geschlechtsangleichung unterziehen will, weil er sich als weiblich definiert, hat Dhont große Anerkennung eingebracht. Kritische Stimmen blieben aber auch nicht aus, die ihm eine ausbeuterische, voyeuristische Herangehensweise vorwarfen. Völlig von der Hand zu weisen ist dieser Einwand nicht.

Sicher ist, dass es eher ungewohnt ist, wie kompromisslos sich Dhont auf das Gefühlsleben seiner jungen Figuren einlässt. Filme übers Erwachsenwerden und über das Trauma der Kindheit gibt es viele, keine Frage. Doch wieder geht der Belgier hier in Close einen eigenen Weg. Es wird wohl keiner dem Film gegenüber gleichgültig bleiben können, sei es auch, dass man sich über ihn ärgert. Einige werden ihn vermutlich als etwas manipulativ empfinden. Und haben dabei nicht ganz unrecht, denn auf vollkommenste Idylle folgt zwangsläufig die schlimmste Tragik, das lehrt einem das Kino. Close ist dabei keine Ausnahme und setzt die dafür bekannten Stilmittel effizient ein.

In der ersten Hälfte sieht man den beiden vorpubertären Schulkindern Léo (Eden Dambrine) und Rémi (Gustav De Waele) dabei zu, wie sie über die blühenden Felder von Léos Eltern rennen, Räuber und Gendarm spielen und mit Rémis Hund raufen. Léo übernachtet oft bei Rémi, sie liegen nah beieinander im gleichen Bett, Hemmungen haben sie keine, diese allerbesten Freunde. Léo träumt davon, einmal mit Rémi, den er schon als erfolgreichen Oboisten sieht, auf Welttournee zu gehen. Als sein Manager wird er immer an seiner Seite bleiben können.

Der Riss in diese Beziehung kommt unverhofft, als auch die Schulkameraden in der Schule diese besondere Nähe zwischen den beiden bemerken und sie darauf ansprechen. Sie sollen ruhig zugeben, dass sie ein Liebespaar seien. Léos Reaktion fällt entschlossen, schon fast heftig aus, als er dies verneint. Es beginnt, in ihm zu arbeiten, und er fängt an, jede seiner und Rémis Gesten zu hinterfragen. Die Leichtigkeit ihres Verhältnisses ist auf einen Schlag weg. In dem Moment endet auch die Unbeschwertheit ihrer Kindheit.

Wie bereits in Girl geht es auch in Close um das Reflektieren sich hartnäckig haltender Wertevorstellungen, wenn es um Geschlechterrollen geht. Der Film zeigt, wie früh sich dieser Drang einer eindeutigen Einordnung und Zuteilung von Eigenschaften, die man an den Geschlechtern festmacht, manifestiert. Dies steht dem Individuum im Weg in seiner Suche nach seiner eigenen Identität. Die Szenen im Pausenhof gehören zu den eindrücklichsten im Film. Léo markiert mehr oder weniger diskret den männlichen „Macker“. Er stellt sich in die Gruppe, lacht mit, distanziert sich erst körperlich und dann emotional immer mehr von Rémi.

Seine Entscheidung, mit dem Eishockeyspielen zu beginnen, ist vielleicht etwas plakativ, da es sich um einen ausgesprochen „männlichen“ Sport handelt. Doch ist das Bild auch sehr treffend. Er bekommt durch die Ausrüstung eine grössere und mächtiger wirkende Erscheinung, zugleich kann er sich dahinter kurzzeitig verstecken. Doch selbst unter dem vergitterten Helm fängt der Film die Augen des jungen Protagonisten ein, die nervös hin- und herschauen und in denen man große Unsicherheit zu lesen glaubt.

Überhaupt beweist Dhont einmal mehr, das er eine gute Hand in der Auswahl von ausdrucksstarken Jungdarstellern hat. Das gilt für beide Jungen, die ihren Figuren eine erstaunliche Komplexität geben. Der Film spielt sich weitgehend unter den Jugendlichen ab, doch auch den Eltern der beiden Kindern fällt eine gewisse Bedeutung zu. Es sind die beiden Darstellerinnen der Mütter, Léa Drucker als Léos Mutter und insbesondere Émilie Dequenne als Rémis Mutter, die in Erinnerung bleiben. Sie sind Mütter, die man sich für jedes Kind wünscht: einfühlsam und äußerst großzügig.

Close findet trotz der ganzen Schwere und Ernsthaftigkeit des Stoffes immer wieder zu ausgelassenen Momenten und poetischen Bildern. Gerade die blühenden Blumenfelder bilden immer wieder eine außergewöhnliche, manchmal fast schon kitschige, Kulisse. Sie sind wiederum ein starkes Symbol für den Menschen und das Kind, das man hegen und pflegen muss, damit es erblüht, aber das auch irgendwann aus den Händen gerät, das man nicht mehr beschützen kann und das sich auf die eigene Reise in die Welt begibt.

Close (2022)

Die beiden 13-jährigen Jungen Leo und Remi sind beste Freunde. Mit dem Übergang in die Pubertät beginnen sie sich allmählich voneinander zu entfremden. Leo versucht die Gründe dafür herauszufinden und sucht Trost bei Remis Mutter Sophie. Beide kommen sich daraufhin einander näher.

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Meinungen

Mario Trutschel · 27.04.2023

Eine Ode an das zerbrechlich Zarte der auch in schon Erwachsenen noch tief vergrabenen Kinderseelen. Voller Wärme, Güte, aber auch mit berührend schmerzlich spürbarer Liebe beobachtetes Drama einer kindlichen Freundschaft, die Schaden nimmt an der falschen Scham vor'm ZÄRTLICHSEIN — einzig der unnötigen Annahmen einer gesellschaftlich pathologisierten Gleichgeschlechtlichkeit zwischen Jungs und Männern wegen, ohne geschlechtlich-sexuell Ausdruck zu finden für sich jemals in Anschlag/Assoziation nehmen zu können.

Wie im Übrigen schon, wenn auch mit anderen Mitteln/auf andere Weise, in Michel Houellebecqs »Elementarteilchen« und »Ausweitung der Kampfzone« angedeutet und herausgestellt mit all den Folgen – z.B. auch als Depression – weist „Close“ daraufhin, dass Sex(ualität) nach wie vor gesellschaftlich missbraucht wird als Mittel, vermeintlichen Erfolg/Stärke zu symbolisieren und entstellt/zerstört auf diese Weise gerade die urtypische, zärtlich-kindliche, nachgerade ungeschlechtliche Liebe.

Das einzig im biologisch/arterhaltenden Prozess der Fortpflanzung tatsächlich sinnvolle Unterscheiden in »männliche« und »weibliche« Typisierungen des grundlegend »einheitlich/wesentlichen« Lebens schafft wie alles vom Denken geschaffene und damit unausweichlich zu Vergleichen führende Spalten der Einheit des Lebensganzen, das alles Zarte störende und verwirrende Verhalten und Einflussnehmen auf die Einheit/die Wesentlichkeit des Seelischen, in dem viel an ihm nachgerade zugrunde gerichtet zu werden sich Bahn erst bricht.

👼💔🥹❤️‍🩹🪽

Mario Trutschel · 26.04.2023

Eine Ode an das zerbrechlich Zarte der auch in schon Erwachsen noch tief vergrabenen Kinderseelen. Voller Wärme, Güte, aber auch mit berührend schmerzlich spürbarer Liebe beobachtetes Drama einer kindlichen Freundschaft, die Schaden nimmt an der falschen Scham vor'm Zärtlichsein.

💔🥹❤️‍🩹