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In der tiefsinnigen Verbindung von Blut und Technik steht Brandon Cronenberg seinem Papa in Nichts nach. Sein „Possessor“ ist der Beweis dafür. 

Possessor (2020)

Eine Filmkritik von Matthias Pfeiffer

Technik und Thanatos

Stecker in den Schädel und los geht’s! Schon die ersten Minuten von „Possessor“ sind nicht gerade angenehm: In Nahaufnahme schiebt sich eine junge Frau ein Klinkenkabel in ein Loch ihres Kopfes. Was daraufhin folgt, ist für zartbesaitete Zuschauer*innen nicht minder verstörend. Auf einem Empfang zieht sie ein Messer und rammt es einem Mann in den Hals. Immer wieder und wieder sticht sie zu, bis ihre weißen Sneaker blutdurchtränkt sind. Bevor sie sich selbst richten kann, jagt die ankommende Polizei ihr schon eine Kugel ins Gesicht. Ein offensichtlicher Fall? Nun, die Mörderin war jemand anderes, die arme Frau lediglich ein Werkzeug.

Mit seinem zweiten Langfilm hat Brandon Cronenberg (Antiviral), Sohn von David Cronenberg, ein Werk geschaffen, das vor Blut nur so trieft. Wer nun aber ein gewaltverherrlichendes B-Movie erwartet, sollte es wagen, tiefer in die Materie einzusteigen und sich eines Besseren belehren zu lassen. Possessor hat sich einige Motive bei den Werken des Herrn Papa – Videodrome und eXistenZ liegen nahe – abgeschaut. Körper und Geist, Technik und Fleisch gehen auch hier beunruhigende Symbiosen ein, die dem Publikum durchaus auf den Magen schlagen, aber auch interessante Rückstände im Gehirn hinterlassen können. Und das macht Brandon Cronenberg so stilsicher und hintergründig, dass weder ein Exploitation-Film noch eine Kopie im Zeichen des Stammbaums entstanden ist.

Zurück zum Gemetzel: Die wahre Mörderin könnte kein größerer Kontrast zu ihrem Handwerk sein. Vos (Andrea Riseborough) ist eine blasse, fragile Frau, sichtlich geprägt von ihrem Job. Für ihre Firma begibt sie sich mittels Hirnimplantaten in die Persönlichkeit unschuldiger Menschen, die unter ihrer Steuerung Auftragsmorde meist an Wirtschaftsgrößen verüben. Man sieht in jeder Einstellung die psychischen und physischen Spuren ihrer Arbeit. Daneben noch der private Stress, ihr Ex-Mann, mit dem sie auch einen gemeinsamen Sohn hat, will sie wieder bei sich haben. Schon hier fragt man sich, was Vos eigentlich mehr unter Druck setzt: Beruf oder Privatleben? Riseborough spielt die entrückte Figur auf so geheimnisvolle Weise, dass man sich sofort fragt, welche Ängste und Abgründe sich wohl in ihr verstecken. Eine Unterhaltung mit der Chefin lässt tief blicken. Auf die Frage, warum sie den anfangs erwähnten Mord mit einem Messer statt der mitgebrachten Pistole ausgeführt hat, antwortet sie, diese Waffe hätte mehr zur Figur der vermeintlichen Mörderin gepasst. Wirklich zu dieser oder doch vielmehr zu ihr selbst? Lebt sie nicht, unter dem Deckmantel ihres Berufs, den eigenen Thanatos aus?

Aber zunächst einmal steht ein neuer Auftrag an. Wieder soll ein großes Tier hingerichtet werden, dieses Mal von Colin (Christopher Abbott), dem eigenen Schwiegersohn in spe. Alles läuft wie gehabt: Der junge Mann wird geschnappt, das Implantat wird einpflanzt, Vos nistet sich ein. Dann jedoch verläuft der Auftrag anders. In der Gestalt von Colin scheint sie überfordert (was Abbott großartig verkörpert) und auf seltsame Weise nicht nur durch dessen Job oder das Techtelmechtel, mit dem sie überrascht wird. Der Mord gelingt zwar – äußert brutal natürlich – trotzdem, doch wird Colin zum Fleischgefängnis für die Auftragsmörderin. Er kommt wieder zu Bewusstsein, trägt sie jedoch als Parasit weiter zwischen den Hirnwindungen. Im nervenaufreibenden Verlauf der zweiten Hälfte ist es auch gar nicht mehr sicher, wer hier überhaupt steuert und wessen Interessen eigentlich mit Gewalt durchgesetzt werden.

Das ist das geschickt gewählte Motiv, das Possessor zu etwas Besonderem macht. Es wird immer deutlicher, dass Vos in Gestalt ihrer Marionetten unterdrückte Triebe auslebt. Die brachialen Gewaltausbrüche werden so selten zum Selbstzweck, sondern zum blutigen Spiegel des Innenlebens der Hauptfigur. Cronenberg inszeniert psychoanalytische Motive (Penetration, Phallus-Symbolik) im Science-Fiction- und Splatter-Gewand. Auch wenn Possessor als aufreibender Psycho- und Technik-Thriller funktioniert, die Figurenanalyse, die sich förmlich aufzwingt, macht aus ihm weit mehr. Zusätzlich stellt er die Frage, wie weit High-Tech-Konzerne dabei helfen können, den zerstörerischen Trieben Luft zu machen. Die durch Technik mögliche Transformation ist für Vos schließlich die Möglichkeit, blutrünstige Taten zu vollbringen, genauso wie die Anonymität den Troll zu mal mehr, mal minder gefährlichem Cyberspace-Unfug hinreißt. Die Punkte kommen dabei zum Glück nicht so offensichtlich daher, dass man sich belehrt fühlen würde. Die Ebenen verlaufen sogar so ineinander, dass eine allzu einfache Deutung zunächst nicht funktioniert.

Nicht zuletzt ist Cronenbergs Film aber auch visuell überragend. Durch die stilvolle Inszenierung wird jede Umgebung zum bedrohlichen Schauplatz. Ob es nun das futuristische Labor, die triste Vorstadtsiedlung oder die bourgeoise Villa ist. Überall wird man das Gefühl nicht los, dass jeden Moment etwas Schreckliches passieren könnte. Es ist kein einfacher Trip, zu dem Brandon Cronenberg einlädt, jedoch einer, dem man sich auf inhaltlicher wie auch optischer Ebene schwer entziehen kann. Wer also Toleranz gegenüber Blutfluten mitbringt, sollte Possessor eine Chance geben. Und wer sich nicht davor erschreckt, vielleicht eigene brutale Impulse wiederzuerkennen, ebenfalls.

Possessor (2020)

„Possessor“ folgt einem Agenten, der für eine Geheimorganisation arbeitet, die Gehirnimplantate dazu benutzt, um von den Körper von Menschen Besitz zu ergreifen. Auf diese Weise manipuliert werden diese Opfer zu willigen Auftragsmördern für eine reiche Klientel.

 

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