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In „Die Fabelmans“ schildert Steven Spielberg in fiktionalisierter Form seine eigene Familiengeschichte – und lässt zwei der größten Talente Hollywoods erstrahlen.

Die Fabelmans (2022)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Echt gigantisch

Es beginnt vor einem Kino, im Januar 1952. Der achtjährige Sammy (Mateo Zoryan) wird zum allerersten Mal einen Film auf großer Leinwand sehen, zusammen mit seinen Eltern Mitzi (Michelle Williams) und Burt Fabelman (Paul Dano). Er ist ein bisschen in Sorge: Die Leute auf der Leinwand seien schließlich „gigantisch“. Die Erwachsenen versuchen, den Jungen zu beruhigen, indem sie die kinematografischen Bilder mit Träumen vergleichen. Aber – so meint Sammy – sind Träume nicht auch ziemlich gruselig?

Wäre Die Fabelmans ein nostalgisch verklärtes Kitschstück, würden wir als Nächstes vermutlich strahlende Kinderaugen sehen, die uns den Anfang einer unsterblichen Liebe zum Kino vermitteln sollen. Hier kommt es indes ein klein wenig anders. Mr. und Mrs. Fabelman haben den monumentalen, prominent besetzten Hollywood-Zirkusfilm Die größte Schau der Welt von Cecil B. DeMille auserwählt, um ihren Sohn in die audiovisuelle Wunderwelt einzuführen. Und was Sammy dort im riesigen Lichtspieltheater, flankiert von Mitzi und Burt, erblickt, ist dann doch eher verstörend. Insbesondere eine Sequenz, die ein Zugunglück einfängt, beschäftigt ihn fortan. Er rekonstruiert sie immer wieder mit einer Modelleisenbahn (was dem schönen und keineswegs billigen Spielzeug nicht unbedingt guttut) – bis Mitzi die Idee hat, dass Sammy den Zug-Crash mit einer 8mm-Kamera filmt, um ihn festhalten und letztlich loslassen zu können.

In dieser Exposition von Die Fabelmans – dem neuen Werk von Steven Spielberg, zu dem der Regisseur gemeinsam mit Tony Kushner auch das Drehbuch geschrieben hat und das deutliche autobiografische Züge trägt – ist bereits alles Wesentliche enthalten, was diesen unfassbar bezaubernden und doch niemals anbiedernden Film ausmacht. Die Fabelmans ist zugleich eine Coming-of-Age-Geschichte und Origin-Story des Mannes hinter der Kamera und ein überraschend komplexes Familienporträt.

In schlechteren Händen hätte das ein kaum zu ertragendes Eitelkeitsprojekt werden können: Ein erfolgsverwöhnter Filmemacher erzählt uns, wie einst alles begann (denn er hatte es – natürlich – auch nicht leicht). Das klingt schon reichlich kokett. Aber wenn wir die titelgebende Familie, zu der noch Sammys Schwestern Natalie (Alina Brace/Keeley Karsten), Reggie (Birdie Borria/Julia Butters) und Lisa (Sophia Kopera) gehören, von New Jersey nach Arizona und schließlich nach Kalifornien begleiten, ist das stets mehr als nur ein Abhaken von Lebensstationen – und erfreulicherweise auch mehr als eine Aneinanderreihung von Selbstzitaten und ein zufrieden-stolzes Klopfen auf die eigene Schulter.

Wenn der kleine Sammy zwei seiner Schwestern für einen improvisierten Mumienfilm in Toilettenpapier einwickelt, ist das eine lustige Situation – die uns darüber hinaus auch schon einen Hinweis darauf gibt, dass Spielberg ein ausgeprägtes Faible für Genre-Elemente haben wird. Und wenn Sammy als Jugendlicher (nun verkörpert von Gabriel LaBelle) in Pfadfinder-Montur mit seinen Kumpels auf Fahrrädern durch die Kleinstadtstraßen radelt, begreifen wir, wie sehr die ikonischen Bilder aus Spielberg-Arbeiten wie E.T. – Der Außerirdische (1982) im Aufwachsen, im damaligen Umfeld und in den Eindrücken der Vergangenheit des Regisseurs ihren Ursprung haben.

Wir sehen, wie der Teenager im Kino Der Mann, der Liberty Valance erschoss (1962) von John Ford sieht (was im herrlichen Epilog von Die Fabelmans noch von Bedeutung sein wird), wie er Anfang der 1960er Jahre seinen ersten 40-Minüter realisiert und mit einfachen Tricks beachtliche Effekte erzielt – und wir bekommen ein tragikomisches Highschool-Drama geboten, in dessen Verlauf Sammy seine erste Freundin, die äußerst christliche Monica (Chloe East), kennenlernt, unter einer Bully-Clique leidet und dabei auch mit Antisemitismus konfrontiert wird. Konsequenterweise erreicht dieser Teil des Films auf dem Abschlussball seinen Höhepunkt.

Was Die Fabelmans wiederum von einem guten, unterhaltsamen und zuweilen erhellenden Film zu einem wirklich außergewöhnlichen Ereignis macht, ist die Beschäftigung mit den Eltern und der familiären Dynamik. Die Ehe des zurückhaltenden Ingenieurs Burt und der musisch begabten Hausfrau Mitzi, die lange davon träumte, als professionelle Klavierspielerin aufzutreten, scheint nicht ideal zu sein – und doch geht von dieser Familie sehr viel Wärme aus. Durch Nebenfiguren, etwa Burts pikierte Mutter Hadassah (Jeannie Berlin), Mitzis eigentümlichen Onkel Boris (großartig: Judd Hirsch) und, nicht zuletzt, den Familienfreund Bennie (Seth Rogen), der irgendwie immer mit am Tisch sitzt und sogar bei Ausflügen mit dabei ist, wird ein facettenreicher Kosmos geschaffen.

Wie schon in der Auftaktsequenz des Films erkennbar wird, ist Mitzi durch ihre starke Empathie oft eine Komplizin des Sohnes – was im Laufe der Geschichte auch zu Konflikten führt. Die Filmkamera dient Sammy nicht nur als reines Werkzeug, sondern wird zu einem Mittel, die Welt zu verstehen – und dabei auch Wahrheiten zu erblicken, die nicht zwangsläufig angenehm sind. „You really see me“, sagt Mitzi an einer Stelle zu Sammy. Die Mutter wird in Die Fabelmans zur spannendsten Figur – und Michelle Williams ist in jeder Szene grandios, sei es bei einer impulsiven Autofahrt hinein in einen Tornado oder beim selbstvergessenen Tanz am Lagerfeuer, im Scheinwerferlicht des Familienwagens.

Williams und ihr Leinwandpartner Paul Dano sind als Stars, die in Indie-Hits wie Brokeback Mountain (2005) beziehungsweise Little Miss Sunshine (2006) ebenso zu funkeln und zu faszinieren vermögen wie in Big-Budget-Movies wie Greatest Showman (2017) beziehungsweise The Batman (2022), einerseits ein Paradebeispiel für jene „gigantischen“ Leute, von denen der kleine Sammy anfangs spricht. Ihre Leistung raubt uns in ihrer Wucht den Atem. Und andererseits agieren die beiden hier so authentisch, so feinsinnig und glaubhaft, wie es in einer Studioproduktion von diesem Ausmaß nur sehr selten gelingt. Dieser Film und diese Besetzung sind wahrlich ein großes Glück.

Die Fabelmans (2022)

The Fabelmans ist ein Filmdrama von Steven Spielberg. Der teilweise autobiografisch geprägte Film greift die Kindheit des Regisseurs auf, die dieser in Arizona verbrachte.

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Meinungen

Alice Menscher · 25.03.2023

Ein ganz toll gspielter Film der das Leben eines jüdischen Künstlers und seiner Familie wiederspiegelt!echt sehenswert!!