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Paula Beer: Reife und Teamplay

Ein Beitrag von Andreas Köhnemann

Seit dem 25. Januar 2024 ist Paula Beer im historischen Drama „Stella. Ein Leben“ zu sehen. Was macht sie zu einer der interessantesten Schauspielerinnen ihrer Generation?

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Paula Beer in Undine / Stella. Ein Leben / Roter Himmel
Paula Beer in Undine / Stella. Ein Leben / Roter Himmel

Der Film „Stella. Ein Leben“ von Kilian Riedhof basiert auf der Biografie der deutschen Jüdin Stella Goldschlag (1922-1994). Diese musste in der Zeit des Zweiten Weltkrieges Verfolgung, Verrat, Folter und Gefangenschaft erfahren – und wurde schließlich zu einer Denunziantin für die Gestapo. Sie half dem NS-Regime dabei, untergetauchte Jüd:innen in ihrer Heimatstadt Berlin ausfindig zu machen, um so der eigenen Deportation zu entgehen.

Paula Beer, die hier die Titelrolle verkörpert, spricht in einem Interview von einer „großen Ambivalenz“, die sie im Laufe der Dreharbeiten empfunden habe. Es sei zum einen eine reizvolle Herausforderung gewesen, eine derart widersprüchliche Figur zu spielen. Zum anderen habe sie Ekel vor deren Taten verspürt.

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Es gelingt Beer in Stella. Ein Leben, diese wahrgenommene Ambivalenz auf uns als Zuschauer:innen zu übertragen. Wenn wir die Protagonistin im Jahre 1940 kennenlernen, vermittelt sich rasch ihre Naivität und Unbekümmertheit, die sie in dieser Phase ihres Lebens noch ausstrahlt. Stella ist ein verträumter junger Mensch, der sich nach einer strahlenden Karriere als Swing-Sängerin am Broadway sehnt. Die extrem gefährliche Lage, in der sie und ihr jüdisches Umfeld sich befinden, wird von ihr völlig unterschätzt. Selbst als sie und ihre Familie zur Zwangsarbeit verpflichtet werden und als sie sich mit ihren Eltern verstecken muss, glaubt sie noch, dass sie mit ihren platinblond gefärbten Haaren gewiss irgendwie davonkommen werde – bis die Situation letztlich so ausweglos wird, dass sie schwere Schuld auf sich lädt, um ihr Überleben zu sichern.

 

Stark in historischen Stoffen

Als anfangs allzu arglose und zum Hedonismus neigende Person und später als Handlangerin eines verbrecherischen Systems, die darin Opfer und Täterin zugleich ist, überzeugt Beer vor allem deshalb so sehr, weil sie in ihrer Rolle tatsächlich so wirkt, als entstamme sie ebenjener Ära, in der die Geschichte angesiedelt ist. Genau dies schaffte sie auch schon in ihrem Leinwanddebüt Poll (2010) von Chris Kraus. Darin nahm sie direkt den Hauptpart ein und spielte eine 14-jährige Halbwaise, die im Sommer 1914 auf das Landgut ihrer aristokratischen Familie ins Baltikum reist, wo sie sich heimlich um einen verwundeten estnischen Anarchisten kümmert.

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In einem Interview erzählt die im Februar 1995 in Mainz geborene Beer, sie habe nie den Gedanken gehabt, unbedingt Schauspielerin werden zu wollen: „Meine besten Freundinnen meldeten sich in der Schule bei der Theater AG an, und ich dachte, bevor sie keine Zeit mehr für mich haben, mache ich einfach mit.“ Als sie 2007 mit ihren Eltern nach Berlin zog, wurde sie für vier Jahre zum Mitglied des Jugendensembles des Friedrichstadt-Palastes und stand so erstmals auf einer großen Theaterbühne.

Womöglich entwickelte sich hier bereits eine weitere ihrer bemerkenswerten Stärken: Beer ist in ihrem Spiel stets eine Teamplayerin. Sie sieht einen Film nicht als Gelegenheit, jede Szene an sich zu reißen, um alle anderen zu übertrumpfen, sondern als Gemeinschaftsleistung. Als sie etwa auf der Berlinale 2020 den Silbernen Bären für ihre eindrückliche Darbietung in Christian Petzolds Undine erhielt, widmete sie den Preis ihrem Leinwandpartner Franz Rogowski. Diese Bescheidenheit, diese besondere Denkweise des gemeinsamen Erreichens eines künstlerischen Ziels ist im tendenziell narzisstischen Schauspielmetier wohl eher eine Seltenheit.

 

Eine reife Seele

Von einer Casterin wurde Beer damals auf dem Schulhof entdeckt. Für die tragende Rolle in Poll setzte sie sich dann gegen mehr als 2500 Bewerberinnen durch. Am Set wurde sie als 15-Jährige von einer Kinderbetreuerin begleitet, aber „alle hatten das Gefühl, mit einer Erwachsenen zu drehen“, heißt es in einem Porträt in der Wochenzeitung Der Freitag. Ihre Agentin Andrea Lambsdorff bezeichnet sie darin treffend als „reife Seele“. Diese erkennbare Reife macht Oda von Siering, die von Beer verkörperte adoleszente Heldin aus Poll, zu einer spannenden Figur; ebenso ist sie nötig, um eine komplexe Persönlichkeit wie Stella Goldschlag glaubhaft interpretieren zu können.

In der österreichisch-deutschen Co-Produktion Das finstere Tal von Andreas Prochaska – einem Paradebeispiel für Genrekino abseits gängiger narrativer Formeln – vermochte Beer 2014 erneut zu demonstrieren, wie perfekt sie in ein historisches Setting hineinpasst, in diesem Fall ein abseitiges Bergdorf in den Alpen im ausklingenden 19. Jahrhundert, und wie stimmig sie in einem Ensemble (inter)agiert. Letzteres zeigte sich im Jahr darauf auch im Coming-of-Age-Drama 4 Könige von Theresa von Eltz, in dem Beer neben Jella Haase, Jannis Niewöhner und Moritz Leu einen von vier jungen Menschen spielt, die das Weihnachtsfest in der Psychiatrie verbringen müssen. Als introvertierte Alex, die uns als Publikum in ihrer stillen Art lange weitgehend darüber im Unklaren lässt, was sie denn an diesen Ort verschlagen hat, beweist Beer wiederum, dass sie in einer gegenwärtigen Geschichte als Person unserer heutigen Zeit eine nicht minder beachtliche Leistung voller Tiefgang liefern kann. Dies bestätigte sich später in der Fernsehserie Bad Banks, in der sie zwischen 2018 und 2020 in zwei Staffeln als Investmentbankerin im Zentrum stand.

 

Internationale Aufmerksamkeit

Schon für Poll erhielt Beer mit dem Bayerischen Filmpreis eine erste große Würdigung als Nachwuchsdarstellerin. Das französisch-deutsche Drama Frantz von François Ozon, das im Wettbewerb der 73. Filmfestspiele von Venedig präsentiert wurde und Beer den Marcello-Mastroianni-Preis einbrachte, markierte schließlich den künstlerischen Durchbruch über die deutschsprachigen Grenzen hinaus. Das Werk fängt überwiegend in Schwarzweißbildern die triste Stimmung in Deutschland kurz nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg ein, indem es sich exemplarisch der Kleinstadt Quedlinburg widmet.

Beer spielt Anna, deren titelgebender Verlobter im Krieg gefallen ist. Die junge Frau hat ihr Studium abgebrochen, wohnt bei ihren Beinahe-Schwiegereltern und besucht täglich das leere Grab mit dem Namen ihres in Frankreich gestorbenen Geliebten, dessen Leichnam weit entfernt in einem Massengrab liegt. Eines Tages taucht der französische Orchestergeiger und ehemalige Soldat Adrien (Pierre Niney) auf und beginnt bald, auf äußerst zugetane Weise von Frantz zu erzählen. In seiner Atmosphäre illustriert der Film den damals herrschenden Zorn und Hass Deutschlands auf Frankreich – und wie aus der Verbitterung letztlich der Nationalsozialismus entstehen konnte.

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Schuld sowie die Hoffnung auf Vergebung, aber auch Verlust, Trauer und die oft seltsamen Wege des Umgangs mit Schmerz – all das behandelt Frantz und stützt sich dabei in wesentlichen Teilen auf das Talent von Beer und Niney. Beer bringt sowohl Annas Traurigkeit als auch die dank Adriens Schilderungen langsam zurückkehrende Lebensfreude und die aufkeimenden Gefühle für den sensiblen Fremden zum Ausdruck. Im meist stillen Leiden und im zaghaften Wiederaufblühen lässt das Schauspielduo in der Mimik und Gestik eine gewisse Melodramatik zu, die indes nie überzogen wirkt. Dies führt zu dem bereits beschriebenen Effekt, dass Beer und ihr Co-Star wahrhaftig wie Menschen von einst anmuten, die sich im Jahre 1919 mit den genannten Konflikten befassen – statt wie Leute aus dem Hier und Jetzt, die dies nachzuahmen versuchen. Der Schauspielstil lässt an ein älteres Kino denken, wird von Beer und Niney jedoch ganz leicht mit einer moderneren Zurückhaltung versehen.

 

Die Figuren und ihr Umfeld begreifen

Zugleich zeitlos und dennoch aktuell ist die aus Transit (2018), Undine (2020) und Roter Himmel (2023) bestehende Filmtrilogie von Christian Petzold, durch die Beer in drei Ausgaben zu einem Star der Berlinale wurde. Im Mittelteil verkörpert sie eine Sagengestalt im Berlin der Gegenwart – als titelgebende Historikerin, die Stadtführungen anbietet. Bedingt durch ihr Dasein als Elementargeist ist Undine eigentlich dazu bestimmt, ihrem (Ex-)Freund den Tod zu bringen. Aber wieso sollte sie irgendwelchen uralten Flüchen folgen, um danach ins Wasser zurückzukehren? Undine will sich gegen diesen Unsinn wehren. Dann verliebt sie sich allerdings in den Industrietaucher Christoph (Franz Rogowski) – und die Dingen werden kompliziert.

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„Eine Filmfigur wird mit jeder Szene in der filmischen Realität überprüft“, erläutert Beer in einem Interview, das sie zusammen mit Petzold zum Start von Roter Himmel gab. Auf die Frage, wie sie das Auratische, Mysteriöse der drei Figuren unter Petzolds Regie gespielt habe, entgegnet sie, sich das auch gefragt zu haben. Etwa bei Marie in Transit: „Was ist mit dieser Frau, warum rennt sie immer durch die Gegend?“ Inzwischen, so sagt sie, vertraue sie den Figuren mehr. Den Begriff der Aura lehne sie derweil (ebenso wie die überholte Zuschreibung, die neue Muse Petzolds oder eine Projektionsfigur zu sein) eher ab: „Menschen sind, was sie tun.“

Die Präsenz einer Figur erfassen und deren Handeln, so paradox es uns erscheinen mag, in den Mittelpunkt rücken – dies macht Beer nun auch in Stella. Ein Leben. „Ich glaube, um die Historie zu verstehen, ist es gut, sich dazu eigene Fragen zu stellen und zu versuchen, eigene Antworten zu finden“, meint Beer in Bezug auf den Film. Eine Aussage, mit der sie ihre Reife gar nicht besser hätte bekunden können.

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