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Auf den Beinen: Wandern und Pilgern im Film

Pilger- und Wanderfilme häufen sich: „Auf dem Weg“ mit Jean Dujardin ist frisch im Kino. Versteht man die Pilgerreise als Selbstsuche, kann viel filmisches Reisen als Pilgerkino gelten. Aber wie finden verschiedene Modi der Fortbewegung je Ausdruck im bewegten Bild?

Meinungen
Wanderung
Ich bin dann mal weg / Auf dem Weg / Old Joy

Das Kino ist seiner Form gemäß immer schon Bewegung. Ohne 24 Bilder pro Sekunde kein Film. Wenn ein Film eine Geschichte erzählt, müssen sich die Bilder auch verändern. Da ist es schon interessant, dass das Gehen selbst im Film ein mindestens problematisches Unterfangen ist. Häufig sehen wir den Weg von A nach B nicht. Die Handlungsorte werden über den Schnitt verbunden, in dessen Lücke die Strecke verschwindet. Es sei denn, wir haben es mit einer Geschichte zu tun, in der „der Weg das Ziel“ und damit auch die Handlung ist. Betrachten wir solche Geschichten näher, stoßen wir auf unterschiedliche Modi des Gehens.
Auf dem Weg mit Jean Dujardin ist diese Woche ins Kino gekommen. Ein Wanderfilm, der als solcher seinem Protagonisten viel Selbstreflexion einräumt. Auf Basis des autobiografisch gefärbten Bestsellers Auf versunkenen Wegen des Schriftstellers Sylvain Tesson zeigt der Regisseur und (Co-)Drehbuchautor Denis Imbert, wie ein Autor und Abenteurer Frankreich zu Fuß durchquert, indem er vom Süden in der Provence bis zur Küste der Normandie insgesamt 1300 Kilometer zurücklegt, kurz nachdem er infolge eines alkoholisierten Balkonsturzes aus dem Koma erwacht ist.

Aber worin genau liegen die Unterschiede zwischen Wandern, Pilgern und anderer Fortbewegung? Und wie treten sie im Kino auf?
 

On the Road

Einleitend müssen wir das Roadmovie betrachten, wenn die Protagonisten auch nicht auf den Beinen, sondern im Sattel oder auf dem Autositz unterwegs sind. Denn es ist das archetypische Genre, in dem die Reise zum berühmten Ziel wird. Dieses ur-amerikanische Thema ist auf das engste mit dem Motor, dem Highway und dem weiten Horizont der USA verknüpft. Und doch ist selbst dieses Label zu eng, zu ungenau, um die verschiedenen Arten und Weisen des Reisens zu erfassen, den unterschiedlichen Atmosphären und Geschwindigkeiten einen Namen zu geben. Das Feld reicht von legendären Gangsterfluchten (Bonnie & Clyde, Badlands) über Biker-Spirit (Easy Rider) und queere Sinnsuchen (My Own Private Idaho).

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Jedes Roadmovie zerteilt sich in Intervalle von Bewegung und Orten der Zusammenkunft. Wohin die Reise gehen soll, spielt keine große Rolle. Oftmals müssen die Figuren einfach nur weg. Sie brechen auf ins Ungewisse, bewegen sich in die Flucht. Sicher – es gibt Ausnahmen, in denen es ein klares Ziel gibt, das mitunter in die Ferne rückt, während man On the Road ist – um einen der ikonischen (auch verfilmten) Texte der Literaturgeschichte zu zitieren. Der Roman von Jack Kerouac, der die Bewegung auf der Straße mit dem unsteten, sprunghaften Innenleben verbindet, kann als die heilige Schrift der Straße verstanden werden – vor allem deshalb, weil es dieses Reisen gar nicht mehr gibt. Roadmovies haben immer eine Form der Nostalgie, in deren Geist die amerikanische Flagge weht.

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Die motorisierte Bewegung, das ist klar, unterscheidet sich von der Bewegung zu Fuß durchs Tempo. In einem Film wie Easy Rider sind die Geschwindigkeit und das wehende Haar gar konstitutiv für das Freiheitsmotiv. Ein Roadmovie im Windschatten der Hippie-Ära, das die Geschwindigkeit so hoch wie möglich schraubt, ist Fluchtpunkt San Francisco. Auch hier wird Amerika verhandelt, allerdings liegt der Dream im Straßengraben: Ein desillusionierter Vietnam-Veteran und Ex-Cop hat beschloßen, nur an zwei Dinge noch zu glauben: die Zahl auf dem Tacho und die Verkehrsdurchsagen im Radio. Das Motiv der Selbstfindungsreise bringt der Film zum Explodieren; der Protagonist ist ein ewig Getriebener, seine Fahrt gerät zum Suizidtrip.

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Ein Roadmovie mit Tempo-Extrem ist auch David Lynchs The Straight Story, allerdings ist dieses besonders langsam: Der Protagonist durchquert die USA auf einem fahrenden Rasenmäher. So kann die Selbstfindung gut gelingen: Während Peter Fonda und Dennis Hopper noch anhalten und die Ständer ausklappen müssen, um Begegnungen zu machen, ist die Figur Alvin Straight mit gerade mal acht KM/H unterwegs. Langsamkeit, aber auch Non-Linearität – alles, was die Reisezeit dehnt – bedeutet, für Neues und Unerwartetes empfänglich zu sein.
 

Wander-Wege

Demgegenüber ist das Wandern eine ganz andere Angelegenheit. Alleine deshalb, weil die Maschine als vermittelnde Instanz wegfällt. Der Fuß setzt sich auf die Erde, tappt in Pfützen und Schlamm. Es gibt nicht den geschützten Raum des Gefährts. Dunkelheit und Wetterumschwung schlagen zu – Umwelt und Landschaft werden so viel größer. Wenn schon das Roadmovie mit Schlingerkursen statt einer gerade Linie überraschen kann, folgt die Wanderung erst recht verschlungenen Pfaden.

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Ein archetypischer Wanderfilm ist Old Joy von Kelly Reichardt. Darin treffen sich zwei alte Freunde, die grundverschiedene Lebenswege eingeschlagen haben, die sie auf einer Wanderung durch die Redwoods verknüpfen wollen: Kann man überhaupt noch ein Stück weit gemeinsam gehen? Gemeinsames Wandern ist eine durchaus intime Angelegenheit, bei der man auch gut schweigen können sollte.

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Ein ähnlicher Film, wenngleich mit hoffnungsvollerem Ende als Old Joy, ist Picknick mit Bären von Ken Kwapis. Darin gehen Robert Redford und Nick Nolte auf Wanderschaft. Gut kommen sie nicht miteinander aus. Der eine will in die Wildnis, weil in seinem Leben nichts mehr passiert. Weil es auf der geplanten Route immer wieder zu Unfällen mit Bären kommt, nimmt er – mehr aus Zwang als aus freien Stücken – einen eher ungeliebten Freund mit. Auf der Reise werden sich die beiden Männern nochmal neu kennenlernen.

In Auf dem Weg hingegen, der nun im Kino startet, wandert Jean Dujardins Figur größtenteils allein. Und so hilfreich es auch sein kann, einmal in Ruhe seinen Gedanken nachzuhängen: Irgendwann braucht es den Spiegel, die Resonanz. Als Ersatz-Gegenüber kann die Natur herhalten: Sie kann mal herausfordern, gefährlich sein, dann wieder ästhetisch überwältigen. Natürlich ist ein interessantes Setting, wie bei Reichardt die Redwoods und in Auf dem Weg die vielseitige Landschaft Frankreichs, auch filmisch zuträglich. Je langsamer die Bewegung, desto wichtiger die Loaction-Wahl, damit der Film nicht fad wird.

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Gibt es Filme über Spaziergänge? Vielleicht müssten es Kurzfilme sein. Denn wird ein solcher Spaziergang zu lang, wird er automatisch zur sportlichen Betätigung und zur Wanderung, die eben immer eine epische Weite mit sich bringt.
 

Pilgerreisen

Stand by Me ist, wenngleich sich die Jungen nicht auf eine religiös-motivierte Reise begeben, eher ein Beispiel für die Pilgerreise. Die Suche nach der Leiche des vom Zug erfassten Mannes hat eine spirituelle Dimension und ein ganz spezifisches Ziel. Zudem ist der Film aus einer trauernden Erinnerung heraus erzählt, weil sich die Hauptfigur als Erwachsener an seine Freunde erinnert. Hinzukommt, dass man bei einer Pilgerreise nicht alleine ist, die Route festgelegt und wiederholbar ist.

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Dabei muss das Pilgern überhaupt nichts mit einer Wanderung zu tun haben. Der konzentrierte und höchst kirchenkritische Lourdes von Jessica Hausner folgt einer Pilgergruppe, die mit dem Bus in die französische Stadt gekarrt wird, um diesem Mega-Event kirchlicher Glaubensvermarktung beizuwohnen. Hier wird gepilgert, aber anders als Hape Kerkeling in Ich bin dann mal weg, der sich auf den Weg macht – und es ist ein Unterschied, ob man sich mit eigener Körperkraft fortbewegt, oder eben nicht.

Kerkelings Bestseller und dessen Verfilmung haben zum Trend zum Jakobsweg beigetragen, und viele der Wandernden dort haben keine religiösen, sondern höchstens spirituelle Beweggründe. Ist eine sportliche Wanderung eine Pilgerreise, wenn sie auf einem Pilgerpfad stattfindet? Im übertragenen Sinne könnten wohl viele Erzählungen als Pilgerkino gelten.
 

Walz und Walkabout – rituelles Wandern

Zuletzt gibt es auch Wanderungen, die weder sportlicher noch spiritueller und doch ritueller Natur sind: Für den unbekannten Hund, ein Film der Zwillingsbrüder Dominik und Benjamin Reding, zeigt Handwerksgesellen auf der Walz und inszeniert die Wandernden wie eine anarchistische Parallelgesellschaft. Ein gewalttätiger Jugendlicher schließt sich ihnen an, tut über das entbehrliche Leben Sühne für seine Taten – Wanderschaft als Ersatz für Knast oder Jugendpsychiatrie.

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Nicolas Roegs Film Walkabout ist benannt nach einem traditionellen Fußmarschritual australischer Aborigines. Das „Umherlaufen“ folgt dabei, ähnlich wie Pilgerreisen, einer Route – allerdings sind die „Songlines“ eine unsichtbare Karte des Outbacks, die von der Urbevölkerung per Gesang von Generation zu Generation weitergetragen wird. Im Film sind zwei Kinder im Outback ausgesetzt und treffen auf einen Aboriginal-Jungen, der ihnen beibringt, in der Natur zu überleben. Auch für sie rückt das ursprüngliche Ziel der Reise – die Rückkehr in die Zivilisation – bald in den Hintergrund.

Am Ende setzt Nicolas Roeg die eingangs erwähnten Leerstellen, die geschnittene Filmsequenzen aufweisen, auf radikale Weise ein. Der Endpunkt der Reise wird nicht gezeigt, stattdessen springt der Film weit in die Zukunft und wir bleiben mit mehr Fragen als Antworten zurück.

Vielen realen Reisenden, die mit der Hoffnung auf Selbstfindung die Schuhe geschnürt hatten, dürfte es nach ihrer Ankunft ganz ähnlich gehen. Und doch geht es in Filmen wie Auf dem Weg vor allem um den Aufbruch, um den Entschluss, sich auf den titelgebenden Weg zu begeben: „Aufbruch bedeutete, eine Bresche in die Mauer zu schlagen.“

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