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Filmgeschichte(n)

Goebbels' Urlaub in Venedig

Ein Beitrag von Katrin Doerksen

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Zuschauer des Filmfestivals Venedig im Palazzo Ducale 1947
Zuschauer des Filmfestivals Venedig im Palazzo Ducale 1947

Diese Woche beginnt auf dem Lido in seiner 76. Ausgabe das Internationale Filmfestival von Venedig. Das älteste und eines der bedeutendsten A-Filmfestivals auf der Welt. Seine Geschichte klingt jedoch nicht in jedem Kapitel so rühmlich. Das begann schon bei seiner Gründung.

In den 1930er Jahren hatte das faschistische Regime unter Benito Mussolini die Bedeutung des Mediums Film längst erkannt, doch die meisten in Italien gezeigten Filme kamen aus Amerika. So beschloss man die eigene Filmkultur zu stärken und mischte sich fortan unter die Industrie. 1932 gründeten schließlich einige Männer um Mussolinis Finanzminister Giuseppe Volpi das Filmfestival von Venedig, das in seiner erster Ausgabe im Rahmen der Biennale auf der Terrasse des Excelsior Palace Hotel mit einer Vorführung von Rouben Mamoulians Dr. Jekyll und Mr. Hyde begann.

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In den folgenden Jahren wuchs das Festival stetig, mehr Länder reichten Filme ein und die zwei Hauptpreise wurden gestiftet: Die Coppa Mussolini für den besten italienischen und den besten fremdsprachigen Film. Ein Gesetz verfügte schließlich 1936 die Unabhängigkeit des Filmfestivals von der restlichen Biennale, was weiteren faschistischen Organisationen und Ministerien Möglichkeiten zur Einmischung verschaffte. Spätestens ab diesem Punkt war das Festival fest in faschistischer Hand, gekrönt vom 1937 fertiggestellten Palazzo del Cinema auf dem Lido, dem neuen Veranstaltungsort.

In all den Jahren waren in Venedig Filme aus aller Welt gezeigt worden — doch Ende der 1930er Jahre spitzte sich die Situation zu. Unter dem Druck von oben entschied sich die Wettbewerbsjury 1938 nur Stunden vor der Preisvergabe um und ehrte mit dem Hauptpreis Leni Riefenstahls Propagandadokumentarfilm Olympia. Schockiert von diesen Zuständen setzte der französische Diplomat und Historiker Philippe Erlanger deswegen lang gereifte Pläne in die Tat um und gründete ein eigenes freies Filmfestival als Alternative — die Geburtsstunde von Cannes. 

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Mit der Aussicht auf eine weitere öffentlichkeitswirksame Festivalplattform fiel es nun anderen Ländern leichter das längst Überfällige zu tun: 1939 boykottierten die USA die Filmfestspiele von Venedig aus Protest gegen die Regierung Benito Mussolinis. Vorgeführt wurden am Lido immerhin noch drei Produktionen aus Frankreich (darunter Jean Renoirs Bestie Mensch), Filme aus Böhmen, Belgien und Argentinien. In der sich in ganz Europa verdichtenden Kriegsstimmung blieb auch das Publikum aus. Nur die Nazis ließen sich von ihrer Privatfeier nicht abbringen. In seinem Buch The Nazi-Fascist New Order for European Culture beschreibt Benjamin G. Martin den Festivaljahrgang 1939 als dekadente Ausschweifung, während derer am Strand einige neue Abkommen über deutsch-italienische Zusammenarbeiten im Kultur-und-Propaganda-Sektor beschlossen wurden:

„On August 8, 1939, Goebbels and a huge entourage, including Reich Press Chief Otto Dietrich and representatives of every branch of the Propaganda Ministry, thundered into Venice and overwhelmed the proceedings. For two days , Venice celebrated the propaganda minister and the German-Italian partnership with a dizzying program of concerts, receptions, a gondola ride down the Grand Canal draped on all sides with swastikas, a regatta of 400 traditional bragozzi fishing boats, a tour of the exhibition of Paolo Veronese, a giant torchlit rally on the Piazza San Marco, fireworks, and drinks until late into the night.“

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Wenn am Mittwoch die Filmfestspiele von Venedig wieder beginnen, wird Goebbels‘ kleiner Urlaub dort 80 Jahre her sein. In der Kritik steht das Festival trotzdem immer wieder. Sei es wegen undurchsichtiger Verbindungen zur Baumafia, wegen seiner einseitigen Kuratierung (im letzten Wettbewerb lief nur ein Film von einer Regisseurin, dieses Jahr sind es zwei) oder weil sich im dort vorherrschenden Klima immer wieder Leute sicher genug fühlen, um ihre hasserfüllten, misogynen Ansichten in aller Öffentlichkeit auszubreiten (hier geht es zu Beatrice Behns Kommentar über den letzten Festivaljahrgang). Das alles in einem Land, in dem wieder eine offen rechtspopulistische Regierung an der Macht (und permanent in der Krise) ist.

Immerhin das Kino selbst bietet einen Raum der offenen Auseinandersetzung an. Mit Filmen wie Luca Guadagninos Suspiria, Jennifer Kents The Nightingale oder Alfonso Cuaróns Roma war Venedig 2018 ein wesentlich politischerer Jahrgang als es beispielsweise der Berlinale ständig unterstellt wird. Wir sind gespannt, welche Entscheidungen die diesjährige Jury unter Leitung der argentinischen Regisseurin Lucrecia Martel — immerhin eine Filmemacherin mit einer sehr klaren Haltung - fällen wird.

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