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Kolumnen

Du bist nichts Besonderes

Ein Beitrag von Andreas Köhnemann

Warum erzählen uns fiktionale Werke eigentlich ständig, dass wir etwas ganz Besonderes sind? Andreas Köhnemann findet, dass wir uns von diesem Narrativ bald verabschieden sollten.

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Das Personal aus Spider-Man: A New Universe
Das Personal aus "Spider-Man: A New Universe"

Filme, Serien, Romane, Theaterstücke und Musicals haben mir viel beigebracht. Star Trek hat mir etwa schon in früher Kindheit humanistische Werte vermittelt. Dank Cats weiß ich, wie man es sich verdient, „in den Sphärischen Raum“ zu gelangen. Und die Buch-Reihe Ich und meine Schwester Klara war für mein enges Verhältnis zu meiner älteren Schwester essenziell.

Doch audiovisuelle und literarische Erzählungen haben mich auch oft ziemlich verkorkst. Beverly Hills, 90210 hat mir zum Beispiel – ebenso wie das Œuvre von Meg Ryan zwischen 1989 und 1995 – völlig unrealistische Beziehungsideale mit auf den Weg gegeben. Und das Horrorkino sowie die Schauerliteratur haben in mir alberne Ängste vor roten Autos (Christine), großen Meerestieren (Der weiße Hai) oder kleinen Kindern (Das Omen) entstehen lassen, obwohl ich mich in dieser Welt vor gänzlich anderen Dingen fürchten muss.

 

Nur ich, ich, ich allein

Der schrecklichste Unsinn, der mir auf der Leinwand, auf dem Fernsehbildschirm und zwischen Buchdeckeln immer wieder begegnet(e), ist indes wohl die Behauptung, dass ich etwas ganz Besonderes bin (beziehungsweise es stellvertretend für mich die Hauptfigur der Geschichte ist). Nur ich kann die Welt durch meine einzigartige Gabe retten! Nur ich kann „die dunkle Seite der Macht“ besiegen! Alle anderen können mir dabei höchstens helfen. Alle anderen sind nichts Besonderes, oder jedenfalls irgendwie ein bisschen weniger besonders. Denn: „Es kann nur einen geben.“

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Sorry, Leute, aber das ist wirklich totaler Mist – und mindestens so narzissmusfördernd und ungesund wie Ganzkörperspiegel in Fitnessstudios oder die Filterfunktion auf Instagram. Ich bin nicht „der Eine“, den es als Einzigen geben kann (Highlander). Ich bin nicht Das Mädchen mit den Zauberkräften, das im Alleingang die fiese rothaarige Königin zu vernichten vermag, nachdem sich alle anderen Guten im Umfeld etappenweise geopfert haben (Sailor Moon). Keine meiner Narben verschafft mir singuläre Erkenntnisse, die ich für den Kampf gegen das Böse gezielt zu nutzen weiß (Harry Potter). Und es verlieben sich nicht alle sofort unsterblich in mich, weil ich so zauberhaft wie sonst niemand über meine eigenen Füße stolpern kann (was in der perversen Logik von RomComs und Fifty Shades of Grey schon genügt, um etwas ganz Besonderes zu sein).

Ein heroisches Zentrum, das sich durch angebliche Besonderheit, durch behauptete Einzigartigkeit auszeichnet, bedeutet zwangsläufig, dass alle anderen an die Ränder gedrängt werden, dass sie gewöhnlicher, schwächer und somit weniger bemerkens- oder begehrenswert sind. Sie sind sidekicks in einem Reifeprozess, in einem Abenteuer, auf einer Reise – oder im schlimmsten, rassistischsten Fall so etwas wie zum Beispiel ein sogenannter „magical negro“: eine Nebenfigur of color, deren (meist spirituelle) Fähigkeiten lediglich dazu dienen, der weißen Hauptfigur zu helfen.

 

125 Jahre Irrtum und Ignoranz

Eine Trope wie diese führt wiederum zu einem wichtigen Punkt, den es bei aller Ablehnung des beschriebenen Narrativs der ganz besonderen Person zu beachten gilt. Denn es gibt hier, ehe wir die Vorstellung der einen Person, die etwas ganz Besonderes ist, endgültig in den Schredder werfen können, noch Nachholbedarf. So war diese eine besondere Person etwa in der rund 125-jährigen Geschichte der Kinematografie und in der rund 70-jährigen Geschichte der Fernsehserie deutlich häufiger männlich als weiblich. Und wenn sie denn mal weiblich war, landete sie zum Schluss beispielsweise in einer katastrophalen Beziehung mit einem Millionär oder bekam im Laufe ihres kämpferischen Einsatzes doch mehr Unterstützung von einem Mann wie Tuxedo Mask, als es nötig gewesen wäre. Noch seltener war diese Person im Zentrum of color, queer und/oder mit Behinderung.

Wer daher die Bedeutung von Filmen wie Wonder Woman (2017) oder Black Panther (2018) kleinredet und deren erfreulichen Erfolg an den Kinokassen als irrelevant abtut, verkennt, dass es jahrzehntelang ein extremes Ungleichgewicht gab, welches bei Weitem noch nicht behoben ist. Die Idee, dass die Hauptfigur etwas ganz Besonderes und „auserwählt“ ist, um das Größte vom Großen zu leisten und alle(s) vor dem drohenden Untergang zu erretten, war und ist unter anderem in Bezug auf Race, Gender und Sexualität streng hierarchisch geordnet – was zu ärgerlichen Plots führt(e), in welchen etwa ein sogenannter white savior in Erscheinung tritt, der mit seinem Heldentum das gezeigte Milieu und die zugehörigen Menschen überstrahlt. Zunächst soll den Verantwortlichen in der Film- und Serien-Branche also gerne demonstriert werden, dass ihre Annahmen, nur männliche, weiße Hetero-Cis-Protagonisten brächten Kohle, einfach nur ignorant und falsch waren.

 

Das Multiversum als dramaturgische Chance

Ein Werk, das sich bereits überaus klug von dem Konzept der einen besonderen Person im Mittelpunkt entfernt, ist die animierte Comic-Adaption Spider-Man – A New Universe (2018). Darin muss der Teenager Miles Morales erkennen, dass es ein Multiversum mit unzähligen Spider-(Wo-)Man-Versionen gibt. Jede_r Spider-(Wo-)Man hält sich natürlich für einzigartig – bis der schurkische Einsatz eines Teilchenbeschleunigers dafür sorgt, dass neben Miles gleich fünf sehr unterschiedliche Spider-(Wo-)Man-Versionen in einer Dimension aufeinandertreffen. Im weiteren Verlauf der Handlung geht es nun nicht darum, die anderen zu Stichwortgeber_innen in der eigenen Weltenrettungs-Story zu machen; vielmehr geht es um Zusammenarbeit, um die Kraft im Miteinander.

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Und auch in Serien gelingt es, mit besagter Idee clever zu spielen und sie allmählich zu zerstören. So beginnt etwa die 2013 gestartete Netflix-Produktion Orange Is the New Black mit der Protagonistin Piper Chapman (Taylor Schilling) – einer bürgerlichen Frau Anfang 30, die wegen einer Jugendsünde eine Haftstrafe in einer US-Justizvollzugsanstalt antritt. Zunächst scheint sich alles um sie zu drehen – und die Serie hätte sich wie eine Sequenz aus dem zweiten Bridget-Jones-Film entwickeln können, in welcher die Heldin, die (kurz) im thailändischen Knast landet, durch ihre superspezielle, superwitzige, superkreative Art das Dasein aller Mitinsassinnen (vorübergehend) verbessert. Stattdessen gerät Piper mehr und mehr aus dem Fokus – und die vielgestaltigen Biografien der anderen Frauen nehmen alsbald mindestens ebenso viel Raum ein wie die Erfahrungen von Piper. Die Geschichten aller sind erzählenswert – und keine macht die restlichen weniger sichtbar. Orange Is the New Black widmet sich nicht der Reise einer ganz besonderen Person, sondern den Verquickungen sämtlicher Reisen und der entstehenden Solidarität untereinander.

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Wir brauchen keine Wunder. Wir brauchen keine Superkräfte, die alle anderen Superkräfte noch in den Schatten stellen können. Wir müssen nicht schlauer, schöner, süßer, besser als alle anderen sein. Ich kann – zusammen mit euch – auch etwas bewegen, ohne etwas ganz Besonderes zu sein. Wenn ich mir Mühe gebe und ihr euch auch Mühe gebt. Mehr Filme und Serien, mehr Romane und Stücke sollten uns das zeigen, finde ich.

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