Orange Is the New Black (TV-Serie, 2013)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Hinter den Klischees

„I’m scared that I’m not myself in here – and I’m scared that I am.“ Die Serie Orange Is the New Black erzählt vom Gefängnisaufenthalt einer Thirtysomething-Bürgerin aus gutem Hause. In einem Mix aus Drama und Comedy wird die unvermeidliche Selbstkonfrontation der jungen Frau geschildert – während sich die vielgestaltigen Lebensgeschichten der Mitinsassinnen nach und nach entbergen.

Schöpferin der Serie ist Jenji Kohan, die sich in Weeds – Kleine Deals unter Nachbarn von 2005 bis 2012 den Drogengeschäften einer Vorstadt-Hausfrau und -Mutter widmete. Als Vorlage für die im Sommer 2013 erstmals veröffentlichte Eigenproduktion des Streaming-Dienstes Netflix diente das autobiografische Buch Orange Is the New Black: Mein Jahr im Frauenknast von Piper Kerman. Die beschauliche Existenz der Protagonistin Piper Chapman (Taylor Schilling) gerät aus den Fugen, als ein Delikt aus College-Zeiten ans Licht kommt: Vor einer Dekade, im Alter von 22 Jahren, führte Piper eine Liebesbeziehung mit der für einen internationalen Drogenring arbeitenden Alex Vause (Laura Prepon) – und hatte sich mit dem Transport einer Geldtasche selbst einmal an der illegalen Aktivität beteiligt.

Um einem Prozess zu entgehen, bekennt Piper sich schuldig und nimmt eine 15-monatige Haftstrafe an. Sie muss ihren Verlobten, den Schriftsteller Larry Bloom (Jason Biggs), sowie ihre Linie für Badeprodukte, die sie gerade mit ihrer besten Freundin Polly (Maria Dizzia) aufgebaut hat, zurücklassen – und sich mit dem komplizierten Regelwerk in der Justizvollzugsanstalt Litchfield auseinandersetzen. Wiewohl sich Piper vor ihrem Haftantritt mithilfe von Fachliteratur darüber informiert hat, was zu tun und was zu unterlassen ist, leistet sie sich bald ein paar gehörige Fehltritte; so beleidigt sie etwa die russische Küchenchefin und Mitgefangene Galina „Red“ Reznikov (Kate Mulgrew). Zudem muss sie zu ihrem Entsetzen feststellen, dass auch ihre Ex-Geliebte Alex hier ihre Strafe verbüßt.

Orange Is the New Black bedient sich in der Darstellung des Gefängnisalltags sowie in der Figurenzeichnung zunächst zahlreicher Klischees – gewinnt im Laufe der ersten Staffel aber auch beachtlich an Tiefe. Die Transfrau Sophia Burset (Laverne Cox), die den gefängniseigenen Friseursalon betreibt, das zerstrittene Mutter/Tochter-Gespann Aleida und Daya Diaz (Elizabeth Rodriguez und Dascha Polanco) oder die mental instabile Suzanne „Crazy Eyes“ Warren (Uzo Aduba) mögen auf den ersten Blick stereotyp erscheinen. Es sei jedoch versichert, dass man sie (und all die anderen) spätestens zum Ende dieser Einstiegsstaffel als Charaktere zu schätzen gelernt hat – und möglichst schnell noch viel mehr über sie erfahren möchte. Das gilt sogar für eine schräge Gestalt wie Tiffany „Pennsatucky“ Doggett (Taryn Manning), die anfangs nur wie eine bösartige Karikatur anmutet.

In kleinen und großen Momenten auf engstem Gefängnis-Raum sowie in präzisen, klug platzierten Rückblenden in die Zeit vor dem Strafvollzug gelingt es, den in vieler Hinsicht (etwa Ethnie, Alter oder Religion) unterschiedlichen Frauen Konturen zu verleihen. Es kommt zu Interaktionen zwischen Figuren, die in anderen Serien oder Filmen vermutlich keine gemeinsamen Szenen hätten – zum Beispiel zu einem intensiven Austausch zwischen der ehrgeizigen Ex-Highschool-Athletin Janae Watson (Vicky Jeudy) und der verhuschten Mittfünfzigerin „Yoga Jones“ (Constance Shulman). Die physischen und psychischen Verwundungen der Inhaftierten werden sicht- und fühlbar gemacht – nicht zuletzt dank des hervorragenden Ensembles.

Während Netflix bei der im Februar 2013 gestarteten Eigenproduktion House of Cards auf Hollywood-Prominenz in den Hauptrollen setzte, wird hier nun ein interessanter Mix aus Newcomern sowie Seriengesichtern und Filmschauspielern aus der zweiten und dritten Reihe geboten. Die Leading Lady Taylor Schilling war bis zu ihrem Durchbruch mit Orange Is the New Black ein vergleichsweise unbeschriebenes Blatt. Neben der kurzlebigen Krankenhausserie Mercy (2009/2010) findet sich in ihrer Vita etwa die Nicholas-Sparks-Adaption The Lucky One – Für immer der Deine (2012) – wobei es ihr erstaunlicherweise schon in diesem bieder-formelhaften Melodram (an der Seite des fleischgewordenen Schlafzimmerblicks Zac Efron) gelang, erfrischend quirky und unberechenbar daherzukommen. Als Piper muss sie – den Episoden-Drehbüchern gemäß – (zu) oft larmoyant und neurotisch auftreten. Doch gerade wenn man beschlossen hat, die Figur allzu enervierend zu finden, weiß Schilling mit vortrefflichen Michael-Jackson-Moves oder einem unverschämt schönen Seitenblick in Richtung ihrer Bildschirm-Partnerin Laura Prepon zu überraschen – was tatsächlich für viele der anstrengenden „Piper-Momente“ zu entschädigen vermag. Auch eine furiose Wutrede, die Piper dem grotesk homophoben Gefängniswächter und Berater Sam Healy (Michael Harney) im Zuge ihrer Isolationshaft vorträgt, führt zu einer starken Szene.

Die aus der Sitcom Die wilden 70er (1998-2006) bekannte Prepon sowie die einst als patente Kapitänin in Star Trek – Raumschiff Voyager (1995-2001) durchs Weltall fliegende Kate Mulgrew waren bereits in der „Prä-Streaming-Ära“ im Serien-Bereich äußerst erfolgreich – und liefern hier als Alex beziehungsweise „Red“ nuancierte Performances. Insbesondere Mulgrew erweist sich in ihrem Schutzpatroninnen-Part rasch als Kraftzentrum der Serie.

Bemerkenswerte mimische Wiederentdeckungen sind auch Taryn Manning (Hustle & Flow) sowie Natasha Lyonne (aus der American Pie-Reihe und etlichen Indie-Glanzstücken). Manning gibt ihre Religious-Maniac-Figur mit Courage zur Einfalt und zu völligem Wahnsinn (wobei an dieser Stelle angemerkt sei, dass die deutsche Synchronisation solide ist: Die Schauspielerin Pegah Ferydoni findet als deutsche Stimme eine adäquate Entsprechung für Mannings wüste White-Trash-Sprachmelodie). Lyonne meistert indes als Ex-Junkie Nicky eine Interpretation, die ihr sowohl Verletzlichkeit als auch Abgebrühtheit und Härte abverlangt. Zu den wenigen darstellerischen Enttäuschungen zählt Lyonnes American Pie-Kollege Jason Biggs, der als Pipers Verlobter in erster Linie wie die erwachsene Version seiner „Paraderolle“ aus der Teenager-Komödien-Reihe wirkt. Eine komplexere Verkörperung des im wahrsten Sinne Ausgeschlossenen hätte die Dreiecksbeziehung zwischen Piper, Larry und Alex gewiss reizvoller gemacht.

Alles in allem ist Orange Is the New Black eine Serie, die hochgradig bingeworthy ist und in ihrer Auftakt-Staffel das Potenzial an Figurenauslotung und -entwicklung erkennen lässt – weshalb es erfreulich ist, dass die Netflix-Produktion bereits um eine vierte Staffel verlängert wurde. Weniger netzaffine Zuschauer_innen sollten die DVD-Veröffentlichung nutzen, um den skurril-spannungsreichen Frauengefängnis-Kosmos kennenzulernen. Neben einigen Running Gags (wie der schluchzenden Frau am Telefon), einer veritablen One-liner-Flut sowie einer gut getimten Inszenierungsarbeit (beispielsweise von Jodie Foster oder dem Eighties-Filmstar Andrew McCarthy) bietet die Dramedy eine ernsthafte Beschäftigung mit Themen wie Familie und Freundschaft, Gender Roles und Begehren, Hassliebe und Wut, Sucht und Selbstzerstörung, Diskriminierung und Korruption.
 

Orange Is the New Black (TV-Serie, 2013)

„I’m scared that I’m not myself in here – and I’m scared that I am.“ Die Serie „Orange Is the New Black“ erzählt vom Gefängnisaufenthalt einer Thirtysomething-Bürgerin aus gutem Hause. In einem Mix aus Drama und Comedy wird die unvermeidliche Selbstkonfrontation der jungen Frau geschildert – während sich die vielgestaltigen Lebensgeschichten der Mitinsassinnen nach und nach entbergen.

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