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Von „Nosferatu" bis „Demeter": Die vielen Gesichter des Filmvampirs

Ein Beitrag von Andreas Köhnemann

Der Vampirfilm ist fast so alt wie das Kino selbst: Man denke nur an „Le manoir du diable von Georges Méliès (1896) oder „Nosferatu, eine Symphonie des Grauens von F.W. Murnau (1922). Dementsprechend sind die Darstellungen von Vampiren in der Filmgeschichte mannigfaltig. Mit „Die letzte Fahrt der Demeter“ erscheint nun ein Werk, das nah am Bram-Stoker-Roman ist, aber anders als die meisten Dracula-Verfilmungen vor ihm: Der Graf tritt hier nicht als zerrissener Romantiker auf, sondern als Bestie.

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Bild aus "Dracula" von Tod Browning
Bild aus "Dracula" von Tod Browning

Dracula (1931) von Tod Browning war es, der dem Vampir den Weg ins Mainstream-Kino ebnete. Er gilt als erste Verfilmung des wohl berühmtesten Vampirromans. Dabei diente streng genommen gar nicht der 1897 veröffentlichte Dracula von Bram Stoker, sondern ein auf dem Roman basierendes Theaterstück als Vorlage. Der titelgebende Graf wird bei Browning vom ungarischen Schauspieler Bela Lugosi (1882-1956) verkörpert und erscheint im Verhältnis zu den übrigen (insbesondere den männlichen) Figuren als extravagante Persönlichkeit.

Er ist das „Andere“, das „Fremde“, das von außen kommt – wobei dieses Außen historisch, geografisch und sozial definiert sein kann, wie die Kulturwissenschaftlerin Margit Dorn in ihrem Buch Vampirfilme und ihre sozialen Funktionen: Ein Beitrag zur Genregeschichte beschreibt. Dracula stammt aus einem anderen (vergangenen) Zeitalter sowie einem fremden Land in Osteuropa – und ist Aristokrat. Genau diese Andersartigkeit übt auf eine bürgerliche Familie in London, vor allem auf die weiblichen Mitglieder, große Faszination aus. Als Gentleman im Smoking und mit Cape wirkt Dracula gebildet und höflich; sein Akzent gibt ihm etwas Exotisches, Geheimnisvolles.

Somit ist der Vampir im Jahre 1931 kein offensichtliches Monster, wie dies etwa bei Nosferatu der Fall ist. Der Film demonstriert aber, dass dieses faszinierende Andere, Fremde durch und durch bösartig und heimtückisch ist: Dracula hypnotisiert seine Opfer und macht sie sich dadurch gefügig; er verführt Frauen und beißt sie, um seine Blutgier zu befriedigen. Eindeutig kommt ihm hier die Schurkenrolle zu – wohingegen Dr. Van Helsing (Edward Van Sloan) als positiv gezeichneter Gegenspieler fungiert, der das in die bürgerliche Welt eingedrungene Monster bekämpft und mit einem Pfahl durchs Herz letztlich zerstört. Diese Gut-Böse-Dichotomie ist bei einem Produkt der Traumfabrik aus der damaligen Zeit wohl unvermeidlich; sie verleiht dem Werk aus heutiger Sicht jedoch eine erhebliche Spannungslosigkeit – und eine unangenehme Xenophobie.

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In Bram Stokers Dracula (1992) von Francis Ford Coppola liegen die Dinge völlig anders. Wie der Titel schon bewusstmacht, bezieht sich der Film direkt auf den Roman; es gibt allerdings einige ganz entscheidende dramaturgische Abweichungen. So wird etwa zu Beginn Draculas biografischer Hintergrund präsentiert — eine persönliche Tragödie, die das weitere Handeln der Figur bestimmt: Als rumänischer Prinz zieht er im 15. Jahrhundert für die christliche Kirche in den Krieg; doch als die besiegten Gegner seine Frau in den Suizid treiben, verweigert die Kirche der Selbstmörderin ein christliches Begräbnis, woraufhin der trauernde Witwer Gott abschwört und zu einem gefallenen Engel wird. Bei Coppola sind sowohl Dracula (Gary Oldman) als auch Van Helsing (Anthony Hopkins) ambivalent gezeichnet. Der Professor mutet teilweise absonderlich und taktlos an – obendrein ist Hopkins doppelt besetzt: Eingangs spielt er auch den Priester, der Draculas Gattin das Begräbnis verweigert.

Während das Verhältnis zwischen Dracula und der Protagonistin Mina bei Stoker und Browning als klare Täter-Opfer-Beziehung geschildert wird, setzt Coppola die Interaktion zwischen den beiden als gegenseitige Liebe in Szene – was abermals durch eine Doppelbesetzung hervorgehoben wird: Winona Ryder verkörpert nicht nur Mina, sondern auch die Ehefrau in der Exposition, sodass gewissermaßen von einer überzeitlichen Liebe erzählt wird. Zunächst will sich der von Oldman interpretierte Dracula sein einstiges Glück „zurückholen“ und Mina zur Vampirin machen, alsbald hat er jedoch Skrupel. Die Figur zeigt Zartgefühl – sowie Abscheu vor sich selbst: „I am nothing. Lifeless. Soulless“, sagt Dracula an einer Stelle zu Mina.

Im Finale ist es nicht Van Helsing, der das vermeintliche Monster eliminiert; vielmehr wird das von Mina bereitete Ende des Vampirs als Erlösung dargestellt: „Give me peace“, lauten Draculas letzte Worte. Die Sequenz zählt wohl zu den anrührendsten und wuchtigsten Momenten, die die (Liebes-)Filmhistorie bis heute hervorgebracht hat. Zwei Individuen, die nichts lieber täten, als bis in alle Ewigkeit vereint zu bleiben, entscheiden sich beide zum Wohle der anderen Person für ein drastisches Ende der Zweisamkeit. Gegen diese radikale Romantik wirken die Gesten aktuellerer Liebesfilme ziemlich leer.

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In der Anne-Rice-Adaption Interview mit einem Vampir (1994) von Neil Jordan wird die Dracula-Figur, wie sie bei Coppola konturiert wird, quasi auf zwei Protagonisten aufgeteilt. Zwar entwickelt Dracula bei Coppola Skrupel, allerdings ausschließlich in Bezug auf Mina. Bei Rice und Jordan gibt es indes zum einen den Vampir, der sämtliche Menschen ohne Schuldgefühle tötet – den dandyhaften Lestat (Tom Cruise) –, und zum anderen den Vampir, der überhaupt keinen Menschen töten will und deshalb versucht, sich nur von Tierblut zu ernähren: Louis (Brad Pitt) hadert mit seinem Schicksal als Menschenmörder und ist bestrebt, an seinen humanen Moralvorstellungen festzuhalten.

Dank Interview mit einem Vampir war die Umdeutung des Vampirs in einen potenziellen Helden Mitte der 1990er Jahre endgültig abgeschlossen (wenngleich es natürlich bis heute zahllose Werke mit blutsaugenden Gegner:innen gibt). Für die Liebe findet Louis in seiner existenziellen Krise keine Zeit, dennoch stand die Tauglichkeit des Vampirs als Liebespartner – nun, da er wie Brad Pitt daherkommen und sich obendrein respektabel benehmen konnte – fortan außer Zweifel.

Interview mit einem Vampir
Bild aus Interview mit einem Vampir von Neil Jordan; Copyright: Warner Bros Film GmbH

Mit Stephenie Meyers Twilight-Reihe und den Verfilmungen, die zwischen 2008 und 2012 entstanden, errang die einstige Schreckgestalt den Status einer (im doppelten Sinne) unsterblichen Teenager-Ikone. Als nobler Melancholiker steht der Vampir Edward (Robert Pattinson) für die (schwarz-)romantische Sehnsucht nach ewiger Liebe; die Saga schildert ein coming of age without ageing.

Für die Protagonistin Bella (Kristen Stewart) bedeutet die Vampirisierung nicht – wie es bei Mina in Bram Stokers Dracula der Fall gewesen wäre – die Verdammnis zu endloser Seelenqual, sondern markiert den Beginn des konsequentesten Happily-ever-after-Daseins, das ein Hollywood-Filmpaar je erfahren durfte. Bei allem, was sich gegen die Twilight-Reihe vorbringen lässt (der Konservativismus; die kaum überzeugenden Effekte etc.), ist es durchaus schön, dass eine junge Liebe hier zutiefst ernst genommen wird; die Intensität der Dracula-Mina-Beziehung aus Bram Stokers Dracula wird aufgrund des hohen Kitschfaktors aber nie erreicht.

Breaking Dawn
Bild aus Breaking Dawn — Bis(s) zum Ende der Nacht: Teil 2 von Bill Condon; Copyright: Concorde

Trotz vorhandener literarischer Wurzeln – beispielsweise der Novelle Carmilla (1872) von Joseph Sheridan Le Fanu – sind Vampirinnen auf der Leinwand insgesamt weniger präsent als ihre männlichen Artgenossen; zu den interessantesten Vertreterinnen zählen zweifelsohne das Vampirkind Eli (Lina Leandersson) aus Tomas Alfredsons John-Ajvide-Lindqvist-Bearbeitung So finster die Nacht (2008), das Mutter-Tochter-Paar Clara und Eleanor (Gemma Arterton und Saoirse Ronan) aus Neil Jordans Byzantium (2012) sowie die kultivierte Eve (Tilda Swinton) und die hedonistische Ava (Mia Wasikowska) aus Jim Jarmuschs Only Lovers Left Alive (2013).

Diese und viele andere Produktionen – etwa Martin (1977) von George A. Romero oder The Reflecting Skin (1990) von Philip Ridley – haben die Konventionen (und die Genderpolitik) des Vampirfilms immer wieder herausgefordert und dem Vampirmythos stets neue, reizvolle Facetten hinzufügt. Während der Vampir im aktuellen Beitrag Die letzte Fahrt der Demeter als gewissenlose Bestie in Erscheinung tritt (und damit an die literarischen Ursprünge der Figur anknüpft), liegen Liebe und Horror in etlichen der genannten Filme erstaunlich dicht beieinander.

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