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Raus aus dem Tal der Puppen!

Ein Beitrag von Andreas Köhnemann

Immer wieder wird Elle Fanning als junge, schöne Frau besetzt, deren Reize Unheil bringen. Und sie ist gewiss nicht die einzige Schauspielerin mit dieser Rollenbiografie.

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Elle Fanning in "The Neon Demon"
Elle Fanning in "The Neon Demon"

Time’s finally up for Hollywood’s Lolita complex“, hieß es kürzlich im Titel eines lesenswerten Guardian-Artikels, in welchem die Autorin Molly Haskell überzeugend einen Bogen von den Kindfrauen des Stummfilms (etwa Mae Marsh) über den minderjährigen Hollywood-Star Shirley Temple und die „Lolita“-Hauptdarstellerin Sue Lyon bis hin zu den streetwise teens (zum Beispiel Jodie Foster in der Rolle einer adoleszenten Prostituierten in Taxi Driver) und den jungen weiblichen Figuren im Werk Woody Allens (insbesondere Mariel Hemingway in „Manhattan“) spannt.

Die Frage, die Haskell dabei in den Raum wirft, lautet: Wird die #MeToo-Debatte einen Wendepunkt in der Sexualisierung von jungen Frauenfiguren und von deren Darstellerinnen markieren?

Dass ein solcher Wendepunkt vonnöten ist, weil sich der Hollywood’sche Lolita-Komplex auch in jüngster Zeit noch deutlich erkennen lässt, zeigt ein Blick auf die Filmografien von diversen weiblichen Nachwuchsstars – etwa von der am 09.04.1998 geborenen Elle Fanning. Ohne Zweifel ist die Rollenwahl der US-Amerikanerin vielfältig: Nach ihrem Schauspiel-Durchbruch in Sofia Coppolas Somewhere (2010) – einer Kombination aus Branchen-Satire und Vater-Tochter-Tragikomödie – wirkte Fanning unter anderem in J.J. Abrams’ SciFi-Coming-of-Age-Movie Super 8 (2011) sowie in Francis Ford Coppolas kuriosem Spätwerk Twixt (2011), der Freundschaftsgeschichte Ginger & Rosa (2012) von Sally Potter, dem Fantasyfilm Maleficent – Die dunkle Fee (2014) von Robert Stromberg und dem Drei-Generationen-Drama Alle Farben des Lebens (2015) von Gaby Dellal mit.

  • Elle Fanning in Somewhere
    Elle Fanning in Somewhere

    Elle Fanning in Somewhere

  • Elle Fanning in Super 8
    Elle Fanning in Super 8

    Elle Fanning in Super 8

  • Elle Fanning in Twixt
    Elle Fanning in Twixt

    Elle Fanning in Twixt

  • Elle Fanning in Maleficent
    Elle Fanning in Maleficent

    Elle Fanning in Maleficent

  • Elle Fanning in Ginger & Rosa
    Elle Fanning in Ginger & Rosa

    Elle Fanning in Ginger & Rosa

  • Elle Fanning in Alle Farben des Lebens
    Elle Fanning in Alle Farben des Lebens

    Elle Fanning in Alle Farben des Lebens

Sie verkörperte somit (neben zahlreichen weiteren Parts) eine vernachlässigte Promi-Tochter in Los Angeles, das love interest eines juvenilen US-suburbia-Helden, ein Geistermädchen in einer mysteriösen Kleinstadt, eine politisch engagierte Teenager-Rebellin im London der 1960er Jahre, eine neugierige Prinzessin in einer Märchenwelt sowie einen 16-jährigen Trans*-Mann im heutigen Manhattan. Dass man als Kinogänger_in womöglich dennoch (nur) einen ganz bestimmten Rollentypus mit Fanning verbindet, mag daran liegen, dass die Schauspielerin in den vergangenen zwei Jahren äußerst (über-)betont als junge, betörend schöne Frau eingesetzt wurde, deren Attraktivität immer etwas extrem Fatales hat.

Wer Fanning in Somewhere, Ginger & Rosa oder Alle Farben des Lebens gesehen hat, weiß, dass sie überaus ausdrucksstark agieren kann. Doch im Gegensatz zu ihrer ebenfalls bekannten Schwester Dakota Fanning (Jahrgang 1994), die selbst ihren undankbarsten Rollen noch Lebendigkeit einhaucht (etwa der schnöden Vampirin Jane in der Twilight-Reihe, die kaum Text und keine Tiefe hat, von Dakota aber mit derart bitteren Blicken ausgestattet wird, als leide sie unter der schlimmsten Migräne), verfügt Fanning junior – um es mal positiv zu formulieren – über die Fähigkeit, in ihrem Gesicht jeglichen Ausdruck verschwinden zu lassen und damit zur reinen Projektionsfläche zu werden.

Auf diese Weise wird Fanning etwa von Nicolas Winding Refn in The Neon Demon (2016) in Szene gesetzt. Die Schöpfung des kontroversen Dänen ist eine kinematografische Bestie – von manchen geliebt, von einigen gehasst. Einerseits demonstriert das Horror-Porträt der aktuellen Fashion-Welt die Ausbeutung junger weiblicher Körper, andererseits macht es sich ebenjene allerdings auch schamlos zunutze, um ein audiovisuelles Feuerwerk aus surrealen Momenten, knalligen Farben und Tönen sowie heftiger Gewalt und purem Ekel zu zünden.

  • Elle Fanning in The Neon Demon
    Elle Fanning in The Neon Demon
  • Elle Fanning in The Neon Demon
    Elle Fanning in The Neon Demon
  • Elle Fanning in The Neon Demon
    Elle Fanning in The Neon Demon
  • Elle Fanning in The Neon Demon
    Elle Fanning in The Neon Demon
  • Elle Fanning in The Neon Demon
    Elle Fanning in The Neon Demon
  • Elle Fanning in The Neon Demon
    Elle Fanning in The Neon Demon

Und mittendrin: eine seltsam teilnahms-, gar leblos wirkende Elle Fanning, die mit leerem Blick Sätze wie „I am dangerous“ oder „I don’t want to be like them, they want to be like me“ sagt, während ihr immer wieder versichert wird, wie unfassbar schön sie doch sei. Als aufstrebendes Model Jesse wird Fanning (ebenso wie ihre Co-Stars Bella Heathcote und Abbey Lee) wie eine leblose Puppe eingefangen, die von den aktiveren männlichen und weiblichen Figuren des Films (etwa von Fotografen, Modedesignern, übergriffigen Motelbetreibern oder Visagistinnen) begehrt und auch als Lustobjekt für das Publikum zur Verfügung gestellt wird, ehe sie die Strafe dafür erhält, keine tugendhafte Person zu sein.

Nicht ganz so blutleer, aber ebenfalls eigenartig neben sich stehend mutet Fanning in zwei Rollen an, die auf The Neon Demon folgten. In Ben Afflecks Dennis-Lehane-Adaption Live by Night (2016) spielt sie die Tochter eines Polizeichefs in der US-Prohibitions-Ära, die nach hochfliegenden Karriereträumen erst im Drogensumpf landet und daraufhin zur Predigerin gegen jede Form von Sünde wird. Damit gehören ihr zwar fraglos die interessantesten Momente in Afflecks müdem Kriminaldrama – dennoch wurde Fannings Filmografie mit diesem Part eine weitere (im wörtlichen Sinne) unmenschlich wirkende Figur hinzugefügt, die zum einen als überdurchschnittlich attraktiv gekennzeichnet wird und zum anderen einen direkten Zusammenhang zwischen Reiz und Verhängnis herstellt.

Elle Fanning in "Live By Night"
Elle Fanning in „Live By Night“

 

In Sofia Coppolas Thomas-Cullinan-Verfilmung Die Verführten (2017) kommt Fanning indes eine recht typische Lolita-Rolle zu: Zwar erzählt die Drehbuchautorin und Regisseurin den Southern-Gothic-Roman The Beguiled (1966) über einen schwer verwundeten Nordstaaten-Offizier, der während des Sezessionskrieges in einem abgelegenen Mädcheninternat im feindlichen Gebiet der Südstaaten landet, aus weiblicher Sicht; die von Fanning verkörperte Jugendliche Alicia bleibt jedoch die schematischste unter den zentralen Frauenfiguren. Alicia wird (immerhin) deutlich differenzierter präsentiert als ihr plump-kapriziöses Pendant in Don Siegels Bearbeitung des Stoffes Betrogen aus dem Jahre 1971 – allerdings werden der Figur auch bei Coppola noch manipulative Züge verliehen, die sich aus ihrem aufreizenden Verhalten ergeben.

Elle Fanning in "Die Verführten"
Elle Fanning in „Die Verführten“

 

Wie schon in The Neon Demon spielt Fanning ihre Rolle in Die Verführten mit einer eklatanten Abgebrühtheit, als seien die jungen Frauen, die sie bei Winding Refn und Coppola interpretiert, von sich selbst und von ihren Taten einfach nur furchtbar gelangweilt. Wenn Alicia ihren Pflichten im Garten des Hauses mit maximaler Trägheit nachgeht oder Jesse die brennende Begierde ihres Umfeldes offenbar völlig ungerührt registriert, hat dies stets etwas erschreckend Laszives. In diesen Passagen der Filme wird Fanning exakt zu dem, was Haskell in ihrem eingangs erwähnten Guardian-Artikel kritisiert: zu einer Projektionsfläche sexueller Fantasien; zu Frauen, die sowohl Gleichgültigkeit als auch Verlockung ausstrahlen. Das Publikum weiß nicht genau (und soll wohl auch gar nicht so genau wissen), was diese adoleszenten, frühreif anmutenden Figuren denken und empfinden – es soll sich aber von ihnen angezogen fühlen. Und Haskell hat recht, wenn sie schreibt, dass die Zeit solcher Figurenzeichnungen nun endlich vorüber sein müsse.

Elle Fanning in "A Rainy Day in New York"
Elle Fanning in „A Rainy Day In New York“

 

Eine weitere Arbeit Fannings, die indes eventuell nie das Licht der Leinwand erblicken und der Öffentlichkeit vielleicht sogar gänzlich vorenthalten bleiben wird, ist Woody Allens A Rainy Day in New York. Darin spielt Fanning (angeblich) eine Figur, die an einer Stelle als 15-jährige „Konkubine“ eines deutlich älteren Mannes (dargestellt von Jude Law) bezeichnet wird, während sie selbst behauptet, bereits 21 zu sein. Unabhängig davon, wie man zur Causa Allen steht, scheint auch dieser Part dem genannten Rollentypus auf ziemlich unangenehme Weise zu entsprechen.

Doch Fanning ist keineswegs die einzige Jungschauspielerin unserer Zeit, die diesen Typus augenscheinlich immer wieder bedienen muss. So hat beispielsweise die 1989 geborene Britin Imogen Poots den Sprung nach Hollywood bereits Ende der 2000er Jahre geschafft – musste dafür aber bedenklich oft das fatale Objekt der Begierde eines erheblich älteren Mannes verkörpern, etwa in Solitary Man (2009), Saiten des Lebens (2012) und Broadway Therapy (2014). Im Noir-Drama Frank & Lola (2016) von Matthew Ross, in welchem sich ein von Michael Shannon (Jahrgang 1974) gespielter Küchenmeister in eine von Poots verkörperte, geheimnisvolle Frau verliebt, gemahnt Poots’ Rollenname nicht nur an Marlene Dietrichs Part in Josef von Sternbergs Heinrich-Mann-Verfilmung Der blaue Engel (1930), die vom Absturz eines Professors durch die Liebe zu einer jüngeren Nachtclubsängerin erzählt, sondern wird durch Hinzufügung zweier Buchstaben wohl nicht zufällig auch zu Lolita.

Imogen Poots in "Broadway Therapy"
Imogen Poots in „Broadway Therapy“

 

Geht man in der Filmgeschichte noch etwas weiter zurück, finden sich etliche junge (und nachweislich gute) Schauspielerinnen, die immer wieder im Sinne dieses Typus besetzt wurden. Während sich die 1981 geborene Natalie Portman durch eine clevere, zwischen Indie- und Blockbuster-Kino changierende Rollenwahl nach ihrem Durchbruch mit Luc Bessons Léon – Der Profi (1994) davor bewahren konnte, auch weiterhin streetwise teens zu spielen, die die Zuneigung älterer Männer suchen und dabei von der Inszenierung rasch zum Fetisch gemacht werden, wurde und wird der Anfang der 1990er Jahre bekannt gewordene Ex-Kinderstar Christina Ricci (Jahrgang 1980) in ihren Rollen allzu häufig auf das Körperliche reduziert und als Frau inszeniert, die andere durch ihre äußeren Reize und durch ihre Art ins Unglück stürzt. „The Pentagon should use her hormones for chemical warfare“, heißt es in einem schalen Witz in Woody Allens Komödie Anything Else (2003), in welchem die von Ricci gespielte Amanda am Ende in den Armen eines älteren Arztes landet.

Christina Ricci in "Anything Else"
Christina Ricci in „Anything Else“

 

So vieles ist falsch und traurig und abstoßend an der Ausbeutung und Talentvergeudung von Schauspielerinnen wie Fanning oder Poots oder Ricci (oder der früh verstorbenen Brittany Murphy oder Alicia Silverstone oder Dominique Swain oder Mena Suvari oder Mia Kirshner oder Amber Heard et cetera) – aber es bleibt zu hoffen, dass diese Zeit nun tatsächlich und endgültig up ist. Und man muss ihr wahrlich nicht nachtrauern.

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