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Keine Zeit für Verletzlichkeit

Ein Beitrag von Sebastian Seidler

„Haywire“, „Anna“ und „The 355“: Der Actionfilm bekommt immer mehr Heldinnen. Oder werden die Frauen nur in männliche Rollen gesteckt? Ein Blick auf eine Veränderung.

Meinungen
Action Frauen

In The 355 schießen und prügeln sich Jessica Chastain, Diane Kruger, Penelope Cruz, Lupita Nyong’o und BingBing Fan durch eine ziemlich typische Agentengeschichte. So viel geballte Frauenpower hat es im Mainstreamkino bisher selten gegeben. Zugegeben, das Reboot von 3 Engel für Charlie hat in dieser Hinsicht auch ordentlich abgeliefert. Doch so selbstbewusst wie in The 355 ist man mit der Eroberung eines oftmals als männlich beschrieben Genres nicht gewesen. Aber handelt es sich dabei um einen feministischen Akt? Agieren die Frauen nicht eigentlich in weiterhin ziemlich männlichen Rollen?

Diese kritische Volte wird gerne geschlagen, wenn es um Actionheldinnen geht: Die Frauen mögen zwar die Hauptrolle spielen, verbleiben aber in typisch männlichen Verhaltensweisen der Dominanz. Das ist die eine Variante einer ziemlich weitverbreiteten Kritik. Ebenso kritisiert wird die oft sehr körperbetonte Kleidung der Heldinnen, womit die Figuren dem männlichen Blick angeboten, für ein männliches Publikum agieren — bei der Figur der Black Widow (gespielt von Scarlett Johansson) in den Avengers-Filmen ist das ebenso der Fall wie bei den Tomb Raider-Verfilmungen mit Angelina Jolie.

Angelina Jolie in „Tomb Raider 2“; (c) Concorde Filmverleih GmbH


Darüber, wie offen und selbstbestimmt eine weibliche Figur mit ihrer Sexualität und ihrem Körper umgehen darf, kann man lange diskutieren. Wo hört Selbstbestimmung auf und beginnt die (Selbst)Reduktion auf ein Objekt des Begehrens? Wo man im Falle von Lara Croft/Angelina Jolie auch von einem selbstbewussten Umgang mit Verführung sprechen kann, wird es im Falle von Das fünfte Element eher schwierig sein, zu begründen, warum Mila Jovovich derart unbekleidet agieren muss. Im Grunde wird man diese Frage nur am jeweiligen Film entscheiden können.

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Ob allerdings Schauspielerinnen im Actionkino in männliche Rollen gedrängt werden — das ist eine ganz andere Frage. Grundsätzlich scheint es ja zunächst eine gute Entwicklung zu sein, dass Frauen sich in solche Geschichten hineinträumen können: Wo sie lange Zeit immer nur von männlichen Helden gerettet wurden, nehmen sie die Sache selbst in die Hand. Das war bislang viel zu selten der Fall.

 

Ein Ballett der Körper

Von Sigourney Weaver in Alien (1979) über Uma Thurman in Kill Bill (2003) bis zu Saoirse Ronan in Wer ist Hanna? (2011)  — all diese Filme haben auf ihre Weise ein progressives Gegenbild zum Klischee der passiven Frau entworfen. Da musste nicht mehr auf den Retter auf dem weißen Pferd gewartet oder das BIld der Giftmörderin gespielt werden. Nein, hier wurde munter selbst zur Waffe gegriffen. Und nicht erst Charlize Theron durfte sich im körperlichen Nahkampf mit Männern anlegen. Die Hotelzimmerszene aus Steven Soderberghs Haywire ist so etwas wie der Vorläufer des knallharten Kampfes im Treppenhaus in Atomic Blonde — jeder Schlag ist unmittelbar, die Knochen brechen und die Unterschiede zwischen Mann und Frau werden eingeebnet.

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Genau das ist dann auch der springende Punkt: Frauen werden in keine männlichen Rollen gedrängt. Sie spielen vielmehr in einem Actionfilm. Wenn das Klischee der passiven Frau erstmal aufgelöst ist, geht es gar nicht mehr um Geschlechter. Bei den gelungen Filmen des Genres handelt es sich um eine Art ballistisches Ballett, bei dem Bewegung, Zerstörung und Körper ganz generell in ein ekstatisches Verhältnis gesetzt werden. Von einem streng moralischen Standpunkt aus betrachtet, sind Actionfilme ohnehin fragwürdig, und eben aus dieser fragwürdigen Freiheit schöpfen sie ihre Kino-Kraft: Es geht um Stärke und um ein Empowerment des Auges, das sich das Sehen dieser unmöglichen Szenen erlaubt, um sich an Adrenalin zu berauschen.

Natürlich gibt es Sexismus im Actionfilm. Das steht völlig außer Frage. Sobald aber Frauen den Finger am Abzug haben, ist ein wesentlicher Schritt getan. Es zeigt sich, dass Figuren im Actionfilm nicht geschlechtlich definiert sein müssen. Handelt es sich um einen gelungenen Film, löst sich das Geschlecht in der Choreographie auf: Männlichkeit oder Weiblichkeit spielen schlichtweg keine Rolle, wenn alles im Bild in Bewegung gesetzt und ein Tanz der Gewalt entfesselt wird. Die Figur vertritt, so könnte man es sagen, nach außen hin Werte und Normen und kämpft sich damit durch den Film. Daraus ergibt sich, dass man mit einer Kritik am Actionfilm nicht bei der Weiblichkeit ansetzen sollte, sondern die Körpernormen und Werten hinterfragen muss.

Scarlett Johansson in Luc Bessons „Lucy“, (c) Universal Pictures International Germany

 

Von der Verletzlichkeit

Die dabei wesentliche Kategorie, die im Actionkino der Gegenwart langsam in den Fokus zu rücken scheint, spielt sowohl für Männer als auch für Frauen in diesen Szenarien der Auseinandersetzung eine wichtige Rolle: Wie verhält sich der Actionfilm zur Verletzlichkeit? Auf den Geschlechterrollen zu beharren, einen eigensinnigen, weiblichen Actionfilm zu fordern, kann sich schnell in eine reaktionäre Verfestigung weiblicher Klischees verfangen. Verletzlichkeit aber, das ist eine universale Kategorie, über die wir den Bogen zurück zu The 355 schlagen können.

Auch wenn die Actionszenen in diesem Film nicht in jeder Hinsicht gelungen sein mögen — es fehlt der Rhythmus und die Orientierung im Raum, da die Bewegung weniger durch die Körper als vielmehr durch die Kamera erzeugt wird -, so gibt es zwischen den Schießereien und halsbrecherischen Verfolgungsjagden einzigartige Momente der Verletzlichkeit: Penelope Cruz ruft mehrmals ihre Familie an und alltägliche, ganz menschliche Dinge brechen in dieses Setting der Übertreibung. Der Körper ist nicht länger eine Maschine; der Körper hat eine Psyche, auf die sich all diese Gewalt auswirkt. Lupita Nyong’o thematisiert in einigen Szenen das Verhältnis zu ihrem Lebensgefährten, was weit über die skizzenhafte Figurenführung anderer Actionfilme hinausgeht. Da hat jemand also ein echtes Leben und nicht nur eine Waffe und einen Feind.

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Diese Diskussion um eine Veränderung im Genre ist nicht neu. Vom Actionheld á la Schwarzenegger zu Bruce Willis, von der unzerstörbaren Maschine zum gebrochenen Helden — auch darin wird Stärke und Schwäche verhandelt. Wie ganzheitlich wird der Mensch in solchen Filmen gezeigt? Haben wir es mit dem Bild einer reaktionären Unbezwingbarkeit oder auch mit einer Jederfrau, einem Jedermann zu tun?

Das Spiel mit der Verletzlichkeit ist ein ziemlich schmaler Grad, weil die Faszination dieses Genres durchaus aus einer pubertären Fantasie entspringt — die Held_Innen sollen nicht von dieser Welt sein. Oftmals bleibt der Dramaturgie dieser Filme schlichtweg keine Zeit; die Atemlosigkeit muss am Laufen gehalten werden. Andererseits öffnen sich durch mehr Diversität und Emotionen ganz neue Geschichten, von denen es bislang zu wenig gegeben hat. Außerdem gibt es noch einen anderen Weg, die Verletzlichkeit zumindest im Ansatz ins Spiel zu bringen.

Verletzlichkeit ist etwas, dass uns alle verbindet: Alleine ist jeder gefährdet. Bei der Mission Impossible-Reihe wird, trotz des großen Starkults um Tom Cruise, immer schon ein großer Wert auf das Team gelegt. Darin könnte man noch weiter gehen. The 355 tut das: Die Handlungsfähigkeit jeder Figur ist immer eine geteilte. Und vielleicht verweist das Ende von Keine Zeit zu Sterben in der Tat auf einen ganz großen Umbruch: So verletzlich durfte sich James Bond bislang jedenfalls nie zeigen. Es ist also gar nicht so einfach mit dem Actionfilm und seinen Regeln.

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