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Darling der Woche

Kino als Kaminfeuer: Was sind „warme" Filme?

Trotz seines winterlichen Settings ist „The Holdovers“ ein Film, bei dem vielen warm ums Herz wird. Aber was verstehen wir eigentlich unter „warmem“ Kino? Eine synästhetische Liste gegen die Minusgrade.

Meinungen
Kino als Kaminfeuer

Im Sauseschritt ins Dünenbett

Es gibt Filme, die fühlen sich an, als würde ihre Welt einfach in Echtzeit vor einem passieren. Als könnte man mit den Figuren rumhängen, in den Filmen wohnen. Die sich nicht zu sehr um einen ökonomisch erzählten Plot geschweige denn Konflikte kümmern, sondern lieber in langen Szenen ein Lebensgefühl einfangen. Das kann melancholisch und tiefsinnig sein, wie etwa letztes Jahr in Mikhaël Hers’ schlafloser Parisballade Passagiere der Nacht. In jedem Fall tritt die rhythmische Funktion von Schnitt und Bildkomposition in solchen Filmen in den Vordergrund, und oft wird mit Popmusik gearbeitet. Und manchmal taucht solches Kino auch in Subgenres auf, in denen man es nicht erwartet hat. Wir können die „Wärme“ nämlich noch wörtlicher nehmen, wenn wir uns ins Feld der Achtzigerjahre-Sexkomödien begeben, die oftmals am Strand spielen und Freude an knapper Bademode haben. Ausgerechnet Sean S. Cunningham, Regisseur des Horrorklassikers Freitag, der 13., hat einen Beitrag gedreht, der am charmanteren Ende des Spektrums der Teenieklamotten anzusiedeln ist, mit dem wunderbar doofen deutschen Verleihtitel Im Sauseschritt ins Dünenbett.

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Ich gebe es zu: B-Filme, Rip-offs und Sexklamotten sind ohnehin mein cineastischer Wohlfühl- und Rückzugsbereich. Und billiges Kino kann warm sein – gerade im Bereich der sommerlichen Sexklamotte. Auch der deutsche Schlagerfilm Sunshine Reggae auf Ibiza etwa, beim Großteil der Filmkritik selbstverständlich geächtet, wirft seine Handlung bald über Bord und wird zu einer Fiebertraum-artigen Inselparty mit unzähligen Nebenplots und -charakteren, die man einfach über sich ergehen lassen muss wie eine warme Welle. Im Sauseschritt ins Dünenbett (eigentlich: „Spring Break“) hat quasi das US-Pendant einer Mittelmeerinsel zum Setting: Fort Lauderdale, Florida, jährlicher Wallfahrtsort durstiger junger Menschen in ihren Frühlingsferien. Auch hier ist der Plot nebensächlich, aber charmant: Eine Jugendherberge muss vor einem kapitalistischen Investor gerettet werden, ein junger Mann sich von seinem spaßfeindlichen Vater emanzipieren. Vor allem aber zeigen ausufernde Szenen die Feierlichkeiten, von Bauchklatscher- zu Bikiniwettbewerben. Dazu läuft oftmals in voller Länge ausgespielter Achtzigerjahre-Arenarock, und natürlich gibt es viele Nahaufnahmen der Bikiniober- und -unterteile. Allerdings nehmen in einer Szene auch männliche Figuren an einem Wet-T-Shirt-Contest teil, was der Film erfreulicherweise nicht als Gag inszeniert, sondern als ziemlich heiße Stripnummer – wenn einem da nicht warm wird. Mit dem richtigen Filmprogramm kommt der Frühling dieses Jahr früher.

Mathis Raabe

Kikis kleiner Lieferservice

Bei uns zu Hause gibt es eine ungeschriebene Regel: Wird nicht gerade eine Serie geschaut, wird die Seele am Sonntagmorgen oder einem verregnetem/kalten Wochenendnachmittag mit einem Animationsfilm gewärmt. Ich weiß, reichlich unspektakulär, vielleicht sogar einfallslos, dieser nostalgische Eskapismus in glückliche Kindheitserinnerungen — allerdings haben wir viele unserer ewigen Lieblinge auch erst im Erwachsenenalter entdeckt. Die ersten beiden Teile von Drachenzähmen leicht gemacht beispielsweise, den traumhaft schönen Wolfwalkers oder die zückersüßen Winzlinge-Filme. Allem voran aber die Animes von Studio Ghibli, unter denen sich gleich eine ganze Handvoll solcher Seelenwärmer findet.

Wo fängt man da an? Vielleicht bei Mein Nachbar Totoro und Ponyo. Und wo hört man auf? Bei Kikis kleiner Lieferservice. Ein Titel wie von einer 90er-Jahre-Vormittags-Cartoonserie für die ganz Kleinen, und auch der Plot klingt zunächst so: Eine Hexe in Ausbildung verlässt, so will es die Tradition, ihre Familie für eine Art Auswärtssemester und muss sich dabei selbst ihre Profession, ihre Spezialisierung suchen. Doch nichts will so wirklich klappen — bis Kiki merkt, dass ihre Stärke nicht im Brauen von Tränken oder Verzaubern von Dingen, sondern im Fliegen ihres Besens liegt. Also wird der titelgebende Lieferservice gegründet.

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Das ist Wohlfühlkino par excellence: ein seichter unterschwelliger Konflikt, eine Sinn- und Selbstsuche, doch über all dem ganz viel Freundschaft und Support von anderen, ehrliche, lebensbejahende Positivität, sympathisch-düdelige Ohrwurmmusik und natürlich auch eine (wie immer bei Ghibli) zuckersüße Katze. Man muss schon wirklich aktiv dagegen ankämpfen, um nach diesem Film nicht mit einem freudestrahlenden Lächeln dazusitzen.

Christian Neffe

(M)Eine Superheldin

Dramatische Entscheidungen, emotionale Entwicklungen, harte (innere) Kämpfe, folgenreiche Zeitreisen, Körpertausch, übernatürliche Wesen – das „MCU“ hat all das zu bieten. Und mit „MCU“ meine ich selbstverständlich das „Meg (Ryan) Cinematic Universe“ – was denn auch bitteschön sonst? Wenn es mir schlecht geht, weiß ich, was mich verlässlich aufmuntern wird: schlaflos-verhexte E-Mails von Kate und Sally mit Küssen aus der Stadt der Liebe. Oder anders formuliert: das romantische Œuvre eines der größten Stars der späten 1980er bis frühen 2000er Jahre.

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Angefangen mit Harry und Sally (1989), der bis heute scharfsinnigsten und schönsten RomCom, über Bodyswitch – Verhexte Küsse (1992), Schlaflos in Seattle (1993), I.Q. – Liebe ist relativ (1994), French Kiss (1995) und Stadt der Engel (1998) bis hin zu e-m@il für Dich (1998) und Kate & Leopold (2001). Zur Frage, ob Joe gegen den Vulkan (1990), In Sachen Liebe (1997) und Aufgelegt! (2000) Teil des „MCU“ -Kanons sind, wird noch eifrig geforscht; mein Deep-Dive-Essay mit ausführlicher Pro- und Contra-Liste ist bereits in Arbeit.

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Natürlich müssen diese Filme aus heutiger Sicht mit kritischem Auge gesehen werden. Sie sind sehr weiß und heteronormativ; ihr Geschlechterbild ist veraltet. Die Dialoge haben indes nichts an Schwung verloren, das Schauspiel ist nach wie vor makellos. Ich könnte mir zehnmal hintereinander ansehen, wie Ryan in Harry und Sally mit Papiertaschentüchern um sich wirft, während sie in ihrem Schlafzimmer über ihren Liebeskummer monologisiert. Oder wie sie in Stadt der Engel den Geschmack einer Birne zu beschreiben versucht.

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Mit What Happens Later kehrt Ryan in diesem Jahr endlich, endlich, endlich zurück auf die Kinoleinwand; das „MCU“ wird weitergesponnen – sogar mit ihr selbst auf dem Regiestuhl. Der Film erzählt von einem (Ex-)Paar an einem eingeschneiten Flughafen. Der (deutsche) Start im Mai mag bei diesem winterlichen Thema verwundern. Ich fühle mich indes absolut verstanden. Im Frühling, wenn es hell und (vermeintlich) freundlich wird und alle plötzlich furchtbar gut gelaunt sind, brauche ich solche Filme noch dringlicher als in der dunklen Jahreszeit, in der es gesellschaftlich deutlich akzeptierter ist, sich einfach mal zurückzuziehen. Danke, Meg, always & forever!

Andreas Köhnemann

Ein dunkler, aber warmer Ort

Okay, ich schummle ein wenig. Twin Peaks ist in erster Linie eine Serie. Es gibt den Film, das stimmt. Aber der ist deutlich unangenehmer (und das meine ich nicht negativ) als die Serie. Vor allem die erste Staffel. Wer sich jetzt wundert: Auch wenn es um Mord und Dämonen und allerlei dunkle Mächte geht, gibt es für mich kaum eine wärmendere Sache als David Lynchs absurd-geniale Serie über die Abgründe einer Kleinstadt. Das hat vor allem damit zu tun, dass jeder Charakter so liebevoll gestaltet ist, der Kaffee lecker und der Kirschkuchen mit Liebe gebacken. Die kindliche Naivität, mit der Agent Dale Cooper (Kyle Maclachlan) durch diese Welt stolpert und sich darin verirrt, ist von hinreißender Zugewandtheit. Die freundschaftliche Stimmung auf dem Polizeirevier erwischt mich jedes Mal. Ach, was sage ich: Es genügen die ersten Takte der Titelmelodie von Angelo Badalamenti und ich fühle mich Zuhause. 

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Twin Peaks ist in dieser Hinsicht der Goldstandard: Wie es gelingt, eine glaubhafte Welt aufzubauen, die wirklich und echt bewohnbar wirkt, obwohl so viel absurde Dinge passieren. Aber wenn wir mit offenen Augen durch unseren Alltag gehen, dann sehen wir doch wahrlich genug Charaktere, die straight outta Twin Peaks kommen könnten. Sind wir nicht alle ein wenig Cooper?

Sebastian Seidler

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