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Mut zur Lücke: Taxi Driver

Ein Beitrag von Fionn Birr

Der Kanon ist ein lähmender Imperativ. Eigentlich sollte man alles gesehen haben, die gesamte Filmgeschichte. Hat man aber nicht. In dieser Reihe schreiben unsere Autor*innen über eben jene Lücken, über die man sonst gerne schweigt. Diesmal: „Taxi Driver“. Wie, den hat Fionn Birr noch nicht gesehen?

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Robert De Niro in Taxi Driver

### Vor dem Film ###

Es muss Anfang der 2000er gewesen, als Robert De Niro das erste Mal oberkörperfrei mit Pistole an mir vorbeizielte. Damals hatte der Bremer Plattenladen Go Bäng! in seinem Geschäft in der Knochenhauerstraße noch eine große Posterauswahl im Erdgeschoss und natürlich waren neben den üblichen DIN-A1-Identifikationsflächen dieser Zeit wie Kurt Cobain, 2Pac oder dem Eiskalte Engel-Filmplakat auch ein paar Motive aus dem Film Taxi Driver dort zu erwerben. Ich war ungefähr 16 und eigentlich immer wegen HipHop unterwegs. Bei Go Bäng! habe ich mir dementsprechend kein Taxi Driver-Poster gekauft, auch wenn das ein schöner Anfang für diese Geschichte gewesen wäre. Mein bester Freund (ein ausgewiesener Filmliebhaber, der seine Kindheit noch mehr als ich vor dem Fernseher verbracht hatte) erklärte mir damals, dass das ein guter und vor allem wichtiger Film für das US-Kino sei, und dass es irgendwie auch um Vietnam geht. Beides konnte ferner nicht sein in einem Bremer Laden für, nun ja, Alternativbedarfsgüter anno 2002. Weder die Bedeutung für De Niros Karriere (na gut, den kannte ich immerhin) noch Namen wie Martin Scorsese oder Paul Schrader hätte ich seinerzeit besser einordnen können als „schon mal gehört“. Von Jodie Foster ganz zu, äh, schweigen. (Erst im Zuge der #MeToo-Bewegung habe ich erfahren, dass Jodie Foster beim Dreh von Taxi Driver erst 12 Jahre alt war, was nicht unbedingt ein motivierender Faktor war, diese angebliche Kino-Wissenslücke zu füllen.)

"Alternativbedarfsallerlei im Bremer Plattenladen Go Bäng!"
Alternativbedarfsallerlei im Bremer Plattenladen „Go Bäng!“

Taxi Driver begegnete mir über die nächsten zehn Jahre trotzdem recht oft, vor allem im besagten HipHop-Kontext, nämlich durch Zitate (zum Beispiel der „All animals come out at night“-Monolog) oder auch Samples, Verweise in anderen Filmen und Rap-Texten („You talkin‘ to me?“), und natürlich durch Bernard Hermanns Soundtrack. Anhand der Musik, einzelner Szenen und der Poster von Taxi Driver, die zwar nicht so oft wie Pulp Fiction-Plakate, aber doch recht regelmäßig in WG-Zimmern von selbsternannten Cineasten hingen, wusste ich immerhin, dass der Film in New York spielen musste. All diesen Indizien auf ein immerhin für 16-jährige HipHopper halbwegs cooles Filmerlebnis zum Trotz habe ich Taxi Driver erst auf meine innere „To Watch“-Liste geschrieben, als ich mit Anfang 20 begann, viele Filmklassiker im Internet auf (selbstverständlich legalen) Streamingplattformen nachzuholen. Da blieb er allerdings bis heute stehen, vielleicht auch, weil es sich so nach Pflichtlektüre angefühlt hat.

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Vielleicht liegt es auch daran, dass ich ein impulsiver Zuschauer bin. Vor allem seit dem Streaming-Zeitalter möchte ich abends oft in erster Linie unterhalten werden. Das mag manche Auskenner stören, ist aber nun mal eine Rezeptionsentwicklung, ähnlich wie beim heutigen Begleitmedium Radio oder dem Dauerkonsumgut Musik. Der oft verteufelte Second Screen gehört für mich zum modernen Filmgucken dazu. Diese Gewohnheiten lassen mich aber auch befürchten, die Struktur und Erzählweise von Taxi Driver könnte mir viel Geduld abverlangen. Beim bisher einzigen Versuch, diesen heute fast 50 Jahre alten angeblichen „Must-Watch“ zu schauen bin ich in den ersten zehn Minuten eingeschlafen und habe danach beschlossen, mich vom Diktat meines eigenen (oder fremdbestimmten?) Komplettisten zu befreien. Filme sollten sich nicht wie Punkte auf To-Do-Listen anfühlen. So stehe ich also bis heute im Tal der Ahnungslosen, wenn es um Taxi Driver geht. Jetzt ist aber Netflix angeworfen und ich habe mir nach Jahren sogar mal wieder Popcorn gemacht. Das Allerbeste ist aber: Ich habe keinen blassen Schimmer, was mich erwartet.

 

### Nach dem Film ###

Nach etwa 70 Minuten, Taxi Driver ist ungefähr bei der Hälfte seiner Spielzeit angekommen, fällt mir das Buch Berlin Alexanderplatz von Alfred Döblin ein, und dass Robert De Niros Rolle des Travis Bickle in ihrer Orientierungs- und Rastlosigkeit viel Ähnlichkeit mit Döblins Figur des Franz Biberkof hat. Beide irren durch die Straßen einer hektischen Metropole, gehen aussichtslose Beziehungen mit Sexarbeiterinnen ein und verlieren im weiteren Verlauf der Geschichte zunehmend den Bezug zu sich und ihrer Umgebung. Taxi Driver ist ein Großstadtroman und ich bin zu diesem Zeitpunkt des Films schon völlig versunken im Moloch aus dampfenden Gullideckeln zwischen Bronx, Queens und Brooklyn.

New York als Moloch hinter der Taxischeibe 

Überraschend ist, wie leise und feinfühlig dieses Porträt über eine Radikalisierung im Verborgenen erzählt wird. Obwohl die Kulisse allein schon schonungslos ist, denn das New York der Siebziger war ein Heroin- und Crack-geplagter Alptraum von american dream. Hier heuert der Protagonist Travis, vorgeblicher Vietnamveteran mit Schlafstörungen, bei einem Taxiunternehmen an und fährt im Film fortan durchs nächtliche Großstadtrevier. Zu einem Großteil führt er als Einzelgänger mit Monologen aus seinem Tagebuch durch den Film und beschreibt die Umstände, in die er geraten ist. Zuweilen erinnert diese Art des Storytellings an Selbstgespräche eines benommenen Suchtkranken oder eines unsicheren Schuljungen, irgendwann auch an einen abgeklärten Dorfsheriff auf Patrouillengang. Travis begegnen diverse Figuren der Unterwelt auf seinen Fahrten, die sich wahrlich psychologisch, politisch, aber auch biblisch interpretieren ließen. 

Die Filmgeschichte hat mittlerweile Außenseiter hervorgebracht, die effekthascherischer und schockierender gezeichnet sind als Travis Bickle (z.B. Joker, The Machinist) oder als Jodie Fosters Iris (z.B. Léon – Der Profi, Drive). Taxi Driver dagegen ist intim, langsam und fast behutsam und was das Ensemble und allen voran Robert De Niro leisten, ist auch heute bis zur Schlussszene mitreißend. Natürlich sind es die bereits erwähnten Szenen, etwa vor dem Spiegel, die mir besonders viel emotionale Verbindung ermöglichen. Aber auf den eingangs erwähnten Second Screen hab ich nur einmal geguckt – als in der Unterhaltung zwischen Iris und Travis im Diner sein Motiv für das kommende Attentat endgültig ausformuliert wird.

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Es ist schwer, diesen Film einzuordnen, da er Elemente von Film Noir, Western, aber auch Horror in sich trägt. Klassisch postmodern widmet er sich Ambivalenzen, indem er sich einerseits dem Voyeurismus aus Ekel hingibt, gleichzeitig aber erzählerische Distanz zum Abgrund wahrt. Bis auf die Finalszene bleiben der Film und seine Bilder eher andeutend als radikal, was heute im Vergleich zu manchem Schocker eine gewisse Eleganz ausstrahlt. Wichtig ist das, was nicht gezeigt wird, oder so ähnlich. Das macht es auch so leicht, sich mit Travis zu identifizieren. Bis zum Schluss, dem unausweichlichen Rachefeldzug in Form eines Amoklaufs, wird nicht ganz klar, ob er ein narzisstischer Hochstapler, ein traumatisierter Ex-Soldat oder bloß das typische „arme Schwein“ vom Bodensatz des Kapitalismus ist. Wahrscheinlich ist er alles gleichzeitig. 

Gedankenexperiment: Eine Neuauflage von Taxi Driver würde die dargestellten Extreme (wie etwa die Ghettokids, die Travis‘ Taxi mit Flaschen bewerfen, oder das groteske Date im Pornokino) vermutlich viel abscheulicher visualisieren und den schummerigen Jazz-Soundtrack durch HipHop- und Drum&Bass-Beats austauschen. Dann wäre der Film aber mehr Klischee als Kunstwerk. Das heißt nicht, dass der echte Taxi Driver altbacken ist, allerdings ist er für das Zeitalter nach Noé, von Trier und anderen Grenzüberschreitern eher in der Reflexion verstörend als unmittelbar durch seine Bilder – etwa als Travis eine traurige Alkoholiker-Mahlzeit aus Toastbrotstücken, Milch und Schnaps zu sich nimmt. Erstaunlich ist auch, wie nahe sich das Psychogramm der Figur Travis an den Dynamiken und Entwicklungen heutiger Phänomene wie Social-Media-Radikalisierung oder verschwörungserzählerischer Selbstjustiz bewegt und damit absolut zeitgemäß geblieben ist. Vor allem aber liegt eine tückische Stille, ein bleierner Schleier in dieser Story. Auch Tage später hallen einzelne Sequenzen noch in mir nach. Endlich, ich habe Taxi Driver gesehen – und ein Re-Watch ist jetzt schon unausweichlich.

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