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... und das Kino denkt sich selbst (VII): Gegenblicke

Ein Beitrag von Sebastian Seidler

Siebter Teil unserer Jahresserie Korpus Kino: Wir gehen der Frage nach, was Kino überhaupt ist. In diesem Fall: Was tut das Kino, wenn es uns anblickt? Was ist das, was man den Gegenblick nennen könnte?

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Blick
... und das Kino blickt zurück

Das Durchbrechen der vierten Wand ist doch eigentlich auch ein alter Hut, oder? Das möchte man zumindest meinen. Der Moment, in dem sich eine Filmfigur in die Kamera und direkt an das Publikum wendet, gehört mittlerweile zum festen Werkzeugkasten der Filmkunst und ist beinahe zu etwas wie einem Gimmick verkommen. Man denke nur an den Einsatz der Technik in der erfolgreichen Serie „House of Cards“, in der sich die Hauptfigur Francis Underwood (Kevin Spacey) mehrfach an das Publikum wendet, es in seine bösartig-zynischen Gedanken einweiht: Spätestens da war der Bruch mit der vierten Wand im Mainstream fest verankert.

Aber kommen wir zurück zum Kino.

Der Effekt dieser Technik aber lässt sich nicht abstrakt festmachen, sondern muss in jeder Szene erneut untersucht werden. Die Frage aber lässt sich stellen: Was macht das Kino eigentlich in jenem Moment, wo es sich scheinbar nicht auf sich selbst bezieht, sondern das Publikum einbindet? Und bezieht es sich nicht in jenem Moment doch auf sich selbst, weil es im Grunde genommen ein unmöglicher Akt ist, der jeweils eingeplant ist? Es folgen drei Szenen, in denen man dieser Frage nachgehen kann. 

1. Berührung

Man kann das Genie Buster Keatons eigentlich gar nicht zu hoch hängen: Mit seinem Köprerkino hat der Amerikaner das Kino revolutioniert. Dabei war er immer experimentierfreudig, nicht nur in seinen abenteuerlichen Stunts. Im Film One Week gibt es eine viel zitierte Szene, in der die Schauspielerin Sybil Seely in der Badewanne sitzt. Dabei fällt ihr das Seifenstück auf den Boden. Bevor sie aufsteht und damit für das Publikum nackt zu sehen sein würde, lächelt sie kokett in die Kamera; eine Hand schiebt sich von rechts ins Bild und verdeckt uns die Sicht. Das ist natürlich ein großartiger Gag, wenngleich von ungemeiner Komplexität. Was passiert in dem Moment, wo der Blick von unserem Blick erblickt wird? Welche Sicht wird uns eigentlich verwehrt?

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Wenig überraschend: Der Male Gaze, der männliche Blick, der die nackte Frau aus der Wanne steigen sehen will, wird auf sich selbst zurückgebogen. Man kann sich schon dabei ertappt fühlen. Nicht, dass es schändlich wäre, nackte Körper zu begehren. Die mediale Vermittlung aber ist mindestens problematisch. Nichts daran ist selbstverständlich. Die Szene reflektiert also den Blick, der sich selbst erblickt und lässt den Kinosaal als sozialen Raum erscheinen.

Paradoxerweise, wird eine frivole Erotik überhaupt erst durch diesen Moment der verspielten „Zensur“ ermöglicht, die wesentlich mehr mit Körperlichkeit zu tun hat, als wir auf den ersten Blick denken würden. Denn im Entzug des Anderen, entsteht überhaupt erst eine Sehnsucht, in der wir die andere Person als Subjekt anerkennen können. Niemand wird den Körper eines Liebhabers oder einer Liebhaberin wie unter dem kühlen Blick der Kamera betrachten: Körper ist immer Berührung und hier berührt Keaton unseren Blick.  

2. Komplizenschaft

Es ist eine ikonische Szene der Filmgeschichte: Wenn Michael Haneke in Funny Games den Killer nach der Fernbedienung greifen lässt, um die gerade abgelaufene Szene zurückzuspulen, um den Tod seines Freundes zu verhindern – dann war das 1997 durchaus ein Wagnis, aber alles in allem natürlich vollkommen kalkuliert. Häufig wird hier von einem Gefühl der Ohnmacht gesprochen, mit dem das Publikum konfrontiert wird. Im Grunde aber ist dies hier die beste Szene, um die Zerstörung der Illusion des Kinos zu illustrieren.

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Eine Filmfigur, die in einem Thriller die Handlung verändert, legt die Manipulation offen, die das Kino immer ist. Entgegen der berühmten Losung Godards, das Kino sei Wahrheit 24 pro Sekunde, gab Haneke zu Protokoll: „Film ist 24-mal Lüge pro Sekunde, aber vielleicht im Dienste der Wahrheit.“ Die Wahrheit ist in diesem Fall die Freude an der Gewalt und sei es nur, weil sich eine Genugtuung beim Tod des Täters einstellt. Für den Moralisten Hanke alles blindes Entertainment.

Doch ist das gar nicht der spannendste Moment des Films. Ziemlich früh in der Handlung dreht sich einer der Killer zum Publikum und zwinkert diesem zu. Wesentlich subtiler als die Szene mit der Fernbedienung, stößt uns Haneke hier in eine Distanz, die gleichsam das Problem der moralischen Verortung überhaupt erst möglich macht. 

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Wir sind auf einer ganz existenziellen Ebene immer Komplizen des Films. Wir fügen die Bilder zu dieser Illusion zusammen, docken emotional an. Ob wir nun vollends absorbiert werden, oder die Kunst erst in der Reflexion entsteht – darüber toben in der Filmwissenschaft wahre Grabenkämpfe. Fakt ist, dass wir immer Teil dieser Bilder sind und Haneke dies auf perfide Art und Weise ausnutzt. 

3. Widerständigkeit

Cassie (Carey Mulligan) liegt im Bett. Ein Typ macht sich an ihr zu schaffen. Er (und wir, das Publikum) sollen glauben, dass sie sturzbetrunken ist. Die Kamera filmt von oben herab — aerial view. Der Mann macht sich an ihrem Rock zu schaffen. Zunächst stammelt Cassie, lallt: Was machst du da? Plötzlich dieser Blick in die Kamera und ein Lächeln auf den Lippen: Da hab ich euch! Nun, völlig nüchtern, im scharfen Tonfall: I said, what are you doing.

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Diese Szene sitzt. Sie ist ein Schlag, ein Gegenblick. Das Subversive daran: Regisseurin Emerald Fennell ist sich bewusst, dass sie nicht wenige Männer im Publikum ertappen wird. All jene, die sich der Fantasie der Kontrolle hingegeben haben und die kritische Situation einer Frau mit ihren Augen ausgenutzt haben, werden regelrecht gepackt. Es ist bis heute ein Rätsel, warum dieser feministische Geniestreich nicht deutlich mehr Anerkennung bekommen hat. Vielleicht war Promising Young Woman doch zu unangenehm, wie er auf der Formebene mit dem Male Gaze spielt, ihn umwendet und ganz und gar widerständig verdreht: Cassie starrt uns an und fragt mit jeder Adressierung, warum wir so wenig unternehmen. Bis die Rache zu einem Gespenst wird.

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Das Kino ist also nicht einfach eine Maschine der Repräsentation. Das Kino kann sich selbst infrage stellen und mächtige Blicke umwenden. Was Subjekt und Objekt ist, kann jeden Moment kippen. Anders als bei Funny Games, stellt sich bei Promising Young Woman keine Distanz ein, die erst danach in eine schmerzhafte Intimität umgewandelt werden muss. Nein – dieser Film rückt einem ganz nah auf die Pelle.     

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