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Carey Mulligan hat eine Mission on Emerald Fennells bitterbösem Promising Young Woman“ – aber ist der Film am Ende mehr als ein weiterer Rape-Revenge-Thriller?

Promising Young Woman (2020)

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Die ultimative Rache

Schon die ersten Bilder von Promising Young Woman“ machen klar, dass dieser Film anders ist: Die Kamera zeigt tanzende Körper, Hintern, Schenkel, zeigt Hüftschwingen, angedeutete Kopulationsbewegungen – aber die Körper gehören zu Männern. Mit diesem simplen Trick ist er schon entlarvt, der male gaze der Kamera, der gerne als „objektiv“ wahrgenommen wird, jedoch tatsächlich gerade Frauen oft zum Objekt werden lässt. Hier aber sind es Männer, die zum Objekt werden – und dieser Trick, den Schauenden die eigenen Sehgewohnheiten vorzuführen, wird Emerald Fenells Film im Folgenden immer wieder anwenden. Er ist das Grundprinzip dieses Films, der deshalb auch beim ersten Sehen am entlarvendsten ist, wenn man möglichst wenig über die Handlung im Vorfeld weiß. Da es aber nicht möglich ist, über diesen Film zu schreiben, ohne Handlungselemente zu benennen, folgt hier ausnahmsweise der Hinweis, dass die folgende Kritik Spoiler beinhaltet.

Dieser Blick der Kamera hat einen Grund. Denn auf Männer hat es Cassie (Carey Mulligan) abgesehen – nicht auf einen bestimmten Mann, sondern auf einen bestimmten Typus: den netten Kerl. Ein solches Exemplar ist es nun auch, das sich aus der Unterhaltung mit seinen offensichtlich chauvinistischen Kollegen löst, um die scheinbar sturzbetrunkene junge Frau zu fragen, ob er ihr helfen könne. Aber er ruft ihr nicht einfach ein Taxi, sondern nimmt sie mit in seine Wohnung. Dort gibt er ihr noch mehr Alkohol und will sie penetrieren, obwohl sie offensichtlich so betrunken ist, dass sie keine Zustimmung mehr geben kann. Allerdings ist Cassie nicht betrunken. Sie tut nur so – und dann, ja, wenn sie feststellen, dass sie doch nüchtern ist, dann sind diese netten Kerle doch sehr erschrocken.

Regelmäßig zieht Cassie los, um ihre private Rache zu üben. Ihr Medizinstudium hat sie abgebrochen, sie lebt wieder bei ihren Eltern und arbeitet in einem Coffee-Shop. Vor allem aber vermisst sie ihre Kindheitsfreundin Nina, die auch der Grund ist, warum sie tut, was sie tut. An Beziehungen ist sie nicht interessiert, sie hält die Menschen auf Distanz. Dann taucht Ryan (Bo Burnham) auf. Er hat mit ihr studiert, war immer ein bisschen verknallt in sie und ist so harmlos, so sympathisch, nett und witzig, dass sie seinem Werben nicht widerstehen kann. Aber Ryan hat auch noch Kontakt zu den alten Mitstudent*innen, die mittlerweile alle erfolgreiche Leben haben. Und an manche von ihnen hätte Cassie lieber nicht mehr gedacht.

Drehbuchautorin und Regisseurin Emerald Fenell spielt in ihrem Film geschickt mit visuellen Stereotypen – sei es am Anfang oder später die zuckersüße, leicht pinkige Ausstattung in dem Café und bei Cassies Kleidung. Sie nimmt das Girlige, das Niedliche als Kontrapunkt zu Cassies Verhalten, deutet immer wieder auch mehr Gewalt an als tatsächlich stattgefunden hat. Das ist ein gutes Spiel mit den Erwartungen der Zuschauer*innen, das einem vor Augen führt, was man mittlerweile so gewohnt ist. Das aber auch Grenzen austestet, weil man sich unweigerlich fragt, wie weit Cassie gehen wird – und ob sie zu weit geht.

Bei ihren Rachefeldzüge arbeitet sich Cassie – wie der Film in seiner Inszenierung insgesamt – vor allem an Stereotypen ab: Schon die „netten Jungs“, die sie aussucht, lassen sich Typen zuordnen. Dazu kommt die Verantwortliche, die lieber College-Jungs schützt als College-Mädchen zu glauben; das andere Mädchen, das lieber der Betrunkenen die Schuld gibt; der Anwalt, der das Opfer unter Druck setzt. Jedoch trifft Fennell mit diesen vermeintlichen Klischees einen Kern: Ausreichend Berichte insbesondere von sexualisierter Gewalt auf College-Campussen weisen in genau diese Richtung. Dort liegt das Problem.

Für Cassie jedoch gibt es aus dieser Rache keinen Ausweg, wenngleich er sich kurz einmal andeutet. Sie ist nicht das direkte Opfer sexualisierter Gewalt, ihre Freundin ist es, die vergewaltigt wurde. Aber sie musste seither nicht nur miterleben, welche Folgen die Gewalt hatte, sondern wie wenig sich das System für die Opfer interessiert. Deshalb gibt es letztlich keine zufriedenstellende Gerechtigkeit – nicht in der patriarchalen Gesellschaft, in der wir leben. Insbesondere das vieldiskutierte Ende macht das mehr als deutlich – es ist nihilistisch und zutiefst herzzerbrechend. In diesem tieftraurigen letzten Twist steckt die bittere Gewissheit, dass Polizei und Strafverfolgungsbehörden eine erschreckende Statistik bei sexualisierten Gewaltverbrechen haben. Aber Mord ist etwas anderes, eine Tote ist etwas anderes – insbesondere wenn sie jung und weiß ist. Und ein ehemaliger Anwalt mit schlechtem Gewissen die Gelegenheit bekommt, etwas gut zu machen.

Dieses Ende funktioniert innerhalb des Films, dem in der bisherigen Rezeption allerhand zugeschrieben wurde und der durch die Preise und Nominierungen viel Aufmerksamkeit bekommen wurde. Promising Young Woman ist ein bitterböser Film über eine Frau, die sich rächt. Aber er erfindet nicht das Rape-Revenge-Movie-Schema neu, er ist schon gar keine radikale feministische Umdeutung. Vielmehr macht er deutlich, dass über dieses Subgenre an sich geredet werden sollte, über den Umgang mit Vergewaltigung als Handlungsmovens, über die Konzentration auf Rache als einzig möglicher Umgang mit Trauma. Und nicht zuletzt auch darüber, warum Trauma allzu oft dazu dient, dem Publikum etwas zu erklären. Promising Young Woman könnte der Film sein, der genau diese Unterhaltungen anregt.

Promising Young Woman (2020)

Cassie, eine vielversprechende junge Frau, die durch einen Vorfall in ihrer Vergangenheit traumatisiert wurde, zieht sich in der Folge zurück, lebt wieder bei ihren Eltern und lässt alle Ambitionen fallen. Nachts aber führt sie ein Doppelleben und sinnt auf Rache für das, was ihr angetan wurde.

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Meinungen

Del Barba · 21.02.2021

Ein Film, der sich inhaltlich mit dem Wegschauen auseinandersetzt und dabei bei den ZuschauerInnen, die sich in den Tätern oder den Opfern wiedererkennen gleichermaßen den Wunsch zum Wegschauen auslösen kann. Auf diese Weise macht er auf geniale Weise seine Handlung erfahrbar. Trotz einiger Schwächen beim formalen Handlungsablauf, behält der Film, vor allem durch die gelungene Darstellung der Protagonisten seine Glaubwürdigkeit.