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„Irgendwo muss es eine Grenze geben“ - Die Mauerfilme der DEFA

Ein Beitrag von Katrin Doerksen

Nur drei Spielfilme wurden von der DEFA produziert, die sich konkret mit dem Bau der Berliner Mauer auseinandersetzten. Mit welchen Mitteln arbeiteten diese Filme?

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Armin Mueller-Stahl singt in "...und deine Liebe auch"
Armin Mueller-Stahl singt in "...und deine Liebe auch"

„Der Wind auf der Warschauer Brücke / das Licht und der weiße Rauch / weißt du, die brauch ich zum Leben / und deine Liebe auch“ singt Armin Mueller-Stahl in „…und deine Liebe auch“ und spielt dazu auf der Gitarre, während die Kamera durch den Berliner Volkspark am Weinbergsweg streift, am Heinrich-Heine-Denkmal vorbei, durch die Straßen von Mitte und Prenzlauer Berg bis in den Friedrichshain zur Warschauer Brücke, an deren U-Bahnstation am 13. August 1961 ein Aushang prangt: Die Grenzen sind zu. Eine Mauer trennt von nun an die DDR vom Rest Deutschlands, Ost- von Westberlin.

…und deine Liebe auch war die erste von erstaunlich wenigen DEFA-Produktionen, die sich mit dem Mauerbau beschäftigten. Ein derart folgenschweres, die weltpolitische Lage verschärfendes Ereignis müsste die Filmemacher sondergleichen inspirieren, könnte man meinen. Doch nur drei Spielfilme entstanden in den frühen 1960er Jahren, die den Mauerbau konkret thematisierten: Frank Vogels …und deine Liebe auch feierte seine Premiere am 27. September 1962, das Drama Der Kinnhaken mit Manfred Krug am 29. November 1962 im Berliner Filmtheater Kosmos und die Komödie Sonntagsfahrer folgte am 30. August 1963 im Kino Babylon. Etwas schneller waren freilich die Dokumentarfilmer, die auf bereits existierendes Material zurückgreifen konnten.

 

Pflichtprogramm

So präsentierte Karl Gass zum ersten Jahrestag des Baus der Berliner Mauer seinen Film Schaut auf diese Stadt, der die berühmte Rede des Westberliner Oberbürgermeisters Ernst Reuter polemisch gegen den Westen wandte. Mithilfe von Archivmaterial erzählt der Film die Geschichte Berlins seit Kriegsende nach, dazu schallt aus dem Off der agitatorische Kommentar des Journalisten Karl-Eduard von Schnitzler, bekannt als Moderator des Schwarzen Kanals. Schaut auf diese Stadt war dieser Sendung des DDR-Fernsehens gleich in mehrfacher Hinsicht ähnlich, deren Vorspann mit der Animation eines Bundesadlers zu merkwürdig verzerrter Musik begann. Im Dokumentarfilm spielt Gass mit ähnlichen tonalen Dissonanzen, die geradezu aus einem aktuellen Essayfilm stammen könnten: Verfremdete Schlager und Nationalhymnen spielen auf die vielfachen Verfehlungen des kapitalistischen Westens an, bekannte Melodien, die auf verstimmten Instrumenten gespielt werden, Lili Marleen mit zackiger Marschtrommeluntermalung. 

"Schaut auf diese Stadt" von Karl Gass, DEFA-Stiftung
„Schaut auf diese Stadt“ von Karl Gass, DEFA-Stiftung

An den Kinokassen spielte Schaut auf diese Stadt keine Rolle, den Leuten stand nicht der Sinn danach ihr Geld für offensichtliche Propaganda auszugeben. Zu sehen bekamen sie den Film dennoch. In der entsprechenden Zensurkarte ist vermerkt: „Dieses Filmdokument wird besonders in der Auslandsarbeit nützlich sein. Für den Einsatz im Ausland ist eine sorgfältige Textbearbeitung unter Mitwirkung der Schöpfer des Filmes erforderlich. Es ist darauf zu achten, daß Dinge, die für uns selbstverständlich sind, für das Ausland eine nähere Erläuterung finden. Das trifft z.B. auf die Bedeutung unserer Kampfgruppen als bewaffnete Organe der Arbeiter- und Bauernmacht zu. Angewiesen wurde die Überprüfung einer Szene: Beschießung Berlins durch sowjetische Artillerie.“ In der abgesegneten Version wurde Schaut auf diese Stadt außerdem zum Pflichtprogramm für die Schüler der 9. bis 12. Klassen und aller Berufsschulklassen.

 

Berlin in der Hauptrolle

Im Gegensatz zum Dokumentarfilm entstand …und deine Liebe auch in seiner endgültigen Form eher zufällig. Regisseur Frank Vogel und Drehbuchautor Paul Wiens arbeiteten nach ihrem gemeinsamen Film Der Mann mit dem Objektiv an einem neuen Stoff, in dem es um Fernfahrer in beiden Teilen Berlins gehen sollte, als der Bau der Mauer dem Projekt jäh einen Dämpfer verpasste. Kurzerhand wurde die Grundidee den aktuellen Geschehnissen angepasst. Viel mehr als die Ausgangssituation existierte auch noch nicht, als die DEFA die Dreherlaubnis erteilte. Eine Dreieckskonstellation junger Berliner: Die Postbotin Eva (Kati Szekely) steht zwischen zwei seit ihrer Kindheit eng befreundeten Männern: Klaus (Ulrich Thein) arbeitet als Taxifahrer im Westen. Weil er von den höheren Löhnen dort und den Kursen der Wechselstuben profitiert, will er nichts davon wissen, seinen Lebensschwerpunkt ganz in den Osten zu verlegen. Ulli (Armin Mueller-Stahl) hingegen, ein Elektromonteur im Glühlampenwerk und Mitglied der Kampfgruppe, ist überzeugt davon auf der richtigen Seite zu stehen.

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Noch während der ersten Aufnahmen schrieb Wiens am Manuskript. …und deine Liebe auch ist ein entsprechend dialogarmer Film. Ihre Texte sprachen die Darsteller nach dem Dreh ein, die im Film aus dem Off kommen wie streams of consciousness, was ihm Vergleiche mit der französischen Nouvelle Vague einbrachte. Gesteigerten Wert legte Vogel unterdessen auf die Aufnahmen aus dem Alltag Berlins. In ihrer Rezension für die Wochenpost schrieb die DDR-Filmkritikerin Rosemarie Rehahn 1962: „Die Filmleute arbeiten wie eine Reportergruppe der Wochenschau. Sie haben ihre Fühler überall, bei der Volkspolizei, beim Ministerium des Innern, beim „Augenzeugen“, beim Rundfunk; beim ADN; überall, wo Nachrichten einlaufen, wo sich „etwas tut“. Der Autor improvisiert […] Er schreibt Szenen nach Maß, bezieht das tatsächliche Geschehen auf der Straße aktiv in die Handlung, in die Gefühle und Entscheidungen der Helden mit ein. So erlebt Eva, Kati Szekely, entsetzt die amerikanische Provokation an der Friedrichstraße, sieht besessene Amis mit aufgepflanztem Bajonett bis zur Leipziger Straße rasen.“

 

„Irgendwo muss es eine Grenze geben“

Die semidokumentarische Machart, die alltäglichen Eindrücke von den Straßen des Ostberlin der 1960er Jahre machen …und deine Liebe auch als Zeitdokument sehenswert. Interessant sind aber auch seine subtilen Propagandamechanismen. Den Mauerbau etwa rechtfertigt er mithilfe der Figur der Kati, die die meiste Zeit über schwach und leicht beeinflussbar erscheint. Obwohl sie zunächst kaum Interesse am egoistischen Draufgänger Klaus zeigt, lässt sie sich bald auf ihn ein und wird schwanger. Ihre Stimme aus dem Off wundert sich selbst: Sie könne sich nicht wehren, obwohl sie um seine Schwächen, seine Unzuverlässigkeit wisse, sie vergesse bei ihm alle Erziehung und guten Eigenschaften. Später entscheidet sie sich anders, wendet sich dem sensiblen, standfesten Ulli zu und wird damit endgültig zur Repräsentantin einer jungen, scheinbar leicht verführbaren Generation, der man besser nicht nur mit gutem Beispiel vorangeht, sondern die man gleich zu ihrem Glück zwingt. Die es vor sich selbst und vor dem an Verführungen reichen Westen zu schützen gilt.

...und deine Liebe auch; DEFA-Stiftung
Armin Mueller-Stahl in „…und deine Liebe auch“; DEFA-Stiftung

„Irgendwo muss es eine Grenze geben,“ dieser Satz fällt in …und deine Liebe auch gleich mehrfach. Besonders Ulli leidet schwer an der Entzweiung von seinem brüderlichen Freund: „Wo sind unsere Väter gefallen“, versucht er Klaus ins Gewissen zu reden. „Denk daran, an welcher Grenze wir hier stehen, wofür und wogegen.“ Er sagt das und man meint das Grübchen in seinem Kinn sachte zittern zu sehen, die buschigen Augenbrauen sich zusammenziehen über dem Dackelblick. Melancholie und Entschlossenheit gleichermaßen zeichnet auch den Protagonisten im zweiten Mauerfilm aus: Für Der Kinnhaken hatte sich Manfred Krug erstmals an einem Drehbuch beteiligt. In der Wochenpost pries man ihn 1962 als Schauspieler, „der [dennoch] in jenen Tagen die Mühe und das Risiko eines Drehbuchanfängers auf sich nahm, weil er meint, seinen Altersgefährten etwas sagen zu müssen: daß es sich hier besser und menschlicher leben läßt, daß das Tor zur Freiheit für sie nicht zugefallen ist, sondern sich ganz im Gegenteil eben jetzt erst auftut.“

 

Süßes Leben im Osten

Manfred Krug spielt den Betriebskampfgruppenmann Georg, der am Abend des 13. Augusts am Grenzübergang auf Carolin (Dietlinde Greiff) trifft, die rüber in den Westen will. Um sie zu schützen, gibt er vor, ihr bei der Flucht helfen zu wollen und verliebt sich schnell in sie. Was er nicht weiß: Carolin hat eine undurchsichtige Vergangenheit als Bardame im Westteil der Stadt. Die Figurenzeichnung in Der Kinnhaken ist schnell durchschaubar: Auch hier steht ein wackerer Publikumsliebling, ein Hüne mit weichem Herz im Mittelpunkt der Handlung. Als Kampfgruppenmann Georg wirkt Krug wie ein Vorfahre seiner späteren Rolle in Frank Beyers verbotenem DEFA-Klassiker Spur der Steine. Während die westlichen Figuren — oder jene, die nach dem Westen streben — zwielichtig, skrupellos, egoistisch angelegt sind.

Manfred Krug in "Der Kinnhaken"; DEFA-Stiftung
Manfred Krug in „Der Kinnhaken“; DEFA-Stiftung

Aber der Film verlässt sich nicht allein auf diese Dialektik. Er erscheint auch wie eine Art Werbefilm für die Vorzüge der DDR. Das beginnt schon im Vorspann, bei dem die Credits auf den Werbeplakaten einer Litfaßsäule eingeblendet werden. Die Figuren arbeiten in einem gut sortierten Konsum voller Tomaten und Südfrüchte, sie treffen sich in mondänen Cafés auf dem Alexanderplatz, wo Leuchtbuchstaben über den Geschäften prangen, und sie wohnen in modernen Wohnungen mit allem Schnickschnack. In einer etwas absurden Szene bereitet Georg Carolin einen Kaffee zu, indem er eine vollautomatisierte und hochkomplizierte Apparatur in Gang setzt, die man eher in einem Science-Fiction-Film verorten würde. Seht her, scheinen diese Bilder zu sagen: Ob nun High Life oder urlaubshafte Idylle im Grünen — all das haben wir auch hier im Osten.

 

Kein Halt im Westen

Der Kinnhaken war nicht der einzige Film, in dem Figuren mit einer Sehnsucht nach dem Westen als zwielichtig dargestellt wurden. Ähnlich funktionierte auch Gerhard Kleins Komödie Sonntagsfahrer, in der mehrere Familien und Einzelpersonen aus Leipzig im Sommer 1961 die Flucht versuchen. Darunter eine herrische Ehefrau (Irene Korb), die vor allem ihren Reichtum im Sinn hat, oder ein Innenarchitekt mit dem vielsagenden Namen Herr Spiessack (Harald Halgardt), der sich als alter Wehrmachtsoffizier mit äußerst ehemaligen Ansichten entpuppt. Das Drehbuch hebt vor allem den Generationenkonflikt hervor: Die beiden studierenden Kinder der Familien, dargestellt von Hartmut Kirschke und dem späteren Paul-und-Paula-Star Angelica Domröse, werden von ihren Eltern erst in letzter Sekunde in die Fluchtpläne eingeweiht und versuchen immer wieder die Fahrt zu sabotieren, deren Fortkommen ohnehin alle Nase lang an gesperrten Straßen oder kaputten Autos scheitert.

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Was Sonntagsfahrer aber einen bitteren Beigeschmack verleiht, sind die Intentionen, die Ängste der Figuren, die noch einmal wesentlich existenzieller ausfallen als in den übrigen Mauerfilmen. Sie fürchten um Leib und Leben, haben Angst vor einem neuen Krieg oder gar einem drohenden Atomschlag. Wahrscheinlich war Sonntagsfahrer deswegen ein solcher Flop an den Kinokassen, weil das Lachen nicht über die allzu stark in der Realität verwurzelte Düsternis hinwegtäuschen konnte. Es kann es ja selbst heute kaum. Die Flucht endet mit einer Durchsage im Zug, der die Gruppe  auf dem vermeintlichen Weg zur Sommerfrische an der Ostsee nach Westberlin bringen soll: Es werde keinen Halt im Westen geben. Die Grenzen sind dicht.

 

Das Ende des Experiments

In allen Mauerfilmen gleichermaßen überrascht aus heutiger Sicht die Kritik am eigenen System, die selbst in diesen ideologisch recht eindeutigen Filmen einer von abnehmendem Optimismus in Politik und Bevölkerung geprägten Phase des deutschen Experiments mit dem Sozialismus möglich war. In Sonntagsfahrer wird ein Witz daraus, dass das vom Arzt bestellte neue Röntgengerät erst nach Jahren in seiner Praxis ankommt — ausgerechnet an jenem Tag, an dem er die DDR verlassen will. Wiederholt werden in den Filmen auch bürokratische Strukturen und Mangelwirtschaft kritisiert.

Abseits der Filme, die sich konkret mit dem Mauerbau beschäftigten, sowie der Dramen der jungen Absolventen der Filmschulen, die hinter die Kameras drängten und dem Gegenwartsfilm der DEFA einen Aufwind bescherten, herrschte in der DEFA Anfang der 1960er Jahre überhaupt eine große formale und inhaltliche Vielfalt. Kriminalfilme wie Heinz Thiels 1962er Tanz am Sonnabend — Mord?, Mord ohne Sühne von Carl Ballhaus (ebenfalls 1962) oder Richard Groschopps 1963er Die Glatzkopfbande beschäftigen sich mit Altlasten aus dem Zweiten Weltkrieg oder den Ausschweifungen der kapitalistischen Gesellschaft. Dazu gesellten sich in den Kinos Lustspiele wie Günter Reischs Ach, du fröhliche… (1962) und Musikfilme wie Revue um Mitternacht (1962) oder die Operettenadaption Die schöne Lurette (1960) von Gottfried Kolditz, Märchen- oder Literaturverfilmungen wie Konrad Wolfs Professor Mamlock (1961) oder Kostümfilme wie Glauco Pellegrinis Italienisches Capriccio (1961).

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Weniger der Mauerbau setzte dieser Experimentierfreude ein Ende als vielmehr das 11. Plenum des Zentralkomitees der SED im Dezember 1965, in dessen Folge ein großer Teil der DEFA-Jahresproduktion verboten wurde. Im Bericht des Politbüros an das ZK hieß es etwa: „In einigen während der letzten Monate bei der DEFA produzierten Filme, Das Kaninchen bin ich und Denk bloß nicht, ich heule, […] zeigen sich dem Sozialismus fremde, schädliche Tendenzen und Auffassungen. In diesen Kunstwerken gibt es Tendenzen der Verabsolutierung der Widersprüche, der Mißachtung der Dialektik der Entwicklung, konstruierte Konfliktsituationen, die in einen ausgedachten Rahmen gepreßt sind. Die Wahrheit der gesellschaftlichen Entwicklung wird nicht erfaßt. Der schöpferische Charakter der Arbeit der Menschen wird negiert. Dem einzelnen stehen Kollektive und Leiter von Parteien und Staat oftmals als kalte und fremde Macht gegenüber. Unsere Wirklichkeit wird nur als schweres, opferreiches Durchgangsstadium zu einer illusionären schönen Zukunft […] angesehen“ (zitiert aus: Das zweite Leben der Filmstadt Babelsberg).

Der vorsichtige Optimismus der Filmemacher, ihre Hoffnungen auf eine Phase der Liberalisierung, der Gedanke, sich im Schutz der Mauer kritisch mit dem Eigenen auseinandersetzen zu können und damit zum Aufbau eines neues Gemeinwesen beizutragen, hatten sich jäh zerschlagen. Nach dem Tal der Tränen, das die Figuren in Sonntagsfahrer durchschreiten, hatte der Film noch auf einer positiven Note geendet: Mit einem Professor, der in einem Auditorium voller enthusiastischer Jungsozialisten postuliert: „Der Mensch ist das einzige vernunftbegabte Wesen auf der Welt.“ Im Rückblick aber wiegt die Melancholie schwerer, die Armin Mueller-Stahl in …und deine Liebe auch besang:

„Der Wind auf der Warschauer Brücke / das Licht und der weiße Rauch / weißt du, die brauch ich zum Leben / und deine Liebe auch.“

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