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Deutscher Film, Teil 4: Entschuldigung, liegt hier irgendwo der deutsche Film begraben?

Meinungen
Verfluchte Liebe Deutscher Film

Liegt der deutsche Film vielleicht in München begraben? Um den berühmten Satz Werner Enkes aus Nicht fummeln, Liebling! abzuwandeln, der in May Spils’ Film wutentbrannt die fiktiven Bavaria-Studios verließ? Im Jahr 2016 sind gleich drei Filme entstanden, die die Münchner Gruppe neu beleuchten und weit mehr ins Zentrum bundesrepublikanischer Filmgeschichte rücken wollen, als es bisher üblich war. Dabei handelt es sich um Dominik Grafs Verfluchte Liebe Deutscher Film, Serpil Turhans Rudolf Thome – Überall Blumen und Zeigen was man liebt von Frank Göhre, Borwin Richter und Torsten Stegmann, der in Kürze beim Filmfest München seine Premiere feiern wird.

Die Münchner wollten unterhalten, sie waren anders als die Oberhausener. Film musste Spaß machen. Amüsieren. Ohne platt zu sein. Was liegt da näher, als in einer Betrachtung der Münchner Gruppe ein augenzwinkerndes, fiktives Gespräch aus Zitaten der drei oben genannten Filme zusammenzuführen? All jene Zitate sind selbstverständlich vollständig aus dem Zusammenhang gerissen, um ein möglichst intensives Bild der Münchner auf den deutschen Film insgesamt zu werfen. Es könnte aktueller denn je erscheinen. Wir wünschen viel Vergnügen!

Rudolf Thome: „Die Überbetonung der Form hat mir nie gefallen. Und die Überbetonung des Inhalts noch weniger.“

Roland Klick: „Für mich entsteht die Form immer aus der Geschichte. Beim Jungen Deutschen Film stand die Form immer im Vordergrund. Ich wollte, dass man die gar nicht bemerkt!“

Klaus Lemke: „Ich war der Erste. Ich war überhaupt der Allererste. Verdammt, jetzt geht’s los!“

Iris Berben: „Solche Geschichten kann man nur erfinden. Aber sie stimmen trotzdem.“

Das Leben ist zu kurz für deutsche Filme

Dominik Graf: „Der deutsche Film ist tot. Totgefördert, totgescripted, totgequatscht, totproduziert, totunterrichtet, totgelehrt, totkritisiert, totgeschrieben, totgeträumt, hat sich totgefeiert, totgelacht, ist total unerotisch. Totgegrübelt. War es je anders?“

Frank Tönsmann: „Der deutsche Film war für mich Synonym für Problemfilm. Die reden ganz viel, die haben ganz viele Dinge aufzuarbeiten. Das hat uns als Jugendliche überhaupt nicht interessiert.“

Werner Enke: „Das war dieses fürchterliche Zeug in den 50er Jahren. Wenn man irgendwas Deutsches gesehen hat, dann war das immer ganz furchtbar.“

Fritz Kortner: „Das Leben ist zu kurz, sich einen deutschen Film anzuschauen.“

Wolfgang Büld: „Die wenigen deutschen Filme, die mir gefallen haben, waren immer sehr realitätsnah.“

Klaus Lemke: „Vergangenheit. All dieser Blödsinn. Der deutsche Film war wirklich fabelhaft, bis die Oberhausener kamen.“

Roland Klick: „In Amerika werden Schauspieler in erster Linie körperlich ausgebildet. Das ist bei uns nicht der Fall. Bei uns wird es eher als intellektuelles Tun abgetan. Deshalb sagen die Schauspieler oft Texte, die gar nicht aus ihrem Körper kommen.“

Klaus Lemke: „Die Oberhausener haben überhaupt kein Verständnis für Kino. Das waren Söhne reicher Eltern, die nichts anderes wollten, als ihre Abituraufsätze nochmal zu schreiben. Die wollten ihren Eltern zeigen: Schau mal Papa, ich bin zwar beim Film, aber es ist doch etwas wert.“

Wieder bei null anfangen

Martin Müller: „Das waren im Grunde Industriefilme. Die Filme von Klaus [Lemke] dagegen sahen aus wie die von Chabrol, Godard, Truffaut, nur eben in zehn Minuten. Das war faszinierend.“

Klaus Lemke: „Das war für uns der Himmel: Godard am Telefon!“


(Trailer zu Unterwäschelügen (2016) von Klaus Lemke)

Roland Klick: „Die Deutschen haben ihre Körperlichkeit nicht ausgelebt. Und ich bin sogar der Meinung – das ist aber eine gewagte These –, dass der ganze Nationalsozialismus und Faschismus aus dieser Verklemmtheit rührte. Jetzt konnte der Kleinbürger draufhauen. Der Deutsche ist ein Behinderer, ein Verhinderer.“

Dominik Graf: „Alle hatten keine Ahnung. Vorher waren Regisseure bei ihrem Debüt um die 50, weil sie das ganze System durchlaufen mussten. Jetzt wollten die jungen Regisseure sich mit dem ganzen organisatorischen Apparat nicht belasten.“

Peter F. Bringmann: „Du kannst einen guten Unterhaltungsfilm machen, aber dann musst du erfolgreich sein. Der Autorenfilm hingegen kann gut sein, muss aber nicht erfolgreich sein.“

Dominik Graf: „Die Alten waren im Kopf fast jünger als die Jungen, die sehr feste Vorstellungen hatten, wie es weitergehen soll. Da ist unglaublich viel einfach sinnlos kaputt gemacht worden. Die ganze Filmindustrie musste wieder bei null anfangen.“

Klaus Lemke: „Wir haben den deutschen Film damals einfach nicht wahrgenommen. Das war ein Fehler.“

Kommerzialität = Liebe + Kohle?

Rainer Knepperges: „Mit der Einführung von Filmförderung haben die Oberhausener dafür gesorgt, dass so etwas wie Zensur verinnerlicht wurde.“

Roland Klick: „Diese ganze Filmförderung ist natürlich eine Behinderung. Ich bin zu einzelnen Mitgliedern dieser Kommission hingefahren und habe den überzeugt, dass er mir seine Stimme geben soll. Was für eine Scheiße, das muss man sich mal vorstellen. Ist fast erniedrigend. Ich habe mir aber gesagt: Gut, es gehört zum Business. Ich will diesen Film machen und ich brauche das Geld. Also fahre ich dort jetzt hin. Wenn ich nicht hinfahre, kriege ich sie nicht.“

Rudolf Thome: „Das war für mich immer eine wichtige Sache, dass das Geld hinterher wieder reinkommt. Dass die Leute, die das Geld geben, ihr Geld zumindest wiederkriegen.“

Roland Klick: „Kommerzialität, was ist das eigentlich?“

Rudolf Thome: „Es geht darum, dass möglichst viele Leute dich lieben – durch den Film!“

Roland Klick: „Das heißt, dass möglichst viele Menschen den Film sehen wollen. Während der Junge Deutsche Film gedacht hat: Wer kommerziell ist, der will bloß die Kohle.“

Rudolf Thome: „Etwas, das den Filmemachern heute sehr schwer fällt: Eigenes Geld zu investieren. Und zu riskieren. Durch die äußerlichen Bedingungen bin ich viel freier. Ich habe nie Existenzangst gehabt.“

Die Urkatastrophe des deutschen Films

Klaus Lemke: „Keiner von uns konnte sich eine Welt vorstellen, in der wir nicht die Größten waren.“

May Spils: „Das Schlimmste ist immer gewesen, dass man immer der Größte sein wollte. Das Ego kann uns kaputt machen.“

Rudolf Thome: „Wenn alles schiefgeht, werde ich arbeiten und sparen, um dann wieder einen kleinen Film zu drehen. Nach dem ersten Film war ich entschlossen, mein ganzes Leben lang nur Kurzfilme zu drehen. Dazwischen irgendwas zu arbeiten, um mit dem Geld dann den nächsten Film zu drehen. Doch dann ging es leichter und schöner, und ich habe Spielfilme gemacht.“

Roger Fritz: „Ich bin ja zu dem Zeitpunkt ausgestiegen, als Kluge mit der famosen Idee ankam, die Förderung auch für Fernsehfilme einzuführen. Die Fernsehstationen geben ein paar Hunderttausender und dürfen den Film nach zwei Jahren ausstrahlen. Das gibt’s bis heute und das hat Kluge eingeführt. Und ich habe gesagt: Wenn ihr das macht, dann ist der Film im Eimer, und bin ausgestiegen.“

Bernd Eichinger: „Als Kinomacher ist das Fernsehen unser Feind.“

Dominik Graf: „Unabhängig vom Erfolg von Uli Edels Version von Wir Kinder vom Bahnhof Zoo war die Trennung von Bernd Eichinger und Roland Klick eine Art Urkatastrophe für den deutschen Film. Kontrolle hatte sich durchgesetzt gegen eine chaotisch wirkende Kreativität.“

Roland Klick: „Ich hatte einfach die Schnauze voll nach sechs Spielfilmen. Aber jedes Mal gehst du durch die gleiche Scheiße. Du schreibst was und weißt: Das verstehen die nicht. Dann musst du eine zweite Fassung schreiben und es dauert trotzdem zwei bis drei Jahre, bis der Film finanziert ist.“

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(Das Kino des Roland Klick)

Artur Brauner: „Früher hat ein Vertrag zur Finanzierung eines Filmes einen Tag gedauert und nicht Monate oder gar Jahre!“

Roland Klick: „Und dann habe ich auch noch selbst produziert und musste mich hinterher mit Steuerprüfungen rumschlagen. Aber wenn du nicht selber produzierst, hast du das Ganze nicht mehr in der Hand bei der Regie.“

Roger Fritz: „Ich glaube, Roland Klick und ich sahen einfach zu gut aus für die Intellektuellen.“

München im Vollrausch des Sommers

Rudolf Thome: „Ich habe keinen neuen Film gemacht, obwohl ich fast jede Nacht von irgendwelchen Dreharbeiten träume. Für mein letztes Drehbuch habe ich kein Geld bekommen.“

Klaus Lemke: „Papas Staatskino ist tot. Ich fordere Innovation statt Subvention. Ich fordere das Ende jedweder Filmförderung aus Steuermitteln. Der Staat soll seine schmutzigen Griffel aus dem Film wieder rausnehmen. 13 Jahre Staatskino unter Adolf und die letzten 40 Jahre Staatskino unter der Filmförderung haben dazu geführt, dass der deutsche Film schon in den 70er Jahren auf Klassenfahrt in der Toskana hängen blieb. Dass aus Regisseuren Soft-Skills-Kastraten und aus Produzenten Veredelungs-Junkies wurden. Wir bauen die schönsten Autos, wir haben die schönsten Frauen. Aber unsere Filme sind wie Grabsteine: Brav, banal, begütigend.“

Rudolf Thome: „Ich könnte mich ja entscheiden, mit dem Filmemachen aufzuhören. Dann müsste ich nicht mit einem letzten Aufbäumversuch das Drehbuch schreiben, das ich jetzt schreibe. Warum mache ich das? Weil ich mir todsicher bin, dass ich ein guter Regisseur bin.“

Dominik Graf: „Wir sind gebunden und gefesselt an diese ganzen Auflagen. Wir dürfen Filme nicht ab 16, sondern ab 12 machen. Ganz Deutschland macht nur noch Filme ab 12. Entsetzlich. Nur weil die Filme angeblich im Fernsehen ins Abendprogramm passen sollen. Das Fernsehen zeigt die aber gar nicht um 20:15 Uhr, die wollen die gar nicht. Dann können wir Filme auch nur für Erwachsene machen. Dürfen wir aber nicht, gewissermaßen. Grotesk, alles grotesk. Und zu Klaus [Lemke]: Je länger er redet, desto mehr Recht hat er. Wir sind jetzt genau die Altbranche, die 1961 von den Oberhausenern abgelöst werden musste.“

Klaus Lemke: „Digger, ich sage, was ich denke! Wir haben den jungen Mädchen immer erzählt, dass wir große Filmemacher werden. Aber unsere Filme waren so ein Quatsch, mit so Idioten wie Enke, die irgendwas geplappert haben, was man nicht versteht. Mit Geschichten, die wir selbst nicht verstanden haben. Die Mädchen haben uns dann schnell verlassen, das war unsere Geschichte damals.“

Martin Müller: „Die Kurzfilme von Lemke, Thome, Zihlmann waren das erste in Deutschland, was mich an die Nouvelle Vague erinnerte. Im Ayinger, in ihrer Stammkneipe, lag Lemke unterm Tisch, Zihlmann hat geflippert, Thome hat gebrütet. Großartig.“

Klaus Lemke: „Wir hatten die beste Musicbox Münchens und es gab das billigste Bier!“

Mitten in unserem nächtlichen Schreibrausch dieses fiktiven Gesprächs platzt eine SMS von Klaus Lemke, ganz real und wahrhaftig. Darin schreibt Klaus, dessen Premiere von Unterwäschelügen auf dem Münchner Filmfest bevorsteht:
„Das kommende Filmfest München im Vollrausch des Sommers, der Drogen und des Größenwahns. Die Zuschauer mal wieder süchtig machen auf paar versaute Tage in MUC. Bombe! Kizz. Lemke.“

Fortsetzung folgt.

(Urs Spörri und Harald Mühlbeyer)

Urs Spörri kuratiert und moderiert deutschsprachige Kinoreihen im Deutschen Filmmuseum in Frankfurt/M., vor allem in Kooperation mit der Fachzeitschrift epd film die Filmreihe „Was tut sich — im deutschen Film?“ samt ausführlichen Werkstattgesprächen mit den Filmemachern. Seine regelmäßigen Festivalstationen sind der Max-Ophüls-Preis in Saarbrücken, die Berlinale, das Festival des deutschen Films in Ludwigshafen sowie die Hofer Filmtage. Außerdem hat er selbst jahrelang das FILMZ Festival in Mainz in führender Position mitverantwortet. www.kultur-event.com / www.was-tut-sich-im-deutschen-film.de

Harald Mühlbeyer arbeitet seit seinem Studium der Filmwissenschaft in Mainz als freier Filmjournalist. Seit 2014 Verleger im Mühlbeyer Filmbuchverlag. Veröffentlichungen unter anderem für epd Film, ray, kino-zeit.de, cinefacts.de, Indiekino Berlin; Redakteur bei screenshot-online.com. Buchveröffentlichungen im Schüren-Verlag: „Perception is a Strange Thing“. Die Filme von Terry Gilliam (2010) und — zusammen mit Bernd Zywietz — Ansichtssache. Zum aktuellen deutschen Film (2013). Schreibt an einem Buch über Helge Schneider.

Der erste Teil unserer Serie über den deutschen Film kann hier nachgelesen werden, der zweite Teil hier, der dritte Teil hier. Hier geht es weiter zum folgenden Teil.

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