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Festivals

Augen auf: Diagonale 2022

Ein Beitrag von Redaktion

Vom 5. bis 10. April findet in Graz die Diagonale statt. Das Festival präsentiert einen Überlick über die lebendige österreichische Filmszene — und wir präsentieren unsere Favoriten.

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Diagonale Festival 2022

Manchmal könnte man durchaus neidisch werden: Der österreichische Film hat einen Biss, der dem deutschen Film manchmal abgeht. Das fantastische und hochgradig verstörende Cyborg-Horror-Drama Trouble With Being Born ist ein gutes Beispiel dafür, zu was dieses kleine Filmland fähig ist. Die Diagonale gibt als Festival einen guten Querschnitt durch das Schaffen, durch die Energie des österreichischen Films. Dieses Jahr sind sozusagen Ulrich-Seidl-Festspiele. Neben seinem eigenen Film Rimini hat der Filmemacher als Produzent bei zwei anderen Filmen seine Finger im Spiel: Luzifer von Peter Brunner und Sonne von Kurdwin Ayub. Wir geben euch einen Überblick über die Filme, auf die wir entweder neugierig sind oder die wir unbedingt noch einmal sehen wollen.
 

Eröffnungsfilm: Sonne von Kurdwin Ayub

Auf der Berlinale haben wir den Film der jungen Regisseurin Kurdwin Ayub leider verpasst. In Berlin hat der Film viel Lob erhalten. Umso gespannter sind wir auf diese Geschichte über drei junge kurdische Frauen, die ihre Rolle zwischen Religion, Social Media und den eigenen Ansprüchen finden müssen. Unser definitives Must-see. Eigenwillig, wild und unglaublich präzise — so lassen sich die Stimmen über diesen Film zusammenfassen.

Sonne, (c) Ulrich Seidl Filmproduktion

 

Rimini von Ulrich Seidl

Es dürfte wohl kaum einen Text über Ulrich Seidl geben, in dem nicht auch der andere große Regisseur Österreichs, Michael Haneke erwähnt wird. Beide gelten als unerbittlich und bisweilen als Provokateure. Über den Sinn dieser Labels sollte man ohnehin mal nachdenken. Doch auch die Parallele zu Haneke ist eigentlich Unsinn. Das Kino von Seidl blickt dem Leben ins Gesicht — ohne Wertungen werden filmische Räume geschaffen, in denen das Sein sich in aller seiner Absurdität entfalten kann. Die Zentralperspektive, das Arbeiten in Tableaus ist derart Selbstreflexiv, dass die filmische Konstruktion immer auch offen gelegt wird. Selbst die gebrochensten, widerlichsten Protagonist*innen bleiben einem im Gedächtnis. Egal ob in Hundstage oder der Paradies-Trilogie: In diesen Kosmen gibt es kein Schwarz-Weiß. Während Haneke ein Moralist ist, der seine Filme immer im bürgerlichen Milieu anlegt, bleibt Seidl immer bei den Underdogs.

In Rimini erzählt der Regisseur nun vom Leben eines alternden Schlagerstars. Joachim Kurz hat den Film bereits in Berlin gesehen:

Schon im ersten Bild, einem Chor von Pensionist*innen im Pflegeheim des Vaters, erkennt man gleich auf den ersten Blick die typischen Inszenierungsweisen und — kniffe Seidls. Immer wieder baut er seine Szenerien und Tableaus auf sehr klassische Weise zentralperspektivisch und gerne in fast perfekter Symetrie auf, als sei diese starre Form die letzte Bastion, die Figuren und ihre verheerenden und niederdrückenden Lebensverhältnisse gerade noch mit letzte Mühe in einem stützenden Rahmen zu halten und sie vor dem endgültigen Auseinanderfallen zu bewahren. Was natürlich, man ahnt es längst bei Seidl, eine gigantische Illusionsmaschine ist — und das auf sehr ähnliche Weise wie der marode Charme des Rentnerparadieses Rimini.

Diesen Film sollte man auf der Diagonale sicherlich nicht verpassen.

 

Luzifer von Peter Brunner

Einige bei uns in der Redaktion können es gar nicht mehr erwarten, diesen Film endlich auf der Leinwand erleben zu dürfen. Bereits der Trailer ist von einer beängstigenden Atmosphäre aus religiösen Wahn und Apokalypse durchzogen und erinnert an eine Mischung aus Lukas Feigelfelds Hagazussa und Fabrice Du Welz’ Horrormartyrium Calvaire.

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Regisseur Peter Brunner erzählt von einem Mann mit kindlichem Gemüt, der in einer Hütte auf dem Berg mit seiner streng religiösen Mutter lebt. Gebete und Rituale bestimmen den Alltag. Dann dringt der Tourismus in diese Welt ein und der Wahnsinn nimmt seinen Lauf.
Auch bei diesem bildgewaltigen Film hat Ulrich Seidl seine Finger im Spiel. Sonne, Rimini und Luzifer ergeben ein generationsübergreifendes filmisches Trio radikaler Visionen. 

 

Moneyboys von C.B. Yi

Fei arbeitet als Stricher in der Großstadt, um seine Familie zu ernähren. Diese akzeptiert zwar sein Geld, nicht jedoch seine Homosexualität. In der Folge kommt es zum Zerwürfnis. Mithilfe seiner Beziehung zu Long versucht er einen Neuanfang.
Regisseur C.B. Yi war Schüler von Michael Haneke an der Wiener Filmakademie. Seinem ruhigen Stil ist dies deutlich anzumerken. Moneyboys wirft einen unerschrockenen, poetischen Blick in das heutige China, dass zwischen Tradition und Moderne, Stadt und Land zerrissen wird.

Moneyboys; (c) Arte France Cinéma

 

The Bastard King von Owen Pruemm

Nach Gunda von Victor Kossakovsky und Cow von Andrea Arnold folgt nun mit The Bastard King ein weiterer Film, der ein Tier zum Protagonisten macht. Vom Schwein über die Kuh zum Löwen: Owen Pruemm hat über zehn Jahre an diesem Film begleitet und legt mit großartigen Naturaufnahmen die Ausgrenzungmechanismen der Natur offen. Gleichzeitig zeigt uns der Film, was auf dem Spiel steht, wenn wir den Klimawandel nicht abmildern. Der Trailer zeigt schon, dass The Bastard King mit einer anderen Form des Pathos arbeitet und zudem einen Erzähler aufzubieten hat. Wir sind sehr gespannt, wie dieses Experiment gelingen wird.

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Wander von Rosa Friedrich

Auf dem diesjährigen Festival laufen natürlich auch bereits bekannte Filme wie Hinterland oder Große Freiheit. Zwei Filme, die auf jeden Fall zu empfehlen sind. Wir aber wollen auf Festivals auch immer etwas neues entdecken, Filme sehen, die einem danach oftmals nicht mehr begegnen. Wander von Rosa Friedrich scheint ein solcher Film zu sein. Wir zitieren an dieser Stelle einfach mal die wundervollen Zeilen aus dem Festivalkatalog

Der Himmel ist in die Meere gefallen und hat das Land geflutet. Die Sonne hängt am letzten Faden. Nur die höchste Bergspitze ragt noch aus dem Wasser. Drei einander fremde Menschen stranden auf einer Insel, eine Zwischenstation im unaufhaltsamen Sog, der in den Erdenschlund hinabzieht. Für die drei ist dieser Platz ein Rest des Daseins, transzendental, doch physisch real. Die Erde, die Körper. Ein vierter Mensch taucht auf, und die Dynamiken verschieben sich. Doch wie lebt man ein Leben ohne Zukunft?

Die Klimakrise als lyrischer Bildersturm? Bei dieser Beschreibung kommen einem Bilder in den Kopf, die womöglich erschreckender und melancholisch-erweckender sein können als jede wissenschaftliche Prognose. Für diesen Film halten wir unsere Augen offen. An dieser Stelle gibt die Filmemacherin einen Einblick in das Storyboard, den wir gerne mit euch teilen:

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Alice Schwarzer von Sabine Derflinger

Ikone. Vorkämpferin. Ärgernis. Sie ist alles zusammen — Alice Schwarzer, die Grande Dame des Feminismus im deutschsprachigen Raum. Wobei auch dieser Satz bereits problematisch ist, denn im Grunde steht sie für eine bestimmte Ausformung des Second Wave Feminism. Konflikte gab es und gibt es auch heute immer genug: Das Burkathema, die Debatte um Transrechte und und und … Alice Schwarzer hat immer gekämpft, sich aufgerieben und niemals klein beigegeben. Die Regisseurin Sabine Derlinger hat nur ein Porträt über diese mutige, wichtige und kontroverse Frau gedreht. Dieser Film ist eine Notwendigkeit. Punkt.

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Marko Feingold — Ein jüdisches Leben von C. Krönes, F. Weigensamer, C. Kermer, R. Schrotthofer

Als ihm das Leben ausging, war Marko Feingold 106 Jahre alt und der älteste Jude Österreichs. Was er erlebt hat, zermalmte ihn bis in den Schlaf: Vier Konzentrationslager hat der Mann überlebt. Daher, so sagte er selbst, sei es seine Aufgabe, die Erinnerung an die Vergangenheit wach zu halten. Niemals sei er mit seiner Geschichte am Ende. 
Der Film Marko Feingold – Ein jüdisches Leben dokumentiert die schicksalhaften Ereignisse und Wendungen im Leben von Marko Feingold sowie sein Überleben in der wohl dunkelsten Epoche der Geschichte. Ein wichtiges Dokument, dass irgendwann alles sein wird, was wir von den Überlebenden noch haben werden — ihre Stimmen und Gesichter auf der Leinwand. Die Erinnerung müssen wir irgendwann ohne sie wachhalten.

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Denn sie wissen, was sie tun von Gerald Igor Hauzenberger

Denn sie wissen, was sie tun; (c)Gerald Igor Hauzenberger

Die Proteste gegen die Coronaschutzmaßnahmen werden uns noch Jahre beschäftigen. Für wen gehen diese Menschen auf die Straße gegangen? Wessen Freiheit klagen sie ein? Und was bedeutet das für eine Gesellschaft? Regisseur Gerald Igor Hauzenberger stellt sich diesen Fragen in seinem Dokumentarfilm Denn sie wissen, was sie tun: Nah dran an den Märschen und Demonstrationszügen webt er ein feines Netz aus Kontexten, Perspektiven und Inszenierungsweisen und hilft uns dabei, mit dem Verstehen der Gegenwart zu beginnen.

 

Die Reihe „Zur Person“: Über das Schaffen von Tizza Covi und Rainer Frimmel
 

In der Reihe „Zur Person“ wirft die Diagonale jedes Jahr ein Schlaglicht auf das Schaffen von herausragenden und verdienten österreichischen Filmemacher*innen. Dieses Jahr werden die Arbeiten des Duos Tizza Covi und Rainer Frimmel gewürdigt. An dieser Stelle sei die Begründung der Festivalleiter Reinhard Braun zitiert, der die kooperativen Qualitäten lobt:

„„Es könnte [dabei] darum gehen, die Bilder – filmische wie fotografische – trotz ihrer behutsamen Präzision und der Genauigkeit ihrer Montage – oder gerade dadurch – zu öffnen, zum ‚Terrain‘ eines gemeinsamen Interesses, eines gemeinsamen Projektes, einer gemeinsamen Widerständigkeit und einer gemeinsam erlebten Fremdheit zu machen, das heißt zu einer kooperativen Erzählung, der nicht immer eine eindeutige Autor*innenschaft zu Grunde liegt und die in dieser Weise die Macht, die von der Repräsentation ausgeht, anders verteilt.“

Rainer Frimmel und Tizza Covi © Diagonale/Anna Stöcher

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