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Auf den Lebenspuren eines abgehalfterten Schlagersängers im winterlichen Rimini wandelt Ulrich Seidl und macht dabei keine Gefangenen. Seine tristen Vignetten eines tristen Lebens sind von trauriger Eindrücklichkeit.

Rimini (2022)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Die Nebelschwaden im Rentnerparadies des Rutschie Bravo

Die Spuren eines Lebens zwischen Suff, Halbberühmtheit und — nennen wir es mal — „amourösen Eskapaden“ haben sich Richie Bravo (Michael Thomas) ins zerfurchte Gesicht und auf den aufgedunsenen Leib eingeschrieben. Dazu der Schmäh aus hohlen Phrasen, brüchig gewordenem Schmelz in der Gesangsstimme, die immerhin noch die Tremoli beherrscht, süßlichem Gebalze und die Verheerungen von etwas, das er sich wohl als dirty talk vorstellt, um die wechselnden Damen gegen Bares zu beglücken — nein, dieser Mensch ist wahrlich kein Sympathieträger, sondern eine verkrachte Existenz, der längst jeder Maßstab abhandengekommen ist. Wie der König eines langsam untergegangenen oder zumindest brüchig gewordenen Reiches residiert er in seiner Villa im winterlichen Rimini und kehrt nur dann in die österreichische Heimat zurück, wenn es unbedingt sein muss.

Und direkt zu Beginn geht es einfach nicht anders: Die Mutter ist gerade gestorben, die Beerdigung steht vor der Tür und dann auch er, wie vor dem Eingang zu einem Museum der Kleinbürgerlichkeit, wo alles unverändert herumsteht mit all den Schrankwänden, scheußlichen Tapetenmuster und all den anderen Überbleibseln eines vorherigen Lebens. Sein jüngerer Bruder (Georg Friedrich) erwartet ihn dort und so versaufen die beiden einander fremd Gewordenen dort die Nacht vor der Beisetzung, während der völlig demente Vater (Hans-Michael Rehberg, der bereits 2017 verstarb, woran man ermessen kann, wie lang der Film schon in der Mache war) fluchend und orientierungslos durch die Flure des Pflegeheims irrt.

Dann endlich, nach einer seltsam oder vielmehr erwartbar lieblosen Trauerfeier, bei der Richie allein dann Gefühle zeigt, als er bei einem selbst eingesungenen Abschiedslied von der eigenen Stimme überwältigt die Tränen nicht mehr länger zurückhalten kann, kehrt er wieder zurück und wird dort bereits sehnsüchtig erwartet von Busladungen rüstiger Rentner*innen, die hierher pilgern, um seine Shows anzuschauen und den alten Schnulzen zu lauschen.

Und plötzlich steht da inmitten dieser Fans und lustigen Witwen eine junge Frau, Tessa (Tessa Göttlicher), die er natürlich aus alter Gewohnheit anflirtet, bis sie ihm recht deutlich zu verstehen gibt, dass das bei ihr nicht läuft. Und es kommt noch schlimmer, denn Tessa gibt sich als jene Tochter zu erkennen, für die Richie nie im Leben einen Cent Unterhalt gezahlt hat. Nun steht sie vor ihm in Begleitung ihres unbewegt finster dreinblickenden Freundes und verlangt auf einen Schlag all das, was ihr zusteht und was sie nie bekommen hat. 30.000 Euro — nicht viel für all die Jahre in prekären Verhältnissen und als Ersatz für einen Vater, der nie da war.

Klar, dass Richie das Geld nicht hat, trotz großkotziger Villa und Robbenfellmantel, in den er sich hüllt. Und so beginnt für ihn ein fast aussichtslos scheinender Wettlauf um die Gunst der verlorenen Tochter, die einer wie er sich sowieso nur erkaufen kann. Und dafür muss er bis an die Grenzen seiner moralisch völlig kaputten Welt und noch ein Stückchen darüber hinaus gehen.

Schon im ersten Bild, einem Chor von Pensionist*innen im Pflegeheim des Vaters, erkennt man gleich auf den ersten Blick die typischen Inszenierungsweisen und — kniffe Seidls. Immer wieder baut er seine Szenerien und Tableaus auf sehr klassische Weise zentralperspektivisch und gerne in fast perfekter Symetrie auf, als sei diese starre Form die letzte Bastion, die Figuren und ihre verheerenden und niederdrückenden Lebensverhältnisse gerade noch mit letzte Mühe in einem stützenden Rahmen zu halten und sie vor dem endgültigen Auseinanderfallen zu bewahren. Was natürlich, man ahnt es längst bei Seidl, eine gigantische Illusionsmaschine ist — und das auf sehr ähnliche Weise wie der marode Charme des Rentnerparadieses Rimini.

Und doch steckt vielleicht hinter all der Depraviertheit und Kaputtheit dieser Welt zumindest ein ganz kleines Stück Hoffnung, wenn am Schluss die Villa, dieser in die Jahre gekommene Palast eines Königs ohne Land zur Zufluchtsstätte junger Leute unbestimmter Herkunft wird. Der König hat abgedankt, die Jugend besetzt sein Reich. Ein schwacher Trost vielleicht, aber immerhin gibt es zumindest diesen.

Rimini (2022)

Richie Bravo, einst ein gefeierter Schlagerstar, jagt im winterlichen Rimini seinem verblichenen Ruhm hinterher. Mit Auftritten vor Bustouristen und Liebesdiensten an weiblichen Fans finanziert er seinen ausschweifenden Lebensstil zwischen Dauerrausch und Spielsucht. Als eines Tages seine erwachsene Tochter vor ihm steht und das Geld einfordert, das er ihr nie gegeben hat, beginnt seine Welt zu kollabieren. Währenddessen zieht sein greiser, an Demenz erkrankter Vater in einem österreichischen Pflegeheim die immer gleichen Kreise. (Quelle: Ulrich Seidl Filmproduktion)

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Meinungen

Dolores · 16.08.2022

Ich muss diesen Film sehen. Bin Rex Gildo Fan

h · 15.02.2022

In der Google-gelisteten Überschrift steht "Trailer", aber der Beitrag hat keinen Trailer.

Danke!

Snacki · 12.02.2022

Gerade auf der Berlinale gesehen. Ich würde behaupten: großartiges Elend und Ösi-Abgrund at it's best - danach am besten erstmal auf ein alkoholisches Getränk in irgendeiner gepflegten Spelunke ...

Mag. Margaretha Husek · 12.02.2022

Wann kommt der Fim ins Kino? Als Statistin war ich auch dabei.

György Golej · 27.01.2022

Wann kann man den Film von Ulrich Seidl Böse Spiele anschauen. Ich war dabei