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Specials

Live on Screen: Die besten Konzertfilme

Diese Woche sind gleich zwei Konzertfilme gestartet. „Opus – Ryuichi Sakamoto“ zeigt den finalen Auftritt des letztes Jahr verstorbenen Filmkomponisten. Mit „Stop Making Sense“ wird ein unbestrittener Klassiker dieser Form wiederaufgeführt. Wir ziehen aus diesem Anlass weitere Beispiele heran und fragen uns: Was macht einen guten Konzertfilm aus?

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Pink Floyd: Live at Pompeii

Konzerte aufzuzeichnen und zu veröffentlichen, kann – zynisch betrachtet – eine Einnahmequelle sein, oder – wohlwollender betrachtet – die Fans, die zuhause geblieben sind, womöglich aus finanziellen oder gesundheitlichen Gründen, in die Erfahrung einschließen. Das gilt erst recht, wenn es sich um eine einmalige und schwer zugängliche Erfahrung handelt, zum Beispiel: ein Konzert an einem besonderen Ort. Travis Scott etwa plante 2023 die erste Live-Aufführung seines neuen Albums vor den Pyramiden von Gizeh. Aufgrund der Bedenken von Kulturgutschützern kam es dazu schließlich nicht. Vermutlich hätten aber die wenigsten Fans extra einen Flug nach Ägypten buchen können. Auch das Amphitheater der einst unter Vulkanasche verschütteten antiken Stadt Pompeji ist keine alltägliche Konzertlocation. Und es kommt erschwerend hinzu: Die Aufzeichnung von Pink Floyd: Live at Pompeii fand ohne Publikum statt.

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Regisseur Adrian Maben dachte seinen Film nämlich nicht aus Fan-, sondern aus Kreativperspektive. Er hatte der Band zuvor schon einmal vorgeschlagen, ihre Musik in einem Film mit Kunstwerken von Surrealisten und Post-Surrealisten zusammenzubringen. Stattdessen entstand der Pompeii-Film, der sich durch die Isolation der Band im leeren Amphitheater auszeichnet. Auch klanglich: Maben fand, die Location habe eine besondere Stille und einen besonderen Umgebungsklang, der sich gut mit der Musik ergänzen würde. Pink Floyd: Live at Pompeii ist ein künstlerisch genau durchdachter Konzertfilm: Die Kamerabewegungen, die die Band komplett umkreisen, die Sequenz, in der die ganze Bühne mit Lampen vollgestellt ist, die Arbeit mit Videoleinwänden, der Auftritt eines Hundes als Gastvokalist – vieles davon wäre vor Publikum nicht in dieser Form möglich gewesen.

Das Marketing von Konzertfilmen will sich, weil es Musik- und nicht Filmfans anspricht, oft mit dem vermeintlichen Mangel des Kinos befassen – dem Mangel der leiblichen Kopräsenz und der Feedback-Schleife zwischen Performern und Publikum, mit Erika Fischer-Lichtes Theorie des Performativen ausgedrückt. Das sollte natürlich wie in diesem Fall durch kinospezifische Mittel, die bei einem üblichen Konzert nicht zur Verfügung stehen, adressiert werden. Der Trailer zu Pink Floyd: Live at Pompeii überkompensiert aber und verspricht gleich eine neue Gattung: „More than a movie! An explosive cinema concert!“

Mathis Raabe

Prince: Sign o‘ the Times

Setzen wir den Analysehut einmal kurz ab: Schon allein als Zeugnis von Prince’ einzigartiger Bühnenenergie ist dies einer der besten Konzertfilme aller Zeiten. Spätestens die anrüchige Choreografie mit Tänzerin Cat Glover zu „Hot Thing“ ist so kinetisch und, nun ja, hot, dass man danach sein Kinn vom Fußboden aufheben muss.

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Darüber hinaus aber werden die Outfits, das Licht, der Bühnenbau – Elemente jeder Pop-Performance – hier Teil einer Gattungen übersteigenden Inszenierung. Theaterszenen auf und hinter der Bühne, Spielfilm- und Musikvideosequenzen ergänzen sich zu einem mysteriösen lilafarbenen Pulp-Film – Crime violet? – über das sündige Nachtleben einer fiktiven Großstadt.

Pop-Musik als theoretischer Begriff meint nicht das, was man aufnehmen und abspielen kann, sondern etwas, das erst im Zusammenspiel der Musik mit der Inszenierung, mit den Starkults, Persönlichkeiten, Moden und Postern an Kinderzimmerwänden entsteht. Die besten Popstars versuchen, all diese Fäden in der Hand zu halten. Dafür gibt es kaum ein besseres Anschauungsbeispiel als Prince am Höhepunkt seines Schaffens.

Mathis Raabe

Pulp – Life, Death & Supermarkets

Britpop. Wie alle Labels oder musikalischen Schubladen suggeriert dieser Sammelbegriff für britische Gitarrenmusik der frühen 90er eine gerade Linie, eine Einheit oder zumindest einen geteilten Horizont. Doch schon stilistisch, abgesehen von der dominanten Gitarre, lassen sich all diese kleineren und größeren Bands und Künstler*Innen dieser Zeit nicht zusammenfassen. Der exaltiert-androgyne Glam von Suede ist der Gegenentwurf zu den unbedarft selbstbewussten Arbeiterklasse-Hymnen der Gallagher-Brüder (Oasis). Blur waren immer schon punkiger Pop, der seine Kraft aus dem kunststudentischen Milieu gezogen hat. Und dann wären da noch Pulp, die den Sex des Working-Class-Dandys mit einer Kammermusik-Gitarren-Dramatik einmal durch sämtliche Zimmer aller Außenseiter*innen der Welt jagten.

Der Song Common People ist ein Jahrhundertsong, längst britisches Kulturgut. Darin erzählt Texter und Frontman Jarvis Cocker die Geschichte einer Begegnung: Eine Kommilitonin aus reichem Hause bittet ihn, den armen Dude, ihr das Leben der normalen Menschen zu zeigen. Sie wolle leben wie Jedermann und Jedefrau. Gegen Ende des Songs erklärt Cocker, dass sie sich noch so sehr anstrengen könne, niemals wäre ihre Leben ein anderes: „But still you’ll never get it right / ‚Cause when you’re laid in bed at night / Watching roaches climb the wall / If you called your dad he could stop it all, yeah / You’ll never live like common people.“

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Aus dieser Grundprämisse, diesem narrativen Splitter heraus eröffnet Florian Habicht seine Perspektive und hat mit Pulp — Life, Death & Supermarkets einen großartigen Konzertfilm gedreht. Dabei handelt es sich nicht um ein abgeschlossenes Konzert; und dennoch kann man auf dem Begriff Konzertfilm beharren. Für Pulp war das Leben immer schon ein einziges Konzert. Die Musik dieser Gruppe bedeutet der ganzen Stadt Sheffield die Welt. Cocker zieht daraus seine Geschichten und gibt den Menschen, den Common People, Lebensbilder zurück, Hymnen der Emanzipation.

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Habicht durchstreift die Heimatstadt der Band und befragt Passanten und Konzertbesucher, Menschen aus der Nachbarschaft zur Band, und plötzlich wird die urbane Landschaft zu einem Pulp-Song, zu einer Venue. Die Musik kommt von der Straße und diese leidenschaftliche Anbindung an Pop-Musik ist in jeder Szene zu spüren. Erstaunlich, wie es einem so verschrobenen Kerl mit dicker Hornbrille und Anzug gelingt, Generationen zu verbinden. Und dann tanzt er auf der Bühne, staksig und stolpernd – man möchte einfach sofort mitsingen und tanzen.

Sebastian Seidler

Burst City / Einstürzende Neubauten: 1/2 Mensch

Das Frühwerk von Gakuryū Ishii (damals noch: Sogō Ishii) ist der unmittelbare Vorläufer zum Cyberpunk von Shinya Tsukamotos Tetsuo: The Iron Man – Ishii war auf der Film-Uni einen Jahrgang über Tsukamoto. Und der Vorläufer von Cyberpunk ist natürlich: Punk. Deshalb ist Burst City in Teilen ein Konzertfilm. Ishiis frühe Filme interessieren sich kaum für Linearität. Genau wie Konzertfilm-Editoren findet er die Narration erst im Schnitt – und er liebt Punk- und Noise-Rock. Also setzt er die Musik nicht nur als Score ein, sondern schneidet in Burst City auch auf unkonventionelle Weise einfach Konzertaufnahmen zwischen die Spielfilmsequenzen, sodass man einen seltenen Einblick in die japanische Punk-Bewegung der frühen Achtziger bekommt und Bands wie The Rooster und The Stalin kennenlernt.

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Die letzten 30 Minuten des Films werden von einer einzigen Szene eingenommen – einer brutalen Schlacht zwischen Jugendgangs und Polizisten bei einem Punk-Konzert. Die Band hört nie auf zu spielen, auch dann nicht, wenn der Sänger schon tot ist. Diese halbe Stunde ist eines der energetischsten Filmerlebnisse, die man so haben kann, bei denen man garantiert senkrecht auf der Couch steht, und eine perfekte Übertragung des Punk-Ethos in eine andere Kunstform.

Es ist nur folgerichtig, dass Ishii schließlich ein Filmprojekt von Grund auf gemeinsam mit einer Band anging – den Berliner Noise-Ikonen Einstürzende Neubauten, die 1985 durch Japan tourten. Auch 1/2 Mensch ist kein reiner Konzertfilm, sondern enthält neben einem Auftritt der Band in einer Lagerhalle, wo sie auf allerlei Metallschrott herumtrommeln kann, auch fiktionalisierte Sequenzen, in denen die Industrial-Ästhetik nun wiederum an Shinya Tsukamoto zurückerinnert, sowie abgefilmtes Butoh-Theater. Aber wir sind in diesem Beitrag ja auch auf der Suche nach formaler Ambition.

Mathis Raabe

Jazz an einem Sommerabend

Ja ja, man kennt das: Während die jüngeren Kollegen dem wilden Rock-‚n‘-Roll-Livestyle frönen, bin ich mal wieder zuständig fürs Gediegene und den gepflegten Retro-Style. Wie dem auch sei: Jazz an einem Sommerabend (Jazz on a Summer’s Day) bietet genau das, was der Titel verspricht. Wobei: nicht ganz: Von der Kamera eingefangen wird hier nicht nur der Abend, sondern ein ganzer Tag beim Newport Jazz Festival des Jahres 1958, der sich bis in die Abendstunden hineinzieht. Genauer gesagt handelt es sich dabei um den 6. Juli, und es erscheint als ein mehr als glücklicher Zufall, dass genau an diesem Tag in Newport auch die legendäre Segelregatta America’s Cup stattfand, die gewissermaßen die Grundierung für diesen Film und dessen Atmosphäre bildet. Bis zu diesem Zeitpunkt galt Newport als einer der mondänen Orte in den USA für die Sommerfrische der Reichen und Schönen, doch in den Bildern, die der Fotograf Bert Stern (bekannt für seine Porträtserie Last Sitting mit Marilyn Monroe kurz vor deren Tod im Jahre 1962) an diesem Tag mit der Kamera einfing, geht es zwar gediegen, aber keineswegs steif zu.

Man merkt Bert Sterns Herkunft von der Werbe- und Modefotografie und seinen begnadeten Blick für Menschen und deren äußere wie innere Schönheit und Eigenartigkeit (im besten Sinne) an, denen er immer wieder seine Aufmerksamkeit widmet, wenn er den Blick vom Geschehen auf der Bühne abwendet: Wie ein Flaneur fängt er ganz beiläufig ein Pärchen ein, das hinter den Dünen verschwindet, erzählt von plötzlichen Bier-Engpässen (wir ahnen: eine große Katastrophe!), von Ausgelassenheit und der Leichtigkeit eines Sommertags in angenehmer Atmosphäre. Das Leben einfach!

Und dann ist da natürlich noch die Musik: Wir sehen Louis Armstrong, Thelonious Monk mit seinem Trio, Anita O’Day, Mahalia Jackson, Dinah Washington, aber auch Chuck Berry, hören Gospel, Bop und Cool Jazz, aber auch Rock und Rythm and Blues — und all das von Meistern ihres Fachs, die einfach nur Spaß haben und eine gute Show abliefern wollen.

Vielleicht erscheint uns das heute durch die Nostalgie-Brille rosarot gefärbt, aber an diesem Abend, so scheint es, gab es an diesem Ort keinen Platz für Ausgrenzung und Rassentrennung (in Wirklichkeit stand die Bürgerrechtsbewegung zu diesem Zeitpunkt ja erst an ihren Anfängen), sondern nur die reine, helle Freude. Womöglich der beste, ganz sicher aber der schönste Film, der je über Jazz gemacht wurde.

Joachim Kurz

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