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Nachflimmern: Der Tod des Herrn Lazarescu

Ein Beitrag von Sebastian Seidler

Der Tod ist eine ernsthafte Angelegenheit. In Cristi Puius wundervollem Film ist er vor allem eine absurde Odyssee bis in die berührende Traurigkeit.

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Lazarescu

Jede Woche erscheinen auf den bekannten Streaming-Plattformen neue Filme. Wir können uns vor Geschichten, Serien und Bildern gar nicht mehr retten. Doch wenngleich es so scheint, als wäre alles nur einen Klick entfernt, gibt es am Rande dieser Masse immer noch Filme, die kurz vor dem Vergessen stehen und dabei so schön hell und verlockend flimmern. Cristi Puius „Der Tod des Herrn Lazarescu“ ist ein solches Meisterwerk. Bis heute gibt es keine deutsche DVD-Veröffentlichung dieses rumänischen Films, den wir an dieser Stelle neu und ganz persönlich entdecken wollen.

In seinem Film erzählt der rumänische Regisseur Christi Puiu die Geschichte einer quälenden Odyssee, die durchzogen ist von einem lakonischen, schwarzen Humor. Dante Remus Lăzărescu (Ion Fiscuteanu) fühlt sich nicht gut. Er sitzt in seiner Küche und ruft den Notarzt. Kopfschmerzen quälen ihn, und er hat sich erbrochen. Während er auf den Krankenwagen wartet, telefoniert er mit seiner Schwester, zu der er kein besonders gutes Verhältnis zu pflegen scheint. Die Kamera ist immer anwesend und fängt das alltägliche Geschehen mit empathischer Hinwendung ein. Die Zeit vergeht, und der Krankenwagen lässt auf sich warten. Erst als die Nachbarn nachhelfen, erscheint in Person der Notfallassistentin Mioara (Luminița Gheorghiu) die ersehnte Hilfe.

Doch Remus hat getrunken. Oder um es noch deutlicher zu sagen: Er ist ein Trinker. Die Assistentin will es also zunächst bei der Verabreichung von Elektrolyten belassen. Nachdem der alte Mann über weitere diffuse Schmerzen klagt, wird er in ein nahe gelegenes Krankenhaus gebracht. Und genau an diesem Punkt beginnt die endlose Reise durch weitere Krankenhäuser und unzählige Hände von Ärztinnen und Ärzten. Ein schweres Busunglück mit mehreren Toten und einer Vielzahl von Verletzten überfordert das medizinische Personal. Niemand fühlt sich zuständig. Mal ist es das moralische Urteil über den Trinker Lăzărescu, dann das Ego eines Arztes, das im Wege steht. Und je länger diese Nacht dauert, umso tiefer driftet der alte Mann in ein Delirium.

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Beim Sehen von Der Tod des Herrn Lazarescu war ich der festen Überzeugung zu wissen, was ich da sehe. Der Realismus war klar politisch zu lesen: Schaut, wie unmenschlich der medizinische Apparat hier in Rumänien operiert! Durch den Humor bricht die Satire hinein, die sich auf tragisch-komische Weise dem Unvermeidlichen entgegenstellen will. Und so stellte sich eine gewisse Abgeklärtheit meinerseits ein. Hatte ich das in der Form nicht bereits mit größerer Lust an subversiver Doppelbödigkeit in Mir ist es egal, wenn wir als Barbaren in die Geschichte eingehen von Radu Jude gesehen? Ein Film, der sich mit der Rolle Rumäniens im Holocaust auseinandersetzt und Fiktion und performatives Experiment geschickt miteinander verschaltet. Auch hier dominiert in der Form ein dokumentarischer Realismus, der jedoch in jedem Moment über sich hinausgetrieben wird. So eine Abgeklärtheit aber verstellt schnell den Blick auf das Einzigartige eines Filmes; man legt Formeln über das Besondere.

Das Spiel mit dokumentarischen Formen: Mir ist es egal, wenn wir als Barbaren in die Geschichte eingehen       © grandfilm

Dann das Ende. Da liegt Dante Remus Lăzărescu nun. Ein kranker, nackter Körper, in dem sich die gesamte Erschöpfung zusammengezogen hat. Der Kopf wird ihm rasiert. Er hat einen Tumor und soll operiert werden. Wir sehen die Vorbereitungen der Schwestern, in denen einer der wenigen zärtlichen Momente des Films liegt. Wie die Schwester sanft den Rasierschaum wegwischt – „There you are, handsome.“ – hat nichts mit der bloßen Verrichtung einer Tätigkeit zu tun. Da scheint eine Menschlichkeit auf, die Lăzărescu den ganzen Film über verzweifelt gesucht hat und die er selbst von der so fürsorglichen Notfallassistentin Mioara nicht bekommen hat. Viel zu sehr ist diese damit beschäftigt, ihre eigene Rolle zwischen beruflicher Abgeklärtheit und moralischer Verpflichtung zu finden.

Dann verlässt die Krankenschwester das Zimmer und ruft nach einem Virgil, der den Mann nun abholen könne. Ich bin wieder hellwach, geradezu angespannt. Es ist dieser eine Satz, der mit dem Realismus bricht und auf das Unzeigbare verweist. Der Name Virgil fällt nur auf, weil ihn Herr Lăzărescu selbst bereits mehrfach erwähnt hat. Virgil ist der Mann seiner Schwester, die von der schweren Krankheit unterrichtet ist und auf dem Weg in die Stadt ist. Doch dieser Virgil kann damit nicht gemeint sein. Die Krankenschwester spricht eindeutig mit einem Kollegen. Virgil. Dante. Das sind die Koordinaten. Mit diesen beiden Markierungen hebt sich der Film aus seiner eigenen Form.

Verge (Bruno Ganz) bringt Jack (Matt Dillon) in die Hölle: The House that Jack Built         © concorde filmverleih GmbH

Virgil ist die Figur, die in Dantes Inferno die Toten auf den Weg zur Hölle begleitet. Man denke nur an Bruno Ganz in Lars von Triers The House That Jack Built, der als Verge den Serienmörder Jack auf seiner letzten Reise begleitet. Doch wo bei von Trier die Geschichte mit Virgil überhaupt erst beginnt, der Serienmörder seine abstruse Geschichte erzählen darf, beendet Puiu mit dieser Figur seinen Film – in einem doppelten Sinne. Zum einen ist Dante Remus Lăzărescus Tortur noch nicht zu Ende, die Operation wird nur ein weiterer Höllenkreis auf seiner Reise durch das Gesundheitssystem. Auf der anderen Seite verweist Virgil auf den Tod und das Sterben. Zwei Dinge, die nicht durch einen reinen Realismus einzufangen sind: Das Sterben hat bereit begonnen. Wir haben den Kampf von Dante Remus Lăzărescu begleitet. Vom inneren Schmerz machen wir uns aber gar keine Vorstellung. Darauf verweist dieser Moment negativer Ästhetik: Der Tod ist nicht ins Bild zu setzen. Von dieser tieftraurigen Poesie getroffen, bleibe ich schweigend vor meinem Bildschirm sitzen. Dieser Film wird eine ganze Zeit nachflimmern.

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