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System Change: Dokus, die den Funken entfachen

Meinungen
König hört auf/Oeconomia/Hail Satan
König hört auf/Oeconomia/Hail Satan

Regisseur Moritz Springer hat mit Das Kombinat einen Blick auf eine mögliche Veränderung der Landwirtschaft geworfen. In der Solidarischen Landwirtschaft schließen sich Menschen zusammen und bezahlen den Bauern für seine Produkte direkt. Sie helfen aber auch mit, werden Miterzeuger. Sich mit dieser gelebten Alternative auseinanderzusetzen, ist von großer Bedeutung, da vor allem die Lebensmittelproduktion einen Großteil des CO2-Ausstoßes verursacht. Zudem können immer weniger Betriebe von ihrer Arbeit leben. Ohne dabei in einen Romantizismus abzugleiten, öffnet der Film Denkräume. Die Kino-Zeit-Redaktion stellt im Folgenden ihre liebsten Dokumentarfilme vor, die auch zum Nachdenken über Alternativen anregen.

Oeconomia von Carmen Losmann

Carmen Losmann zählt in meinen Augen zu den besten gesellschaftskritischen Dokumentartistinnen der Gegenwart. Ohne die Welten, die sie seziert, vorzuführen oder bloßzustellen, eröffnet sie fragende Bilder, zu denen man selbst Stellung beziehen muss. Dabei hat die Filmemacherin eine Haltung: Es geht ihr darum, durch die genaue Beschreibung eines Gegenstands die Widersprüche aufzudecken. 

Bereits Work Hard — Play Hard war für mich eine Offenbarung: Dieser streng komponierte Einblick in neue Entwicklungen des Personalmanagements inklusive peinlicher Gruppenbildungsmaßnahmen legt eine groteske Gegenwart frei, die jeder irgendwie kennt, aber niemals aus diesem Blickwinkel betrachtet hat. 

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Oeconomia hingegen wagt etwas schier unglaubliches: Der Film stellt eine ganze Reihe abstrakter Fragen. Woher kommt eigentlich das Geld? Was ist Wachstum? Und was ist die systemische Bedeutung von Schulden? Einfach ist das nicht. Und dennoch gelingt es Losmann, eine Form zu finden, die in ein Spiegellabyrinth führt: Selbst führende Analysten und Investmentbanker können auf manche Fragen keine Antwort finden. Also muss der Film sich die Dinge selbst zusammensetzen. Spannend wie ein Thriller fügt sich so vor unseren Augen eine Struktur zusammen, die uns total absurd erscheinen muss: Das Herz der Ökonomie ist nicht der Gewinn, es sind Schulden. Und Wachstum ist immer erkauft und von der Mehrheit bezahlt.

Mir hat der Film die Augen geöffnet, wie wichtig es ist, wirtschaftliche Zusammenhänge zu begreifen. Eine Linke, die sich lediglich auf Gleichstellungsfragen konzentriert, muss in aller Konsequenz scheitern. 

Sebastian Seidler

Hail Satan? von Penny Lane

Ich bin Satanist. So, jetzt ist es raus. Klingt allerdings spektakulärer, als es ist. In der Praxis bedeutet meine Mitgliedschaft im Satanic Temple lediglich, dass ich Teil des E-Mail-Verteilers bin. Vor allem um den Black Friday herum werden die E-Mails in der Regel mehr und wollen mir zu reduzierten Preisen satanistische T-Shirts, Tassen und Kinderbücher verkaufen. Da hab ich schon mal überlegt, ob mir dieser Satanismus nicht zu kapitalistisch ist und ich wieder austrete.

Zugegeben, die distanzierte Beziehung zu meiner Glaubensgemeinschaft liegt auch an mir. Der Satanic Temple hat ein deutsches Chapter, das sich auf Facebook und Discord organisiert. Dort gibt es einen „Meme Monday“, und gelegentlich verabredet man sich zu einem Horrorfilmabend per Zoom. Das wirkt aber leider nicht ganz so spektakulär wie die Aktionen, mit denen der Tempel sich in den USA unter anderem für Abtreibungsrechte und die Rechte queerer Menschen einsetzt. Diese Aktionen zeigt die Dokumentation Hail Satan?, die mich 2019 so begeisterte, dass ich glatt beitrat.

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Zwar gibt es so etwas wie „theistische Satanist*innen“ und man kann mit ihnen auch vortrefflich streiten, aber wenn man ehrlich ist, war Satanismus fast immer eine Projektion, ein Gegenbild zu den Werten des Christentums, das als Sündenbock oder als Vogelscheuche dienen konnte. Satanistische Schriften sind größtenteils Bibelsatire, oder es geht um Hedonismus. Aleister Crowley zum Beispiel lehrte homo- beziehungsweise pansexuelle Sexualpraktiken, weil sich den gesellschaftlichen Zwängen zu widersetzen eine besondere Magie freisetze. Und das ist der Clou: Wenn manche dieser christlichen Werte heutzutage nun mal ganz schön veraltet wirken, aber trotzdem noch erheblichen Einfluss auf Politik und Lebensrealitäten haben, gerade was aktuell das Zurückrollen der Abtreibungsrechte oder der Rechte von trans* Menschen in den USA betrifft, ja wie soll man denn da nicht Satanist*in sein?

So sehen Satanist*innen aus. (© Magnolia Pictures)

Der Aktivismus des Satanic Temple beruft sich auf die Religionsfreiheit. Ein besonders plakatives Beispiel, das auch der Film zeigt: Vor dem Kapitol von Little Rock, Arkansas wurde eine Zehn-Gebote-Skulptur aufgestellt – eine fragwürdige Liaison von Staat und Kirche. Also stellte der Tempel Moses eine große Baphomet-Statue zur Seite – gleiches Recht für alle Religionen. Offiziell und nach außen hin nennen wir das Ganze natürlich nicht Aktivismus, sonst würde es ja nicht mehr funktionieren.

Der Dokumentarfilm über die Arbeit des Satanic Temple inspiriert zum Nachdenken über eine bessere, freiere Gesellschaft, und sieht dabei auch noch ziemlich cool aus. Nicht umsonst hat sich die Popkultur von Black Sabbath bis hin zu Lil Nas X und Doja Cat fleißig an satanistischer Symbolik bedient. Die in Hail Satan? gezeigten „Schwarzen Messen“ sind eine Mischung aus Performance-Kunst und politischen Kampfreden, die Kongregation ist divers, es wird geknutscht und Wein verschüttet. In dieser Welt möchte ich sehr viel lieber leben als in der, die sonntags gepredigt wird.

Mathis Raabe

König hört auf von Tilman König

Als Ostdeutscher kann man kaum anders, als sich quasi ständig um die Zukunft der Demokratie im eigenen (Bundes-)Land zu sorgen. Die AfD ist auf einem Umfragehoch, in Thüringen hat sie jüngst ihren ersten Landrat gestellt. Und immer wieder hat man den Eindruck, es werde viel energischer und mit höherem Materialaufwand gegen linke Strukturen als gegen den doch so viel gefährlicheren Rechtsextremismus vorgegangen. Antifaschismus scheint zunehmend Privatsache zu werden, anstatt ein notwendiges systemisches Anliegen zu sein: die Verteidigung der Demokratie gegen derartige Strukturen.

Zugegeben, König hört auf wirkt in dieser Hinsicht nicht gerade entlastend. Der ehemalige Stadtjugendpfarrer von Jena, um den es hier geht, sieht sich staatlicher Repression ausgesetzt und trägt von seinem Kampf gegen Neonazis eine große Narbe auf der Stirn. Und: Er geht in Rente. Hinzu kommt, dass er nicht der sympathischste Zeitgenosse, sondern ein ziemlich ambivalenter Charakterkopf mit einer sehr kurzen Zündschnur ist. Was die Dokumentation seines Sohnes allerdings klarmacht: Diese Wut, die sich gegen rechts, gegen Teile eines zu untätigen Staates, gegen Diskriminierung, Gewalt und Ausgrenzung richtet, ist berechtigt. Dass Lother König diesen Kampf auch noch im hohen Alter austrägt, macht am Ende dann doch Hoffnung und liefert ein eindrucksvolles Beispiel dafür, ein Vorbild sogar, dass Antifaschismus nicht in Rente gehen sollte, muss und darf.

Christian Neffe

Cowspiracy von Kip Andersen und Keegan Kuhn

Moritz Springer ist nicht der erste Dokumentarfilmer, der findet, dass die Landwirtschaft reformiert werden muss. Die zentrale These von Cowspiracy, die Viehzucht richte größeren Schaden für das Klima an als alle anderen Arten von Abgasemissionen (etwa fossile Brennstoffe), ist wissenschaftlich umstritten. Zweifellos aber ist der Schaden, den sie anrichtet groß. Kip Andersen und Keegan Kuhn (überzeugte Veganisten, später drehten sie What the Health) nehmen von diesem Ausgangspunkt aus diverse Aspekte der Klimakatastrophe in den Blick – sterbende Wälder, aussterbende Spezies und ansteigende Meere.

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Das Framing der Fleisch- und Fischindustrie als „Verschwörung“ kommt mit vielen Ausrufezeichen daher. Sieht man die Lobbymauern, mit denen die Filmemacher zu kämpfen hatten, kann man ihnen das aber kaum noch verübeln. Und gerade durch diese Form gelingt es ihnen, einen eindringlichen Appell zu formulieren, der seinerseits unstrittig ist: Allein durch individuelle Verhaltensänderungen lässt sich die Welt nicht retten. We need to change the whole system!

Mathis Raabe

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