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In „König hört auf“ porträtiert Tilman König seinen eigenen Vater, der 29 Jahre lang Jugendpfarrer in Jena war und sich noch viel länger mit voller Kraft antifaschistisch engagiert.

König hört auf (2022)

Eine Filmkritik von Christian Neffe

Antifaschismus kennt keinen Ruhestand

Weniges dürfte im Dokumentarischen schwieriger sein, als ein Porträt über eine nahestehende Person zu drehen. Wie Distanz wahren? Darauf verzichten? Wie seine eigene Rolle als Tochter, Sohn, Enkel*in im Leben dieses Menschen inszenieren? Wie nah will, kann und sollte man gehen? Tilman König hat sich an einen solchen Dokumentarfilm gewagt, seinen eigenen Vater zum Subjekt gemacht und den Weg der Unsichtbarkeit gewählt: Zu sehen ist er überhaupt nicht, und bis auf eine kurze Off-Ansprache zu Beginn sowie eine Frage kurz vor Schluss auch nicht zu hören.

Tilmans Vater ist Lothar König, der vor allem in seinem Heimatbundesland Thüringen, aber auch darüber hinaus bekannt sein dürfte. König wurde Mitte der 80er zum Pfarrer berufen, 1990 Stadtjugendpfarrer in Jena und ging 2019 im Alter von 65 Jahren in den Ruhestand. König hört auf konzentriert sich auf die letzten sechs Monate vor der Rente sowie deren erste Monate und komplettiert das Gesamtbild mit einigem Archivmaterial.

Schon beim ersten Auftritt Königs ist klar: Dieser Kerl ist ein echtes Original. Ein älterer Herr mit längerem Haar, ergrautem Rauschebart und fast genauso dichtem Haar auf den Armen, den man auf den ersten Blick nicht für einen Pfarrer, sondern für einen Alt-Hippie halten könnte – was tatsächlich gar nicht mal so verkehrt ist. Seine Stirn ziert eine tiefe Narbe, die ihm ein Neo-Nazi einst per Schlagring zugefügt hat – König engagiert sich seit der Wende offen antifaschistisch, mahnt, warnt, demonstriert. Nach einer Demo in Dresden wurde er 2011 in Sachsen wegen mutmaßlichem Landfriedensbruch angeklagt, das Verfahren drei Jahre später eingestellt, nachdem neues Videomaterial aufgetaucht war, das die Polizei belastete. Es war nicht das letzte Verfahren für König.

Sohn Tilman König agiert in diesem Film als stiller Beobachter in öffentlichen, halböffentlichen und privaten Situationen. Und dabei zeigt sich ein ambivalentes Bild: Einerseits ist da Lothar Königs unermüdliches Engagement als Pfarrer und auf der Straße, wobei er im Grunde als Sozialarbeiter agiert; andererseits zeigt er sich immer wieder stur, aufbrausend, fluchend. Etwa wenn er sich von einer Bekannten dafür rügen lassen muss, dass er seine Diskriminierungserfahrungen als Langhaar- und -bartträger mit denen von Menschen mit Migrationshintergrund vergleicht, zu streiten beginnt, letztlich aber einlenkt. Wenn er sich bei einer Podiumsdiskussion arg im Ton vergreift, oder wenn er laut zu schimpfen anfängt, weil es bei einem Fußballspiel mit der Regelabsprache nicht so recht klappen will.

König hört auf zeigt einen Idealisten, der ganz und gar menschlich ist. Der klare Werte vertritt und in die Welt trägt, der Konzerte und Workshops organisiert, der zwei Systemen ein Dorn im Auge war. Den wir sowohl in schnieker Pfarrerskluft als auch kettenrauchend im Unterhemd am unaufgeräumten Küchentisch sehen. Es sind viele Kontraste und Fragmente, die König hört auf bietet, und am Ende bleibt der Eindruck, dass in diesem faszinierenden Bild eigentlich noch ein paar Puzzlestücke fehlen – allem voran Königs Familiengeschichte. Dass sich der Sohn hier herausnimmt, ist legitim, lässt aber leider doch ein paar letzte drängende Fragen offen.

König hört auf (2022)

Lothar König hat langes, wildes Haar, raucht wie ein Schlot und ist manchmal ganz schön unbequem. Über seinem rechten Auge trägt er eine riesige Narbe – ein Neonazi hatte den Jenaer Stadtjugendpfarrer einst bewusstlos geschlagen. Kein Grund für Lothar König, sich unterkriegen zu lassen. Mit viel Herz und Eigensinn engagiert er sich seit Jahrzehnten unerschrocken gegen Rechtextremismus, leistet wichtige Jugendarbeit und unterstützt Geflüchtete und Migranten – weit über die Stadtgrenzen Jenas hinaus. (Quelle: Weltkino Filmverleih)

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Meinungen

ursel · 13.08.2023

Wünschte mir es gäbe mehr solche stabilen Antifaschisten!